Gasmarkt im Umbruch: Auf Europa schwappt eine Welle aus Flüssiggas zu

In Nordamerika und Australien steigt die Gasförderung durch Fracking massiv an. Freihandelsverträge sollen dafür sorgen, dass das schmutzige Gas verflüssigt nach Europa gelangt. Die EU-Kommission unterstützt das Projekt, weil es sich gegen Russland richtet.

von Malte Daniljuk

Am Dienstag erschien in Australien ein Vorbericht zu einer Studie, auf welche die Energiekonzerne und die Regierung dringend warten. In einem wichtigen Teil des Landes ist es bisher verboten, mit der extrem umweltschädlichen Technologie Hydraulic Fracturing zu fördern. Nun könnte das Fracking-Verbot fallen. Die Gasförderung mithilfe von Fracking kann im australischen Northern Territory District erst wieder aufgenommen werden, wenn eine Studie über diese umstrittene Methode abgeschlossen ist.

Eine Expertengruppe empfahl nun, das Verbot „in zwei bis drei Jahren“ aufzuheben, wie aus dem Vorbericht hervorgeht. Die australische Regierung sieht Fracking als einen Weg, um die angeblich chronische Energieknappheit des Landes zu lindern. Sie hat, folgt man der Argumentation der Regierung, zu den höchsten Stromkosten unter den Industrieländern geführt. Die lokale Bevölkerung, Umweltschützer und Wissenschaftler üben hingegen hartnäckigen Widerstand gegen die neuen Fördertechnologien aus.

Wie auch in anderen Ländern fordern sie, dass stattdessen mehr in erneuerbare Energien investiert wird. Allein: Aus Wind und Sonne gewonnene Energie lässt sich nicht exportieren. Zur angeblichen Energieknappheit gehört auch, dass Australien sich in den vergangenen Jahren zu einem wichtigen Energieexporteur aufgeschwungen hat. Die internationalen Energieunternehmen haben dafür gesorgt, dass sich mit Erdgas ein fossiler Brennstoff verschiffen lässt. Die Kombination aus neuen Fördervolumen mithilfe von Fracking und dem so genannten Flüssiggas (LNG) krempelt gegenwärtig den Weltmarkt um.

Die „Gasunternehmen sind bereit, Milliarden von Dollar in neue Projekte im Northern Territory District zu investieren, wenn die Industrie die Explorationstätigkeit wieder aufnehmen darf“, erklärt deshalb Matthew Doman, Chef der Australian Petroleum Production and Exploration Association, dem wichtigsten Lobby-Verband der australischen Öl- und Gasindustrie.

Der Abschlussbericht wird nun für März erwartet. Bereits jetzt ist jedoch klar, dass keine Seite mit dem Bericht zufrieden sein wird. Die insgesamt 120 Empfehlungen der Studie enthalten eine Warnung, dass die „Reinjektion von Abwasser in das Grundwasser“ nicht zugelassen werden darf, solange nicht untersucht wird, ob die Risiken auf ein akzeptables Maß begrenzt werden können. Eine besonderes Problem des Fracking besteht darin, dass horizontale Bohrlöcher in tiefen Erdschichten mithilfe von Wasserdruck aufgesprengt werden.

Der australische Fracking-Boom

Für ein Bohrloch benötigt die Fracking-Industrie mehr als eine Million Liter Wasser. Die Gefahr ist relativ hoch, dass diese mit Chemikalien versetzte Flüssigkeit dann in das Trinkwasser gelangt. „Der Berichtsentwurf nennt eine Reihe von Reformen, die notwendig seien, um zu versuchen, die Risiken der Frackindustrie zu reduzieren“, erläutert Melissa Bury von der Bürgerinitiative Frack-free Fannie Bay.

Sie geht davon aus, dass die Belastung für die Umwelt und die Volkswirtschaft einen „potenziellen wirtschaftlichen Nutzen“ weit überwiegen. Und natürlich befürchten Bürger und Umweltschützer, dass am Ende, wie etwa bei der Atomindustrie, die Steuerzahler für die gesellschaftlichen Folgekosten aufkommen, welche die großen Energieunternehmen hinterlassen. Fracking ist im australischen Bundesstaat Victoria verboten, aber anderswo in Australien kennen die Bürger die berüchtigten Bilder von brennenden Gewässern aus eigener Anschauung.

