Vor 30 Jahren schlossen die Sowjetunion und die USA den INF-Abrüstungsvertrag zur gegenseitigen Rüstungskontrolle. Heute sei der Vertrag wichtiger denn je, doch die Gefahren nehmen zu.
„Die USA wollen wieder solche Raketen einsetzen, obwohl Russland seinen Militär-Etat runterfährt“, so der frühere DDR-Diplomat Hubert Thielicke im Sputnik-Interview.
Der INF-Vertrag sei heute „in Gefahr“. Die militärpolitische Lage in der Welt habe sich zugespitzt. „Es gibt Bestrebungen auf US-amerikanischer Seite, im US-Kongress, wieder neue Mittelstreckenraketen einzusetzen“, sagte Thielicke gegenüber Sputnik. Er war von 1981 bis 1984 stellvertretender Leiter der Delegation der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) bei den Genfer Abrüstungskonferenzen.
Die aktuelle US-Militärpolitik sei für Russland „ein großes Problem.“ Weil US-Mittelstreckenraketen, im Baltikum oder in Polen stationiert, „ganz schnell Moskau erreichen könnten.“ Am 8. Dezember 1987 wurde der INF-Vertrag zwischen der Sowjetunion und den USA unterzeichnet. Er hatte die beiderseitige Vernichtung sowie den Produktionsstopp von nuklearen Mittelstreckenraketen zum Ziel.
„Grauenvoll“: Washington rüstet auf
Aktuell denke die US-Politik verstärkt über neue Kernwaffenkonzeptionen nach. „Wenn man sieht, was da in der Planung ist, kann man nur das Grauen kriegen. Selbst für das nächste Jahr haben die USA angekündigt, das Militärbudget um mehr als 50 Milliarden Dollar zu erhöhen. Andererseits hat Russland angekündigt, im nächsten Jahr sein Militärbudget um ein Viertel zu reduzieren. Aber im Moment gibt es darauf offensichtlich keine entsprechende Reaktion der Amerikaner.“
In letzter Zeit gab es immer wieder Vorwürfe seitens Washingtons, Russland würde den INF-Vertrag brechen. So soll 2008 ein angeblich vertragswidriger Test mit einer russischen Langstreckenrakete erfolgt sein. Ein weiterer US-Vorwurf: Angeblich hätte das russische Militär in Wolgograd und anderen Regionen Raketensysteme stationiert, die Kontinentaleuropa gefährden würden. Diese US-amerikanischen Vorwürfe gegenüber Russland „wurden nie richtig spezifiziert“, kommentierte Thielicke. Er habe von Vertretern der USA oder der Bundesregierung noch nie konkrete Vorwürfe oder genaue Fallbeispiele gehört, die das belegen würden.
„US-Anlagen in Osteuropa bedrohen Russland“
Andererseits wirft Russland laut dem Abrüstungsexperten den USA – und dem Westen insgesamt – folgende Vertragsverstöße vor: Eingesetzte Angriffsdrohnen. Der vermutete Einsatz von „Mittelstreckenraketen für Raketenabwehrversuche“. Die Installation von Raketenabwehrsystemen in Osteuropa, also von Anlagen, „von denen dann auch Marschflugkörper abgeschossen werden könnten.“ Das sehe Russland als Vertragsbruch und Gefahr an. In Rumänien gebe es bereits eine solche Anlage der USA, in Polen sei ein weiteres Raketenabwehrsystem für 2018 geplant.
„Von beiden Seiten gibt es hier Anschuldigungen. Für mich wäre das ein Anlass, sich in entsprechenden Verhandlungen zusammenzusetzen und darüber zu sprechen. Aber wie wir wissen, läuft auf dieser Strecke im Moment gar nichts. Mit der neuen US-Administration wird es sowieso sehr schwierig sein, da weiter zu kommen.“
Bedeutung für Deutschland
Der Vertrag habe „nicht nur die Entspannung in Europa befördert. Er hat auch für die deutsch-deutschen Beziehungen sehr viel erreicht, indem er die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und der DDR verbessert hat. Die Ausgangslage war damals, dass gerade in Deutschland, also in der Mitte Europas, eine sehr hohe Konzentration von Kernwaffen vorlag. Sowohl auf dem Boden der Bundesrepublik als auch auf dem Boden der DDR.“ Beide deutschen Staaten seien damals sehr interessiert daran gewesen, diese zu verringern. Auch habe die Friedensbewegung eine entscheidende Rolle beim Zustandekommen der Verträge gespielt. Thielicke hegt die Hoffnung, dass auch heute zivilgesellschaftliche Akteure „gesellschaftlichen Druck“ auf die USA ausüben könnten, um weiteres Abrüsten zu gewährleisten. Er sehe da „ermutigende Entwicklungen.“
Der INF-Vertrag führte zur Abschaffung einer ganzen Reihe von bodengestützten Raketen. In Folge wurden auf sowjetischer wie auf US-amerikanischer Seite bis 1991 etwa 2700 Waffensysteme in Europa und Asien verschrottet. Moskau weist laut Medienberichten alle US-Vorwürfe zurück, dass Russland gegen den Vertrag verstoße. Die Russische Föderation ihrerseits zeige sich „besorgt“, dass die USA mit ihrer Militärpolitik gegen den INF-Vertrag verstößt.
Alexander Boos
Das Interview mit Dr. Hubert Thielicke (DDR-Diplomat) zum Nachhören:
Quelle: Sputnik