Iran-Experte Peter Philipp: Protestler bekommen Unterstützung von außen

Bei Protesten gegen steigende Preise wurden im Iran Polizeistationen angegriffen und mehrere Menschen getötet. Peter Philipp von der der Deutsch-Iranischen Gesellschaft sieht dafür neben wirtschaftlichen auch innerpolitische Gründe. Der langjährige Leiter der Nahost-Abteilung der Deutschen Welle sieht das Atomabkommen jedoch nicht in Gefahr.

Herr Philipp, wie ernst muss man die Proteste im Iran nehmen? Kann man davon sprechen, dass hier das Volk demonstriert? 

Das wäre, glaube ich, immer noch etwas übertrieben, obwohl die Vorfälle natürlich ernst sind. Denn sie verbreiten sich von Tag zu Tag über das ganze Land. Das zeigt, dass diese Vorfälle doch eine andere Qualität haben als Demonstrationen in der Vergangenheit, die primär politisch motiviert waren. Hier geht es wahrscheinlich wirklich in erster Linie um die Gründe des Alltags: dass die Armen immer ärmer werden, dass die Anzahl der Arbeitslosen steigt, dass es Korruption gibt, dass die Preise steigen, die Inflation weiter steigt.

Das ist die Unzufriedenheit der einfachen Leute im Iran. Es ist aber trotzdem etwas überraschend, denn es waren auch diese Leute, die Präsident Rouhani vor knapp sechs Monaten gewählt hatten, weil sie sich von ihm versprachen, dass die Dinge sich verbessern würden. Die wahren Gründe liegen sicher in erster Linie im innenpolitischen Bereich.

Und da liegt der Verdacht sehr nahe, dass Ebrahim Raissi, der Gegenkandidat Rouhanis bei den Präsidentschaftswahlen, alles daran setzt, die Regierung Rouhani in den Augen der Iraner zu diskreditieren und damit das Argument der Erzkonservativen weiterzuverbreiten, dass die Liberalisierungsansätze, die Rouhani immer wieder verspricht und die er auch zu machen versucht, nicht umgesetzt werden und dass das alles nur eine Fata Morgana ist.

Bei uns sagt man in erster Linie natürlich: Schaut her, wie hart das Regime reagiert! Dem ist ja auch so. Wie sollte Rouhani jetzt damit umgehen?

Zunächst einmal hatte ich den Eindruck, in den ersten Tagen zumindest hat das Regime überhaupt nicht hart reagiert. Wenn man sich die Videoaufnahmen von diesen Demonstrationen ansah, dann bestand die Reaktion zunächst einmal darin, dass die Polizei mit Wasserwerfern auffuhr und versuchte, diese Demonstrationen auseinanderzutreiben. Das war im Vergleich zu früheren Vorfällen im Iran verhältnismäßig zahm und zurückhaltend und wahrscheinlich eben auch motiviert durch Rouhani, der sagte, die Leute im Iran haben doch das Recht zu demonstrieren.

Wenn man das mit den Zuständen in der Bundesrepublik Deutschland oder in anderen Ländern vergleicht, dann muss man immerhin sagen, auch hier müssen Demonstrationen angemeldet werden. In den letzten Tagen hat sich die Gangart der Behörden verhärtet und verschärft. Aber das liegt wahrscheinlich auch daran, dass auch die Demonstranten weiter gingen als in den ersten Tagen.

Wenn man hört, dass sie versucht haben, eine Polizeistation einzunehmen und Waffen von dort zu entwenden, dann ist das natürlich ein Vorfall, der in keinem Land geduldet würde und in jedem Land wahrscheinlich zu gewalttätigen Auseinandersetzungen und zu Verletzten und Toten und auf jeden Fall zu Verhaftungen führen würde.

Wie gefährlich können denn diese Proteste für die Stabilität im Iran und auch für Rouhani selbst werden?

Rouhani könnte natürlich daran scheitern. Er versucht jetzt krampfhaft, zu versichern, dass er gewisse demokratische Prinzipien hochhalten will, wie zum Beispiel das Demonstrationsrecht. Wenn aber Extremisten weitergehen als das, was selbst Rouhani ihnen zuzugestehen bereit ist, dann kann das zu einem Scheitern führen, insofern als die Radikalen sagen: Hier, das ist ein Schwätzer, der Mann ist einmal nicht in der Lage, die Wirtschaft des Landes wieder in Gang zu bringen, und zum anderen ist er nicht in der Lage, die Sicherheit des Landes zu gewährleisten, er muss weg. Dann könnte natürlich wieder Herr Raissi als rettender Engel aus Maschhad auftreten. Das wäre eine denkbare, aber sicher denkbar schlechte Lösung.

Erhalten die Protestanten auch Hilfe von außen? Der Iran hat ja doch viele Feinde.

Bestimmt bekommen sie Unterstützung von außen. Es gibt einige Hinweise darauf. Die sozialen Netzwerke standen im Zentrum der ersten Tage der Demonstrationen. Deswegen versuchen die Behörden auch, einige dieser Netzwerke lahmzulegen, damit die Demonstranten nicht nur nicht untereinander kommunizieren können, sondern damit sie auch nicht mehr Kommuniqués oder Aufträge von außen bekommen können, was höchstwahrscheinlich ist.

Denn Länder wie Saudi-Arabien und einige andere in der Region und natürlich auch noch fernere Hauptstädte wie Washington hoffen, dass Rouhani und der Iran in solche Schwierigkeiten geraten, dass man sich darum keine Sorgen mehr zu machen braucht.

Meinen Sie, der Konflikt mit den USA wird sich wieder verschärfen?

Das hängt sehr davon ab, was Herr Trump tut. Seine bisherigen Entscheidungen in der Frage auch des Iran waren mehr als negativ und sehr, sehr schädlich für die Entwicklungen im Nahen Osten. Und es ist eigentlich zu befürchten, dass aus der Richtung in absehbarer Zeit nichts Positives kommen wird.

Aber das Atomabkommen wird halten?

Das Atomabkommen wird halten. Die IAEA, die Atomenergiebehörde in Wien, hat immer wieder bestätigt, dass der Iran sich an das Atomabkommen hält. Dagegen kann Trump eigentlich nichts tun. Auch der Senat und das Repräsentantenhaus in den USA sind nicht seiner Meinung, dass man es aufkündigen müsse. Und selbst wenn er es täte, bisher jedenfalls halten die Europäer daran fest.

Armin Siebert

Das Interview mit Peter Philipp zum Nachhören:

Quelle: Sputnik

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