Der Syrienpolitik und eine Vielzahl innen- und geopolitischer Fragen haben zunehmende Spannungen zwischen den USA und ihrem NATO-Verbündeten, der Türkei, hervorgerufen. Es bleibt aber strittig, ob Erdogan tatsächlich bereit ist, mit den USA zu brechen.
von Dr. Kamran Gasanow
Seit Beginn der US-geführten Militäroperation in Syrien gegen den IS im August 2014 haben sich die Beziehungen zwischen den USA und der Türkei verschlechtert. Die Regierung von Recep Tayyip Erdogan sieht in Lieferungen von amerikanischen Waffen an die Kurden eine direkte Bedrohung, auch wenn sie zum Sieg über den «Islamischen Staat» beitragen. Der zweite Wendepunkt war der Putschversuch im Juli 2016, als Washington Erdogan nicht nur nicht unterstützte, sondern auch den Putschisten den Rücken stärkte. Nach diesen beiden Ereignissen erscheinen die Kontroversen über die russische S-400, Jerusalem und diplomatische Skandale nicht mehr sensationell. Wie man so sagt, es gibt nichts mehr zu verderben. Allerdings bestätigt jede Diskrepanz das Vorhandensein, wenn nicht einer Spaltung, so doch gravierender Unterschiede zwischen den NATO-Partnern.
Einer der jüngste Angriffe Erdogans auf das Weiße Haus stellte dessen Verurteilung der Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Irans dar. «Nur zwei Menschen unterstützen die Demonstrationen im Iran – Trump und Netanjahu», konkretisierte der türkische Präsident seine Vorwürfe. Die eindeutige Unterstützung für Teheran, die die Schlagzeilen der regierungsnahen türkischen Medien reflektieren («westliches Szenario», «Soros-Aktivisten von Gezi sind jetzt im Iran»), spiegelt den Krisenzustand der türkisch-amerikanischen Beziehungen wider.
US-Gerichtsurteil rehabilitiert den «Putschversuch des Parallelstaats»
Der Chefredakteur der Moskauer MK Türkei, Jaschar Nijasbajew, lenkt den Fokus auf die Tatsache, dass «die gleichen Leute, die jetzt der iranischen Regierung beistehen‚ früher in ähnlichen Umständen eingeschworene Anhänger des Arabischen Frühlings waren und die Demonstranten für sie die Menschen waren, die der Unterdrückung durch Diktatoren müde sind». Ankara ist sich bewusst, dass die von den USA verfolgte Nahost-Politik, deren Bestandteil die Bewaffnung der Kurden ist, den nationalen Interessen der Türkei enormen Schaden zufügt. Und in diesem Sinne ist Teheran mit seiner eindeutigen anti-kurdischen Strategie, ganz anders als Washington, ein vorhersehbarer Partner.
Ob Zufall oder nicht, aber weniger als eine Woche, nachdem Erdogan sich mit Hassan Rohani solidarisiert hatte, feuerten die Vereinigten Staaten eine Salve der besonderen Art auf Ankara ab. New Yorker Richter hatten den früheren Vize-Chef der türkischen Halkbank, Mehmet Hakan Atilla, des Bankbetrugs und der Verletzung der Iran-Sanktionen für schuldig befunden. Für Erdogan, der bis zum letzten Moment mit einem Freispruch für den Banker gerechnet hat, wirkte dies wie «ein rotes Tuch». Und der Grund dafür ist nicht, dass die Türkei hier als Betrügerin gegenüber den Vereinigten Staaten dargestellt wird. Der eigentliche Trick besteht darin, dass nach den Aussagen des bereits verurteilten iranischen Geschäftsmannes Reza Zarrab Erdogan über alle Betrügereien nicht nur Bescheid wusste, sondern diese auch billigte. Darüber hinaus war in jene illegalen Geschäften mit dem Iran, die Kabinettsmitglieder gedeckt hatten, angeblich auch der Sohn des damaligen Ministerpräsidenten, Bilal Erdogan, verwickelt. So rehabilitiert Washington durch dieses Gerichtsverfahren die in der Türkei vertuschte «Große Bestechungsaffäre» von 2013 und zielt damit auf die Autorität von Erdogan.
Ob es Trumps Regierung damit gelungen ist, Erdoğan gefügig zu machen, ist noch unklar. Aber seine feindliche Rhetorik sagt aus, dass der Präsident der Türkei ins Fettnäpfchen getreten war. Die Unterbrechung der diplomatischen Beziehungen kann er nicht erklären, deswegen greift er zu Androhungen ohne rechtliche Konsequenzen: «Bilaterale Abkommen zwischen uns treten außer Kraft.» Bemerkenswert ist, dass sich noch kurz zuvor zwischen den USA und der Türkei eine Normalisierung abgezeichnet hatte, als drei Tage vor dem Jahreswechsel die wechselseitigen Beschränkungen bei der Visa-Ausstellung aufgehoben wurden.
USA werden am Bündnis mit Kurden festhalten
Es gibt nun drei Möglichkeiten: Entweder die erstgenannte Partei ist mit der zweiten unzufrieden oder die zweite mit der ersten oder beides zusammen. Was Ankara stört, ist evident und wird laut ausgesprochen: Keine Hilfe an die kurdische Miliz YPG, Auslieferung von Fethullah Gülen und keine Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Türkei (wie im Fall von Zarrab). Die Ansprüche der USA sind hingegen ambivalent und manchmal versteckt. Etwa bei den Lieferungen der russischen S-400 wollten das Pentagon und die NATO Erdogan zunächst bestrafen. Mehr oder weniger konkrete Äußerungen kann man dem jüngsten Bericht des nationalen Sicherheitsberaters des US-Präsidenten entnehmen. Herbert McMaster erklärte die Türkei und Katar zu den Hauptverantwortlichen für die Verbreitung extremistischer Ideologien. McMaster kritisierte Ankara an dem Tag, an dem Erdogan den russischen Präsidenten Wladimir Putin getroffen hat. In demselben Bericht wird Russland als «revisionistische Macht» bezeichnet.
