Für die Nato ist die ungarische Blockade der Beitrittsaussicht des strategisch wichtigen Partners Ukraine höchst unangenehm. Das Militärbündnis gibt der Ukraine bislang umfangreich Rückendeckung im Konflikt mit Russland und hatte ihr 2008 sogar eine konkrete Beitrittsperspektive in Aussicht gestellt.
Zudem bangen Nato-Mitglieder, dass der Streit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin nutzen könnte. Als Horrorszenario gilt, dass die Auseinandersetzung sogar den Bündnisgipfel im kommenden Juli belastet.
Nach Angaben aus Nato-Kreisen haben elf Bündnisstaaten deswegen vorsorglich einen Brief verfasst, in dem sie die ungarischen Verantwortlichen zum Einlenken auffordern. Bilaterale Konflikte sollten nicht in die Nato hereingetragen werden, lautet dessen Kernaussage.
Die Nato-Zentrale wollte sich zu dem Streit und dem auch von Deutschland unterzeichneten Brief nicht äußern. Sie verwies lediglich darauf, dass keine laufenden Projekte betroffen seien.
Die Nato setzt ihre praktische Zusammenarbeit mit der Ukraine fort», so der stellvertretende Bündnissprecher Piers Cazalet.
Für die nächste Woche sei auch ein Treffen der sogenannten Nato-Ukraine-Kommission auf Botschafterebene geplant. Aus Diplomatenkreisen hieß es allerdings, Treffen auf höherer Ebene wolle Ungarn bis auf Weiteres nicht mehr zulassen.
In der Ukraine leben beträchtliche russische, ungarische und rumänische Minderheiten. Dennoch verabschiedete das ukrainische Parlament, die Werchowna Rada, im Rahmen seiner Ukrainisierungspolitik am 5. September das Schulsprachengesetz, wonach Kinder ab dem kommenden Jahr nur noch bis zur vierten Klasse Unterricht in Sprachen der nationalen Minderheiten erhalten. Ab dem Jahr 2020 sieht das Gesetz eine ausschließliche Anwendung der ukrainischen Sprache für alle Bildungseinrichtungen vor.
Kiew hat das Gesetz der Venedig-Kommission zur Überprüfung vorgelegt, einem Gremium des Europarates, das über Rechte und Demokratiestreitigkeiten unter den 47 Mitgliedsstaaten entscheidet und dessen Entscheidungen bindend sind.
In einer Stellungnahme der Kommission am Freitag hieß es
Was das ukrainische Bildungsgesetz anbelangt, so hat die Venedig-Kommission eine Stellungnahme verabschiedet, in der festgestellt wird, dass eine ausreichende Ausbildung von Minderheiten auf dem Gebiet der Bildung aufrechterhalten werden muss und dass eine Ungleichbehandlung von Nicht-EU-Sprachen «problematisch» ist.
Die starke nationale und internationale Kritik, die vor allem durch die Bestimmungen zur Einschränkung des Bildungsumfangs in Minderheitensprachen hervorgerufen wird, erscheine gerechtfertigt, auch wenn der Wunsch nach einer einheitlichen Sprache nachvollziehbar sei.
Die unklare Formulierung von Teilen der»Artikel 7″-Gesetzgebung wirft Fragen auf, wie die Verlagerung auf die gesamte ukrainische Sekundarstufe unter Wahrung der Rechte ethnischer Minderheiten umgesetzt werden soll.
Die Kommission befand weiterhin eine deutliche Diskriminierung der russischsprachigen Minderheit in dem Teil des Gesetzes, wonach er erlaubt ist, einige Fächer in EU-Amtssprachen wie Ungarisch, Rumänisch und Polnisch zu unterrichten, nicht aber in Russisch, der am weitesten verbreiteten nichtstaatlichen Sprache.
Die ungünstigere Behandlung dieser (Nicht-EU-)Sprachen ist schwer zu rechtfertigen und wirft daher Fragen der Diskriminierung auf», heißt es dort.
Bis 2015 gab es in der Ukraine 621 Schulen, die auf Russisch, 78 auf Rumänisch, 68 auf Ungarisch und fünf auf Polnisch unterrichteten, so die Daten des Bildungsministeriums.
Bildungsgesetz hatte enormen Gegenwind im In- und Ausland erfahren
Die Opposition im ukrainischen Parlament hatte in vollem Umfang gegen das Gesetz gestimmt, da es andere im Land lebende Nationalitäten diskriminiert, vor allem die russischsprachigen Bürger, die einen bedeutenden Teil der Bevölkerung in der Ukraine, in vielen Regionen sogar die Mehrheit stellen. Im Süden und Osten des Landes sowie in der Hauptstadt Kiew sprechen die Menschen vor allem russisch.
Die mit dem Bildungsgesetz einhergehende Diskriminierung verärgerte auch Ungarn. Das Gesetz sei eine beispiellose Beschränkung der Rechte von 150.000 ethnischen Ungarn, es widerspreche der Verfassung der Ukraine und Kiews internationalen Verpflichtungen, die Rechte der ungarischen Bevölkerung nicht zu beschränken, betonte der ungarische Staatssekretär Árpád Potapi. Im Oktober sagte der ungarische Außenminister Peter Szijjarto, dass das Thema die Beziehungen auf den niedrigsten Stand seit der Unabhängigkeit der Ukraine nach dem Zerfall der Sowjetunion im Jahr 1991 gebracht habe. Ungarn drohte mit Vergeltung, indem es die Hoffnungen Kiews auf eine EU-Integration blockieren würde.
Ungarn blockiert Nato-Perspektive für Ukraine
Zuletzt sprach sich der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban gegen eine Zusammenarbeit zwischen Nato und Ukraine aus. Nach Medienberichten wolle der ungarische Ministerpräsident so Druck auf den ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko im Streit um den Minderheitenschutz ausüben.
Quelle: RT