Aber auch im übertragenen Sinn hat sich Erdgas zu einem heißen politisches Thema entwickelt. Die Energieunternehmen haben trotz steigender Förderung die Inlandspreise massiv erhöht. Das schadet natürlich den einzelnen Haushalten genauso wie den Industrieunternehmen, die unter gestiegenen Fertigungskosten zu leiden haben. Weil die in Australien aktiven Unternehmen gleichzeitig in den Export eingestiegen sind, verabschiedete die Regierung Anfang des Jahres ein Gesetz, das ihr erlaubt, die Ausfuhren zu begrenzen.

In dieser Konstellation hat sich das Fracking-Verbot zur Verhandlungsmasse entwickelt. Die Energiemultis versprechen, dass die inländischen Energiekosten sinken, sobald das Fracking-Verbot fällt. An dieser Argumentation irritiert vor allem, dass der Gas-Boom in Australien nun schon seit mehr als zehn Jahren anhält. Wenn die Energiepreise der Logik des Marktes unterliegen würden, hätten sie in Australien bereits massiv fallen müssen.

Der australische Gas-Boom hängt eng zusammen mit dem Niedergang der Steinkohleförderung. In den geologischen Formationen, in denen Kohle auftritt, sind auch große Mengen von Erdgas eingeschlossen. Allerdings gestaltet sich die Förderung viel schwieriger, da diese Vorkommen nicht in eine einzelne Blase eingeschlossen sind, sondern sich über große Flächen verteilen. Erst der Fortschritt der Fracking-Technologie ermöglichte es, diese Vorkommen von Coal-Seam Gas (CSG) wirtschaftlich zu erschließen.

Von der Steinkohle zum Fracking-Gas

Ähnlich wie Schiefergas muss das Kohlegas gewonnen werden, indem tiefere Erdschichten auf breiter Fläche aufgebrochen werden. Dabei treten unkontrolliert große Mengen von verschiedenen Erdgasen an die Oberfläche, nur ein Teil gelangt in die vorgesehenen Bohrungen, um von dort in Tanks und Pipelines abgefüllt zu werden. Über den Förderflächen tritt vor allem Methan aus, das im Vergleich zu Kohlendioxid etwa 25-mal stärker als Treibhausgas wirkt.

Parallel zum Boom der Fracking-Förderung in Nordamerika und Australien begannen die globalen Methan-Emissionen ab dem Jahr 2007 massiv zu steigen. In den Jahren 2014 und 2015 machten sie sogar einen richtigen Sprung, wie aktuelle Studien zeigen. Etwa ein Drittel der neuen Methan-Austritte geht auf die Öl- und Gas-Industrie zurück, schätzt Rob Jackson von der Stanford Universität. Neben den lokalen und regionalen Problemen, welche die Fracking-Industrie durch Erdbeben und den hohen Wasserverbrauch verursacht, widerspricht diese Fördermethode sämtlichen gesetzten Klimazielen.

Australiens Gasrausch begann mit Reserven unter dem Indischen Ozean vor der Nordküste Westaustraliens. Inzwischen haben die Gasunternehmen aber alleine in Queensland, in unmittelbarer Nähe zum berühmten Great Barrier Reef, über 3.200 Bohrlöcher in den Boden getrieben. Gas aus Kohleflözen liefert mittlerweile rund ein Drittel des ostaustralischen Gases. Die Energieunternehmen wollen mit der CSG-Bonanza den weltweiten Gasmarkt aufrollen.

An den australischen Küsten, etwa im Curtis-Island-Nationalpark oder in Karratha, entstanden riesige Anlagen, um gigantische Gasmengen auf Minus 160 Grad zu kühlen und dadurch zu verflüssigen. An diesen LNG-Anlagen legen neue Supertanker an und transportieren das Flüssiggas in die Welt. Analysten gehen davon aus, dass in den kommenden fünf Jahren 175 Milliarden US-Dollar in LNG-Projekte in Australien investiert werden. Die Firmen Wheatstone, Icthys und Prelude bauen bereits neue Terminals.

