Der polnische Präsident Andrzej Duda hat angekündigt, die Gesetze über die Reformen des Obersten Gerichts und des Landesjustizrates zu unterzeichnen. Ob und inwiefern die EU Warschau nun unter Druck setzen kann, dazu äußerte sich der Experte für Polen von der Russischen Akademie der Wissenschaften, Wadim Wolobujew, in einem Sputnik-Interview.
Nur wenige Stunden zuvor hatte Brüssel zum ersten Mal in der Geschichte der Europäischen Union ein Sanktionsverfahren gegen Polen eingeleitet, durch das dem Land im schlimmsten Fall seine Stimmrechte entzogen werden könnten.
EU machtlos
„Die EU ist in dieser Situation so gut wie machtlos“, sagte Wolobujew. „Brüssel kann faktisch nur noch rigorose Geräusche machen. Warschau wird das aber keinesfalls abschrecken.“
Dem Experten zufolge stehen der Europäischen Union insgesamt nur noch drei „Druckmethoden“ zur Verfügung. Einerseits kann Brüssel die Finanzierung von zahlreichen Programmen in Polen, so der Infrastrukturprojekte oder Ausbildungsprogramme, unterbinden. Der polnischen Delegation könne zudem das Stimmrecht im EU-Parlament entzogen werden. Auch einige polnische Politiker, wie der Präsident Andrzej Duda, die Premierministerin Beata Szydło, der Justizminister Zbigniew Ziobro und der Vorsitzende der Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) Jarosław Kaczyński werden eventuell „zu Personen non grata in Brüssel erklärt“, so der Experte. Dabei betonte Wolobujew, dass einzelne EU-Länder in dieser Situation gar keine Schritte unternehmen würden.
Das werde Warschau aber keinesfalls abschrecken, sondern ganz im Gegenteil der innenpolnischen Propaganda zugutekommen. Die Regierungspartei ‚Recht und Gerechtigkeit‘ (PiS) positioniere sich als „Kämpfer für die polnischen Interessen“, die vorher in der EU angeblich missachtet worden seien. „‚Polen erhebt sich von den Knien’, sagen sie. Den Druck seitens der EU deuten sie also als Rache für ihre unabhängige Politik“, so Wolobujew. Alle „Strafmaßnahmen“ seitens Brüssel werde ihre Position also nur noch weiter stärken können.
Der Experte machte zudem deutlich, dass die EU weder Sanktionen noch den Ausschluss Polens aus der Union wagen würde. Die Verhängung von restriktiven Maßnahmen wäre präzedenzlos. Das würde eine Spaltung in der Union bedeuten. Für den Ausschluss Warschaus seien schlicht keine dafür notwendigen Prozederen vorgesehen. „Die gibt es einfach nicht. Und Polen selbst strebt keinen Polexit an“, so der Experte.
Auf dem Weg zur «Diktatur»
Duda behauptet, mit den neuen Reformen „die demokratischen Standards verbessern“ zu wollen. Der russische Experte ist erstaunt: „Wie können sie demokratische Standrads verbessern, wenn sie das Obersten Gericht unter die Kontrolle der Regierung stellen?“ Das Verfassungsgericht sei vielmehr das letzte Hindernis auf dem Weg zur Herstellung der Allmächtigkeit der Regierungspartei „Recht und Gerechtigkeit“. Sie sei, so der Experte, schon jetzt in der Lage, die Regierung unabhängig von den anderen Parteien zu bilden. Der Präsident gehöre ebenfalls der Regierungspartei an, auch die ganze TV-Branche in Polen stehe unter ihrer Kontrolle. „Mit dem Übergang des Verfassungsgerichts unter die Kontrolle des Justizministeriums werden alle politischen Staatsorgane der Regierungspartei untergeordnet“, fährt Wolobujew fort.
Genau dies errege die größte Besorgnis in der EU. „Denn alles deutet auf die Herstellung einer Diktatur in Polen hin“, so der Experte. Es gehe zwar nicht um die absolute Diktatur, dafür aber gewiss um die Konzentration der Macht in den Händen einer Person, wie dies bereits in Ungarn der Fall sei. Das alles sei für die EU natürlich sehr gefährlich.
Der Initiator dieser Veränderungen sei dabei aber nicht Duda selbst, sondern der so genannte Hintermann Jarosław Kaczyński. „Duda und der amtierende Premier sind Marionetten, sie entscheiden gar nichts. Die unbestreitbare Leitfigur und der Hintermann ist Jarosław Kaczyński.“ Sein Ziel sei es, die Geheimdienste und Sicherheitsorgane zu reformieren und dann „die vierte Republik“ zu gründen.
Quelle: Sputnik