„Desaströse Werte bestätigen: Ihr Zenit ist überschritten“ — Die Welt

Die Presse geht hart mit der Kanzlerin ins Gericht: Die Bevölkerung sei ihrer überdrüssig, es gebe eine Merkel-Müdigkeit, nie zuvor sei sie so machtlos gewesen. Kommentatoren vergleichen ihre Situation mit der eines anderen Altkanzlers.

Eine Umfrage brachte es gestern ans Licht: Jeder zweite Deutsche wünscht sich einen vorzeitigen Abgang von Angela Merkel als Kanzlerin, nur 36 Prozent wollen sie weitere vier Jahre im Amt sehen. Ihre Beliebtheitswerte sind überraschend schnell eingebrochen, Anfang Oktober waren noch 44 Prozent dafür, dass sie ihr Amt bis 2021 behält.

Ein solcher Überdruss habe am Ende seiner Amtszeit auch Helmut Kohl entgegengeschlagen, schreiben die Kommentatoren in den deutschen Zeitungen. Sie sind sich weitgehend einig: Auch wenn die Experten seit Jahren unerfolgreich eine Götterdämmerung herbeireden, sei jetzt aber wirklich „Merkels Zenit überschritten“.

„Neue Osnabrücker Zeitung“: Union sollte sich auf Ende der Ära Merkel einstellen

Die desaströsen Umfragewerte für Angela Merkel bestätigen, was sie auch selbst ahnen dürfte: Nach zwölf Jahren im Amt ist ihr Zenit überschritten. Ihr Glück ist, dass der Urnengang keinen wirklichen Gewinner brachte, vielleicht mit Ausnahme der AfD, die das Vakuum füllt, das Merkels Linkskurs in der Flüchtlingspolitik im konservativen Lager hinterlassen hat.

Dass nun ausgerechnet die vom Wähler Abgestraften weiterregieren müssen, zeugt von einer gewissen Ironie des Schicksals. Nach dem Platzen des Luftschlosses Jamaika-Koalition schleppen sich Union und SPD wohl nun widerwillig wieder in eine Große Koalition. Aus dieser verfahrenen Situation gibt es keinen einfachen Ausweg. Die Union sollte sich aber auf ein Ende der Ära Merkel einstellen und die Nachfolge regeln.

„Schwäbische Zeitung“: Die Bevölkerung macht Merkel für Hängepartie verantwortlich

 Angela Merkel geht im Moment durch eine der schwierigsten Phasen ihrer Kanzlerschaft. Das Scheitern der Jamaika-Sondierungen hat ihr mehr geschadet, als viele – vielleicht auch sie selbst – zunächst gedacht haben. Die Bevölkerung und wirtschaftliche Interessenvertretungen warten mehr als drei Monate nach der Wahl noch immer auf eine neue Regierung, neue Impulse, neue Perspektiven.

Sie machen Angela Merkel für diese Hängepartie persönlich verantwortlich. Und die politische Konkurrenz versucht, Profit aus der Schwäche der Kanzlerin zu schlagen. So ist das politische Geschäft nun mal. Merkel wird nicht erwartet haben, dass sie von den Genossen mit Samthandschuhen angefasst wird. Dafür ist sie selbst viel zu sehr Machtmensch. Merkel will noch, Merkel kann noch.

„Stuttgarter Nachrichten“: Wer nicht liefert, ist geliefert

Vor einem Jahr hatte Angela Merkel erstmals erfahren müssen, dass ihre Popularität nicht in Beton gegossen ist. Damals galt Schulz über Nacht einer kurzatmigen Umfrage-Mehrheit als Alternative für morgen. Noch immer ist man sich in der CDU nicht im Klaren darüber, ob das damals nur ein schwammiges Zwischentief war. Oder der desaströse Wahlsieg am 24. September nur ein schwüles Zwischenhoch. Das merkt man ihr an. Deshalb ist es höchste Zeit, dass in Berlin endlich geschafft wird statt geschwiegen und geschwafelt.

Eine Kanzlerin im Wartestand verspielt Vertrauen. Volksparteien, die nicht wissen, was sie wollen, auch. Die nächsten Wochen werden auch Merkel über kurz oder lang zeigen: Beliebigkeit bringt keine Prozente. Wer nicht liefert, ist geliefert.