Laut dem Branchenmagazin Resources and Energy Quarterly wird der Wert der australischen Gasexporte in den nächsten zwei Jahren um fast 60 Prozent steigen, nämlich von 22 auf 35 Milliarden Dollar. Damit würde Australien tatsächlich zum weltweit größten LNG-Exporteur aufsteigen. Bisher liegt das Golf-Königreich Katar mit 74 Millionen Tonnen LNG pro Jahr an der Spitze, laut aktuellen Schätzungen könnte Australien mit den neuen LNG-Häfen etwa 88 Millionen Tonnen erreichen.

Freihandel für die Energie-Konzerne

Die australische Regierung unterstützt die Energie-Exporte nach Kräften. Seit längerem verhandeln Australien und die EU abseits der Öffentlichkeit über einen Freihandelsvertrag. Dabei stehen, wie schon bei den gescheiterten amerikanischen Freihandelsabkommen TTIP und TPP, die Themen Energie und Rohstoffzugang an erster Stelle. Im kommenden Jahr 2018 sollen die Verhandlungen mit Australien und Neuseeland massiv beschleunigt werden, die Europäische Kommission möchte den Freihandelsvertrag bis Ende 2019 unterzeichnet haben.

Ohnehin unterstützt die Kommission mit der geplanten Europäischen Energieunion massiv den Gedanken, in Zukunft mehr LNG nach Europa zu importieren. Dass es sich dabei um verflüssigtes Fracking-Gas aus den USA und aus Australien handelt, gehört zu den großen Tabus der europäischen Politik. Industrie, Politik und Medien achten darauf, nur von Schiefergas zu sprechen, ohne die problematische Fördermethode zu erwähnen.

Die Fracking-Industrie hat die USA in den vergangenen Jahren zum größten Erdgas-Produzenten der Welt gemacht. Bisher verbrauchen die Amerikaner zwar selbst 96 Prozent dieser unglaublichen Menge. Die amerikanische Energie-Agentur erwartet allerdings, dass sich das Land im aktuellen Jahr erstmals zu einem Netto-Exporteur entwickelt. Die amerikanischen Unternehmen rüsten ihre Kapazitäten an allen Küsten auf, um in den weltweiten LNG-Markt einzusteigen. Bisher exportiert Cheniere-Energy mithilfe von drei LNG-Anlagen am Sabine Pass, im Bundesstaat Louisiana.

In den kommenden zwei Jahren will das Unternehmen dort zwei weitere Anlagen bauen. Auch in Maryland an der Chesapeake Bucht wird noch in diesem Jahr eine LNG-Anlage in Betrieb genommen. Insgesamt befinden sich fünf derartige Projekte derzeit im Bau. Die Energie-Agentur geht davon aus, dass sich die USA bis zum Jahr 2020 nach Australien und Katar als drittgrößter LNG-Exporteur etablieren. Der tatsächliche Erfolg der LNG-Exportterminals werde jedoch „durch das Wachstum der weltweiten LNG-Nachfrage und die Konkurrenz anderer globaler LNG-Anbieter“ beeinflusst.

Auf dem Weg zur «globalen Energie-Dominanz»

Für den amerikanischen Präsidenten handelt es sich bei LNG bereits um das wichtigste Exportgut gleich nach dem Rüstungssektor. Auf seinen bisherigen Auslandsreisen bot Donald Trump an allen Stationen flüssiges Erdgas aus der heimischen Fracking-Produktion an. Bisher stellen die asiatischen Länder die wichtigsten Abnehmer dar. Insbesondere Südkorea und Japan, beide Länder sind nicht ohne weiteres durch Pipelines zu erreichen, standen bei Trump ganz oben auf der Liste. Aber auch in Europa nötigt der neue US-Präsident seine Verbündeten, langfristige Verträge über LNG-Importe zu unterzeichnen.

Im Juni erklärte der US-Präsident die Exporte von Flüssiggas gar zu einem Königsweg, um die chronisch defizitäre Handelsbilanz der USA auszugleichen. Zwar beendete er die Verhandlungen um die Freihandelsabkommen TTIP und TPP, die sein Vorgänger Barack Obama mit Blick auf zukünftige Energieexporte begonnen hatte. Allerdings hat die US-Regierung zwischenzeitlich das seit den 1970er bestehende Exportverbot für Roh-Energie aufgehoben, das die Freihandelsverträge nötig gemacht hatte.