Warum üben die USA Druck auf Erdogan aus? Erstens, weil die von ihm verfolgte Politik nicht der Nahost-Strategie der Vereinigten Staaten entspricht. Erdogan will die YPG beseitigen, die im Kampf gegen den IS gestärkt wurde und ihre Territorien ausweiten konnte. Der türkische Präsident sagt offen, dass er die kurdische Partei Democratic Alliance (PYD), deren militärischer Flügel die YPG sind, zerstören will. «Wir wollen nur, dass niemand uns hindert und uns den Weg versperrt», sagte er. Hier geht es vor allem um die Militäroperation im syrischen Afrin. Die USA, die Dutzende Militärstützpunkte in den kurdischen Kantonen hat, werden eine Intervention der Türkei nicht dulden. Unabhängig davon, ob Trump bleibt oder geht, wird jeder Chef des Weißen Hauses dem Konzept von Ralf Petrs folgen. Die USA werden auf die YPG nicht nur im militärischen Bereich, sondern auch in der Nachkriegsphase setzen. Die Kurden sind in den Händen der Amerikaner ein Mittel der Manipulation von gleich vier Regionalmächten, darunter Syrien, der Iran, der Irak und die Türkei selbst. Das zweite Motiv des US-Drucks auf Ankara ist die «politische Säuberung», die Kräfte in der Türkei — wie die Gülen-Anhänger und das Militär — aus dem türkischen Establishment entfernte, mittels derer die USA das Land beeinflussen konnten.
NATO-Verbleib bleibt Gegenstand von Debatten
Schließlich passt den USA die regionale und globale Agenda Erdogans nicht. Die Annährung an Russland und den Iran bildete ein alternatives Modell für Syrien. Man kann nicht behaupten, dass in Astana Harmonie und gegenseitiges Einverständnis herrschen, aber im syrischen Konflikt agieren die Türkei und die Vereinigten Staaten nicht als eine geeinte Anti-Assad-Front. Die Vereinigten Staaten sollen auch deswegen empört sein, weil Erdogan versucht, die sunnitischen Monarchien auf seine Seite zu ziehen. Katar, Jordanien, Kuwait und die VAE sind sich der wirtschaftlichen Verluste bewusst, die durch ihre Unterordnung unter die Kriegsrhetorik Riads gegen Teheran verursacht werden. Saudi-Arabien und Israel bleiben die Hauptverbündeten Trumps im Nahen Osten, und Ankara fordert beide heraus.
Bei der Analyse der amerikanisch-türkischen Krise bleibt die Frage offen: Wie weit kann diese gehen? Einige Hitzköpfe spekulieren, dass die Türkei aus der NATO austritt. Andere wie Salman Rafi Sheikh sagen sogar voraus, dass die NATO selbst Ankara aus ihren Reihen wirft. Einige Experten wie Sarkis Tsaturjan glauben, dass die Krise eine «innertürkische Geschichte» ist, und separate politische Differenzen keine tektonischen Verschiebungen verursachen werden, insbesondere nicht einen Austritt aus der NATO.
Erdogan will sich Spielraum erhalten
Bei allen Meinungsverschiedenheiten sind die USA und die Türkei doch Mitglieder eines Militärblocks, und bei möglichen Differenzen mit Teheran und Moskau bleibt Washington eine reale Alternative in Ankaras Händen. Eine vollständige Abgrenzung von den USA würde die Türkei abhängiger vom Kreml machen, worüber sich viele türkische Journalisten beschweren. Deniz Zeyrek schrieb in einem kürzlich erschienenen Artikel, dass Russland die Verschlechterung der Beziehungen zwischen der Türkei und dem Westen «als Trumpfkarte verwendet», und in den Gesprächen in Sotschi/Astana täte die Türkei alles, «was Russland braucht». Professor Huseyin Bagci teilt diese These und stellt mit Bedauern fest, dass «die Türkei unter einem starken Einfluss Russlands steht, was in den letzten 25 Jahren noch nie der Fall war».
Deshalb lässt Erdogan sich in seinen Auseinandersetzungen mit der EU und den USA einen Handlungsspielraum offen. Am 30. Dezember äußerte der türkische Präsident den Wunsch, mit den Vereinigten Staaten in Syrien zu kooperieren: «Wir wollen mit den Vereinigten Staaten in der gleichen Art und Weise in Syrien zusammenarbeiten, wir mit Russland und dem Iran arbeiten. Die Frage ist, ob die USA das wollen. Wir würden gerne mit den Amerikanern zusammenarbeiten.» Diese Äußerung kommt sozusagen, um die Illusion auszuräumen, dass Ankara mithilfe Moskaus und Teherans Washington beiseiteschieben wird. Andererseits wiesen Erdoğans Frankreich-Besuch und das Treffen mit Merkel darauf hin, dass die Türkei Abhängigkeiten befürchtet und eher weiterhin zwischen den USA, Russland und der EU manövrieren wird.
Quelle: RT