Was war das für ein Abgesang auf die FDP und Christian Lindner: Nach dem Jamaika-Aus Mitte November wurden die Freien Demokraten und ihr Chef wochenlang mit Kritik und Häme überzogen. Man warf Lindner politischen Egoismus vor, Feigheit, ja sogar die Flucht vor staatspolitischer Verantwortung. Der FDP-Chef habe seine Partei ins politische Abseits manövriert, hieß es vielerorts. Und sich gleich mit.
An diesem Wochenende treffen sich die Liberalen in Stuttgart zum traditionellen Dreikönigstreffen. Als Parteichef wird Lindner im Zentrum des Interesses stehen. Denn Lindners Karriere ist nicht vorbei. Sie dürfte nach dem Abbruch der Jamaika-Sondierungen erst richtig losgehen. Vier Gründe, die dafür sprechen:
1. Lindner gibt der FDP Zeit für einen echten Wiederaufbau
Nach vier Jahren in der APO kehrte die FDP im September in den Bundestag zurück. Von den 80 Abgeordneten haben mehr als drei Viertel keine Bundestagserfahrung, viele konnten bis heute noch nicht einmal ihre künftigen Bundestagsbüros beziehen.
Lindner weiß aus den Jahren 2009 bis 2013, wie gefährlich es ist, überhastet und schlecht vorbereitet in eine Regierung einzutreten. Deshalb will er der FDP-Fraktion Zeit geben, in der Opposition das Politgeschäft richtig zu lernen, potentielle Minister aufzubauen und das Profil der Partei zu schärfen. Mit dem Ziel, in der nächsten Legislaturperiode wieder Teil der Bundesregierung zu sein. Dann könnte Lindner Minister werden oder wäre Fraktionschef einer Regierungspartei — mit großer Macht. Mehrmals hat Lindner in Fraktionssitzungen zuletzt betont, das Bundestags-Comeback sei eine «Zwischenetappe» — mehr aber auch nicht.
2. Lindner befreit die FDP vom Umfallerimage
Machtversessen, Mehrheitsbeschaffer, Umfallerpartei — diese Etikette wurden der FDP in der Vergangenheit immer wieder angeheftet. Und nicht zu unrecht. 2013 stand die Partei aus Angst vor eigenem Profil und politischer Unangepasstheit vor dem Polit-Suizid. Weil die meisten Wähler nicht mehr mit ansehen konnten, dass das Rückgrat der FDP die Form einer Banane angenommen hatte.
Lindners Lehre daraus: Die FDP kann nur wieder mitregieren, wenn ihre Abgeordneten jetzt beweisen, dass ihnen Inhalte wichtiger sind als Dienstwagen und Ministerposten.
3. Der aktuelle Gegenwind stählt den FDP-Chef für künftige Krisen
Christian Lindner war der Superstar am 24. September, dem Tag der Bundestagswahl. Er war beliebt, selbst bei Nicht-FDP-Wählern. Und er wurde umworben von Union und Grünen. Wem gefällt das nicht?
Umso größer die Enttäuschung und umso schmerzhafter die Erfahrung, wenn der Liebesentzug kommt. Nach dem Jamaika-Aus sieht sich Lindner plötzlich massiver Kritik, Häme und Spott ausgesetzt – selbst aus den eigenen Reihen. Von Hundert auf Null binnen weniger Stunden.
Der Polit-Buhmann der Nation zu sein, behagt verständlicherweise niemandem. Aber jeder Politiker mit großer Karriere hat mindestens einmal in seiner Laufbahn eine solche persönliche Krise meistern müssen. Denn erst durch diese Polit-Emanzipation gewinnt man zusätzlich an Kraft, Statur und Ansehen. Und bekommt Routine, um künftige Krisen zu überstehen und sich an der Macht zu halten — oder sie sogar noch auszubauen.
4. Die Zeit spielt für Lindner
Es ist ein offenes Geheimnis, dass Angela Merkel und Christian Lindner nicht miteinander können. Für die Bundeskanzlerin ist Lindner ein Aufschneider, der viel zu forsch und laut auftritt. Umgekehrt sieht Lindner in der CDU-Chefin eine Politikerin, die am Ende ihrer Ära steht und sich auf das Verwalten des Status Quo verlagert hat – um möglichst wenig Kritik zu provozieren.