„Rheinische Post“: Merkel muss aufpassen, nicht vom Hof gejagt zu werden

In ihren zwölf Amtsjahren stand die Kanzlerin noch nie so machtlos da wie derzeit. Gleichwohl gelingt es ihren Gegnern nicht, sie ernsthaft ins Wanken zu bringen. Sie sind zu schwach, zu wenig einig, zu wenig planvoll. Hier eine Boshaftigkeit eines FDP-Vize-Chefs, dort der Versuch eines ausrangierten SPD-Chefs, Bedingungen für eine nächste Regierung zu diktieren, dazu die bekannte Fundamentalkritik von Linken und AfD.

Merkel muss sich über die Startlinie einer neuen Regierung schleppen. Dennoch ist kein politischer Gegner und kein kritischer Parteigänger schneller als sie. Das wahrscheinlichste Szenario ist, dass es bis Ostern tatsächlich ein neues Regierungsbündnis aus Union und SPD gibt. Vermutlich nach zwei Jahren wird die SPD einen guten Grund finden, aus der Regierung auszusteigen. Wenn Merkel daran gelegen ist, nicht eines Tages vom Hof gejagt zu werden, sollte sie die Zeit nutzen, einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin aufzubauen.

„Reutlinger General-Anzeiger“: Parteien machen nichts aus der Merkel-Müdigkeit

Insofern ist die Umfrage auch eine Ohrfeige für die anderen Parteien, weil sie zu wenig aus der Merkel-Müdigkeit machen. Die SPD hat als zweitgrößte Partei ihre Führungsfrage immer noch nicht geklärt und ringt weiterhin mit sich. Und die anderen Oppositionsparteien schaffen es nicht, ein Regierungsbündnis außerhalb von Schwarz-Rot zu organisieren. Deutschland scheint politisch gelähmt. Es fehlt weiterhin eine glaubwürdige Alternative zu Merkel.

„Landeszeitung“: Der Überdruss schlug am Ende auch Kohl entgegen

Nicht mal Angela Merkel ist eine ewige Kanzlerin. Zwar ist Juso-Chef Kevin Kühnert nicht der Erste, der die Götterdämmerung in der Ära Merkel herbeireden will. Vielmehr blamierten sich schon seit Jahren die Experten und politischen Rivalen, die beim Blick in ihre Glaskugel das baldige Aus der ersten Kanzlerin zu erkennen glaubten. Immer wieder warteten die Beobachter vergeblich auf die angekündigte Revolte der Konservativen in der Union. Doch irgendwann wird ein Augur recht behalten.

Wohl eher nicht, weil die Union nach Atomausstieg, Wehrpflicht-Ende und Homo-Ehe ihrer von Merkel verordneten Sozialdemokratisierung überdrüssig wird. Sondern weil die Bürger der Kanzlerin überdrüssig werden. Dieses Gefühl schlug am Ende seiner Amtszeit schon Helmut Kohl entgegen. Spätestens ab der vierten Amtszeit scheinen eine Immunabwehr der Deutschen gegen monarchische Verhältnisse anzuspringen.

„Volksstimme“: In der CDU wird die Schar der Merkel-Gegner größer

Ohne Angela Merkel an der Regierungsspitze hätte Deutschland bereits ein neues Kabinett. Dies folgt aus den Anwürfen, die sich die Kanzlerin zunehmend gefallen lassen muss. Da sind die Herren Lindner und Kubicki von der FDP, die ihr das Jamaika-Scheitern zuschanzen und mit einer Union ohne die Dauerkanzlerin neu verhandeln würden.

In ihrer CDU wird die Schar der Gegner größer. Nun hat der frühere Kohl-Sprecher Friedhelm Ost das Desinteresse der Kanzlerin an ihrer Heimat gerügt. Er hat recht, Merkels mangelnder Einsatz für Ostdeutschland gehört wie die unbedachte Energiewende und die unbewältigte Flüchtlingskrise zu den großen Ausfällen ihrer Amtszeit. Eine Merkel-konforme Regierung wäre nur vorstellbar, wenn sich ihre verbliebenen Unionsgetreuen mit Grünen-Realos und ämterverliebten SPD-Leuten wie Sigmar Gabriel zusammentun würden. Da dies jeder Realität entbehrt, wird alles andere, was da mit Merkel als Regentin kommen mag, maximal ein Kabinett für kurze Zeit sein.

Quelle: Die Welt