Als Trump im vergangenen Sommer vor dem G20-Gipfel nach Polen reiste und dort mit den osteuropäischen EU-Staaten große Lieferverträge für LNG unterzeichnete, kommentierte Daniel Yergin, ein berühmter Energieanalyst, dass die Obama-Regierung zwar den Export von LNG unterstützte. Man habe Energieexporte aber nicht als „entscheidendes Element in der Handelsstrategie“ betrachtet. Die Trump-Regierung, die sich in ihrer Politik auf bilaterale Handelsdefizite konzentriert, sehe „in LNG einen Weg, diese zu beheben“.

Ende November verkündeten die Herausgeber des Wall Street Journal, dass „Amerikas neue Energiediplomatie den regionalen Einfluss Russlands schwächt“. Diese Strategie verfolgt die amerikanische Politik zwar schon seit dem Jahr 2012, nun gab es jedoch einen feierlichen Anlass. Das staatliche Öl- und Gasunternehmen Polens (PGNiG) unterzeichnete einen ersten Fünfjahresvertrag über den Kauf von amerikanischem LNG.

Die Vereinbarung veranschauliche, wie die „Fracking-Revolution den nationalen Interessen der USA dient und die Reichweite von Diktatoren im Ausland einschränken“ kann, so die WSJ-Herausgeber. Die PGNiG erklärte, sie werde ihren langfristigen Vertrag mit der Gazprom nicht verlängern, der 2022 ausläuft. Im Rahmen der neuen Vereinbarung wird der britische Energieversorger Centrica nun LNG nach Polen liefern. Centrica kauft das LNG von Cheniere Energy, dem Sabine Pass Terminal in Louisiana.

Polen kündete an, dies sei „höchstwahrscheinlich der erste in einer Reihe von Verträgen“. Polens langfristiges Ziel ist es, „die Energiesicherheit in der Region zu erhöhen, die traditionell von russischem Gas dominiert wird“. Indem die USA eine Alternative zu russischer Energie anbieten, freut sich das WSJ, stärken sie ihre europäischen Verbündeten und schwächen den regionalen Einfluss des Kreml.

Donald Trump reist nun um die Welt und schließt bilaterale Abkommen ab. Sein erklärtes Ziel besteht darin, eine amerikanische „Energie-Dominanz“ auf dem Weltmarkt zu erreichen. Dafür schafft er gegenwärtig die Umwelt- und Klimaregelungen seiner Vorgänger wieder ab, damit im Inland mehr Atomenergie und Kohle verstromt werden kann. Mit dieser Strategie wollen Donald Trump und sein Energieminister Rick Perry zukünftig höhere Anteile aus der heimischen Öl- und Gasförderung für den Export freimachen.

Für Deutschland und die EU hat diese Entwicklung mehrere wichtige Konsequenzen. Zum einen müssen sich Deutschland und Frankreich darauf einstellen, dass der politische Druck gegen Kooperationen mit Russland und dem Iran weiter zunimmt. Auf dem internationalen Gasmarkt findet ein aggressiver Verdrängungswettbewerb statt, bei dem die USA mithilfe von Sanktionen und politischen Maßnahmen auf allen Ebenen versuchen, die günstigeren und saubereren Anbieter zu verdrängen.

Dieses Projekt wird umso wichtiger, als sich bereits jetzt abzeichnet, dass spätestens ab dem Jahr 2022 ein massiver Überschuss auf dem internationalen Gasmarkt auftreten wird, wie Daniel Yergin bereits im Sommer feststellte. Die teuren und technisch aufwändigen Verfahren wie Fracking und LNG-Transport könnten ohne politische Interventionen in den Markt nicht überleben.

Zum anderen bietet die Tatsache, dass die US-Regierung aus dem Klimavertrag ausgestiegen ist, natürlich die Möglichkeit, mit niedrigen Umweltstandards alle internationalen Vereinbarungen zu unterlaufen. Die Frage muss lauten, ob EU-Staaten, welche den Pariser Klimavertrag unterzeichnet haben, überhaupt fossile Energie aus den USA und Australien kaufen können.

Quelle: RT