Ein privater Anbieter vertreibt im Internet Miniatur-Galgen, beschriftet mit „Reserviert für Angela ‘Mutti’ Merkel“ und „Reserviert für Sigmar ‘das Pack’ Gabriel“. Die Staatsanwaltschaft Chemnitz sieht den Tatbestand der Volksverhetzung oder die Aufforderung zu einer Straftat als nicht gegeben. Das sieht Extremismus-Experte Hajo Funke anders.
„Ich kritisiere die Entscheidung der Staatsanwaltschaft Chemnitz“, sagt der Berliner Extremismus-Forscher Hajo Funke gegenüber Sputnik. „Es ist völlig klar, dass das eine Anregung zu Gewalthandlungen ist. Es kommt aus der ganz rechten Ecke. Zum Teil sind NPDler in diesem Kontext genannt worden – also Einzelne oder Gruppen, die auch vom Verfassungsschutz beobachtet werden – und sie meinen es ja so.“
Es handele sich zum Teil um die gleichen Personen, die eine entsprechende Galgeninszenierung auf einer Pegida-Demonstration zeigten. Für Funke ist es „keine Kunst, sondern ein Ausdruck der Gewaltförmigkeit der Sprache – auch der öffentlichen Sprache und der Bildersprache – in großen Teilen der Pegida-Aktivisten. Das zeigen auch Studien. Aber auch von Teilen der AfD, soweit sie sich mit diesen Pegida-Leuten verbunden haben.“
Die Kritik kann Jens Döbel nicht nachvollziehen. Er vertreibt den Miniatur-Galgen über seinen Internet-Shop und hatte schon den eigentlichen Galgen auf der Pegida-Demo im Jahr 2015 zur Schau gestellt. „Im Mittelalter wurden ‚Volksverräter‘ schließlich auch am Galgen gehängt“, erklärte er gegenüber Sputnik die Auswahl seines Protestsymbols. Den Tod durch den Galgen wünsche er allerdings niemanden, vielmehr handele es sich bei der Aktion um „Satire“. Er wundere sich über das „Aufsehen durch zwei Balken“.
Persönliche Kritik an Ukraine-Politik der Regierung
Ihn störe persönlich besonders die Ukraine-Politik der Regierung, so Döbel. Er sei seit zwölf Jahren selbst mit einer Ukrainerin verheiratet und kritisiert, „dass die Regierung die Kämpfe im Donezbecken mit deutschen Steuergeldern fördert“. Gleichzeitig sei es ihm nicht möglich, die eigenen Schwiegereltern aus dem Donbass nach Deutschland zu holen.
Die Galgen-Miniatur habe er schon seit einem Jahr im Programm, berichtete er. Die Nachfrage sei nach den ersten Medienberichten sprunghaft angestiegen. Fünf Euro des Erlöses eines jeden verkauften Galgens wolle er Obdachlosen in Chemnitz oder Dresden spenden, erklärte Döbel.
Die Staatsanwaltschaft Chemnitz hatte Ermittlungen wegen des Verkaufs der kleinen Merkel-Galgen eingeleitet, diese aber nun als Polit-Souvenirs gebilligt (Az. 250 Js 28707/17). Laut eines Berichtes der „Süddeutschen Zeitung“ argumentiert das Gericht so: Die Galgen seien Kunst und nicht ganz ernst zu nehmen. Es sei nicht nachweisbar, dass der Beschuldigte „ernstlich“ Leute dazu animieren wolle, Merkel oder Gabriel anzugreifen. Für ein „öffentliches Auffordern zu Straftaten“ nach Paragraf 111 des Strafgesetzbuchs sei die Botschaft der Galgen zu vieldeutig. Sie ließe sich auch so interpretieren, dass Regierungspolitikern kein physischer Schaden en den Hals gewünscht werden, sondern lediglich, „quasi symbolisch“, nur der politische Tod.
Hoffnung auf erneute Anzeige gegen Galgen-Verkäufer
Dieser Argumentation kann sich der Politologe Funke nicht anschließen. Er betonte gegenüber Sputnik: „Seitdem Pegida und dann große Teile der AfD sich des Ressentiments gegenüber der politischen Repräsentanz, aber auch der Flüchtlinge, bedient haben, ist innerhalb von wenigen Monaten die Gewaltzahl gegenüber Flüchtlingen zum Beispiel auf das Doppelte gestiegen. Das war schon Anfang 2015 so. Es hat sich dann nochmal im Jahre 2016 ausgeweitet und stagniert gegenwärtig immer noch, trotz eines Abflachens der Debatte, auf hohem Niveau.»
Gerade Repräsentanten einer einigermaßen humanen Politik würden nun bedroht. Funke verweist da auf den Fall des Bürgermeisters von Altena, Andreas Hollstein (CDU), der kürzlich mit einem Messer angegriffen wurde. Auch das Attentatauf die damalige Kölner Oberbürgermeister-Kandidatin Henriette Reker im Oktober 2015 falle in diese Rubrik. Funke ist nach seinen Worten gespannt, wenn es eine neue Chance gebe, den Fall erneut zur Anzeige zu bringen. Er sei „sehr hoffnungsfroh“, dass ähnliche Situationen außerhalb Sachsens anders wahrgenommen werden.
Bolle Selke
Das komplette Interview mit Hajo Funke zum Nachhören: