Der ukrainischen Armee, die ihrem Obersten Befehlshaber Petro Poroschenko zufolge die stärkste Armee Europas ist, mangelt es an Munition. Dabei hatte die Ukraine von der Sowjetunion riesige Arsenale „geerbt“, die für einen längeren umfassenden Krieg genügen würden. Was mit ihnen möglicherweise passiert sein könnte, analysiert Wadim Saranow.
Der ukrainischen Armee mangelt es an Artilleriegeschossen, Raketen und sogar Patronen, wie der stellvertretende Befehlshaber der Bodentruppen, Generalmajor Juri Tolotschny, präzisierte.
„Schwarzer Export“
Als die UdSSR zerfiel, war die Ukraine eine der am meisten militarisierten Sowjetrepubliken. Hier waren gleich drei Militärbezirke, die Schwarzmeerflotte, zwei Armeen der Luftstreitkräfte und eine Armee der Luftabwehr stationiert. Vor der Unterzeichnung der Abkommen zur Auflösung der Sowjetunion und zur Gründung der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) im Dezember 1991 waren ukrainische Waffenlager zusätzlich mit Waffen und Munition „vervollkommnet“ worden, die kurz zuvor aus Osteuropa abgezogen worden waren. Insgesamt bekam die Ukraine neben der Souveränität etwa 2,4 Millionen Tonnen Geschosse, Raketen, Bomben und Patronen. Zum Vergleich: Im ganzen Jahr 1943 hatte die Rote Armee insgesamt drei Millionen Tonnen Munition aller Arten benutzt.
Natürlich waren diese Waffen bzw. Munition teilweise veraltet, aber der veraltete Anteil belief sich auf höchstens 30 Prozent. Die Behörden in Kiew betrachteten sie als Ware, die leicht verkauft werden konnte.
„In den 1990er und frühen 2000er Jahren hat die Ukraine ihre Munition massenweise ins Ausland verkauft“, erzählte der Chefredakteur des Fachmagazins „Arsenal Otetschestwa“ („Arsenal des Vaterlandes“), Viktor Murachowski. „Dabei wurde vor allem die neuste Munition exportiert, die noch gar nicht alt war.“
Genaue Informationen über den ukrainischen Waffenverkauf ins Ausland sind nicht vorhanden, denn neben dem offiziellen gab es auch den illegalen Export. Einer der größten Skandale brach 2008 aus, als bekannt wurde, dass das von somalischen Piraten überfallene Schiff „Faina“ Schmuggelwaffen an Bord hatte, die es in Richtung Sudan befördern sollte.
Auffallend ist, dass die Kriegshandlungen im Donezbecken nicht so verheerend für die ukrainischen Arsenale waren bzw. sind: In den vergangenen drei Jahren hat die ukrainische Armee höchstens 25.000 Tonnen Raketen und Geschosse eingesetzt. Vor dem allgemeinen Hintergrund ist das eine sehr bescheidene Zahl.
Explosive Arsenale
Trotz der riesigen Profite aus dem Waffenhandel wollte die ukrainische Staatsführung die Modernisierung ihrer Waffen nicht finanzieren. Nach Einschätzung ukrainischer Militärexperten sind zwischen 150.000 und 200.000 Tonnen Munition bei Bränden in den Arsenalen verloren gegangen.
Einer der größten Zwischenfälle dieser Art ereignete sich im September dieses Jahres im Arsenal Nr. 48 im westukrainischen Gebiet Winniza, wo insgesamt 32.000 Tonnen Munition und Raketen für Mehrfachraketensysteme im Feuer aufgegangen sind. Ukrainische Generäle warfen diesen Brand traditionsgemäß „russischen Diversanten“ vor. Aber später tauchten in Medienberichten „pikante“ Einzelheiten auf, und zwar Informationen zu den Ergebnissen von mehreren Revisionen, die mehrere Monate vor dem Zwischenfall durchgeführt worden waren. Und die lassen ganz andere Schlüsse ziehen.
Es stellte sich nämlich unter anderem heraus, dass keines der 187 Objekte des Stützpunktes Feuermeldesysteme gehabt hatte und dass die Munition großenteils unter freiem Himmel sowie in Holzkisten gelagert worden war.
Die zuständige Kontrollkommission führte dieses Durcheinander vor allem auf die mangelhafte Finanzierung zurück: Das Personal des riesigen Militärobjekts hatte aus nur 132 Personen bestanden, für die Aufrechterhaltung des Arsenals wurde kaum Geld bereitgestellt usw. Das ist jedoch die eher typische Situation für ukrainische Munitionslager. General Tolotschny zufolge belief sich die Finanzierung auf höchstens zehn Prozent der einzuhaltenden Norm, während für den Bau von neuen Munitionslagern der „stärksten Armee Europas“ überhaupt keine Mittel bereitgestellt werden.
Veraltete Munition
Aber der Munitionsmangel resultiert nicht nur aus dem „schwarzen Waffenexport“ und dem Durcheinander in den ukrainischen Lagerhäusern. Denn seit dem UdSSR-Zerfall sind immerhin 25 Jahre vergangen, nach denen die Ukraine immer noch nicht in der Lage ist, eigene Munition herzustellen. Außerdem müssen sich die ukrainischen Militärs weiterhin auf sowjetische Vorräte verlassen, die bekanntlich schon weitgehend veraltet sind.
„Nicht lenkbare Geschosse können etwa 20 Jahre und nicht lenkbare Raketen etwa 15 Jahre lang eingesetzt werden“, führte Experte Murachowski an.
Für lenkbare Geschosse und Raketen betrage diese Zeit etwa zehn Jahre. Dabei sollte die Munition in geschlossenen Räumen und bei entsprechenden Temperaturen gelagert werden. „Und in ukrainischen Lagern wurden sie unter freiem Himmel gelagert, so dass ihre Brauchbarkeitsdauer wesentlich geringer wurde.“
Theoretisch könnte die Haltbarkeit der Munition dadurch verlängert werden, dass aus dem Geschossgehäuse der alte Sprengstoff entfernt und es mit neuem Sprengstoff gefüllt wird. Aber in der Ukraine wurde nicht genügend Sprengstoffe hergestellt, also wäre selbst eine solche „Modernisierung“ der Waffen so gut wie unmöglich.
Es ist angesichts dessen kein Wunder, dass ukrainische Medien regelmäßig berichten, die Armee müsste im Donezbecken mit veralteten Waffen kämpfen, deren Schlagkraft deswegen wesentlich geringer ist. Im März explodierte beispielsweise unweit von Donezk ein Geschoss für eine selbstfahrende Artillerieanlage „Gwosdika“ der ukrainischen Streitkräfte, wobei acht Soldaten ums Leben kamen. Experten führten die Explosion mit einer großen Wahrscheinlichkeit auf die Verwendung eines veralteten Geschosses zurück.
Das alles zeugt davon, dass es auch weiterhin solche Zwischenfälle geben wird. Das Kommando der ukrainischen Streitkräfte legt nicht besonders viel Wert auf das Leben bzw. die Gesundheit der Soldaten, und die Kriegskampagne im Donezbecken zeigt das mit aller Deutlichkeit. Auch das Schicksal von Zehntausenden Mitbürgern, die in der Nähe von explosiven Arsenalen leben, spielt für sie offenbar keine große Rolle.
Quelle: Sputnik