Nach dem SPD-Parteitag mit seiner knappen Entscheidung für Koalitionsverhandlungen wird der Druck auf die Union höher. Sie weiß genau: Ein Sondierungspapier ist nicht gleich ein Koalitionsvertrag, die Sozialdemokraten wollen nachverhandeln. Lässt sich Bundeskanzlerin Angela Merkel zu einem sozialdemokratischen Regierungsprogramm drängen?
Knapp, knapper, SPD – wären Fraktionschefin Andrea Nahles oder Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz ihrem Parteichef nicht zu Hilfe geeilt, Martin Schulz hätte wohl eine krachende Niederlage auf dem Bundesparteitag eingefahren. Doch durch teils emotionale Reden führender Sozialdemokraten ließen sich die Delegierten am Ende knapp zu einem Ja überreden. Jedoch sorgen 56 Prozent Zustimmung bei der Parteispitze sicher nicht für überschwängliche Zufriedenheit.
Jetzt geht es erst richtig los…
Martin Schulz weiß, nur wenn er in den Koalitionsverhandlungen entscheidende Punkte für seine Partei nachverhandeln kann, wird die SPD-Basis bei einem Mitgliederentscheid dem finalen Koalitionsvertrag zustimmen. Das machte auch der Hauptgegner einer GroKo, der Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert nach der Abstimmung deutlich. Er wolle am Ende der Koalitionsverhandlungen noch einmal eine Bewertung vornehmen:
„Ich bin weiterhin sehr skeptisch, insbesondere weil die mehrheitliche Einschätzung dahingehend war, dass in Koalitionsverhandlungen nichts Grundlegendes mehr am Sondierungsergebnis geändert werden kann. Wenn das tatsächlich so sein sollte, wäre das für uns zu wenig.“
Nach dem Abschluss der Koalitionsverhandlungen wollen die Jusos den SPD-Mitgliedern ihre Einschätzung zu dem Ergebnis und eine Abstimmungsempfehlung zukommen lassen. Das bedeutet nichts Gutes für CDU-Chefin Angela Merkel und auch der bayerischen Schwesterpartei CSU schwant Böses. Die Genossen habenIhrer SPD-Spitze den Auftrag mit auf den Weg gegeben, in den Punkten sachgrundlose Befristung, Bürgerversicherung und Familiennachzug von Flüchtlingen ein besseres Ergebnis zu erreichen.
Bereits zuvor hatte Martin Schulz seinen Delegierten versprochen, eine neue Regierung müsse eine sozialdemokratische Politik machen. Ein „Weiter so“ stehe nicht zur Debatte, die Politik müsse sich grundlegend ändern. Deutlicher wird SPD-Vize Ralf Stegner, nach Abschluss des Parteitags sagte er gegenüber Sputnik:
„Da muss etwas passieren. Auch darüber werden wir verhandeln und dann wird sich zeigen, ob die Union sich bewegt. Wenn sie es nicht tut, dann gibt es keine große Koalition.“
Und das wäre auch für die Union bitter. Da die Kanzlerin bereits eine Minderheitsregierung ausgeschlossen hatte, blieben nur Neuwahlen und die würden CDU, CSU und auch SPD sehr wahrscheinlich weitere Einbußen bescheren. Was also tun? Der SPD noch weiter entgegenkommen, damit die Basis am Ende zustimmt? Die GroKo-Skeptiker in der SPD wünschen sich genau das: Mehr sozialdemokratische Handschrift in einer neuen Bundesregierung. Der Berliner Delegierte Kevin Hönicke stimmte auf dem Parteitag mit einem Nein gegen Koalitionsverhandlungen, auch er will jetzt die Verhandlungen genau beobachten:
„Man hat gemerkt, dass es auch eine Art Generationsfrage war, wer für und gegen die GroKo ist. Wir werden jetzt natürlich die Verhandlungsgruppe der SPD daran messen, dass die Versprechen des Parteivorstands eingehalten werden. Ich bin weiter skeptisch, dass das mit CDU und CSU zu vereinbaren ist.“
Diese Skepsis ist durchaus berechtigt, noch am gleichen Abend verkündete CSU-Chef Horst Seehofer, dass im Sondierungspapier bereits alles verhandelt sei, Korrekturen seitens der SPD seien nicht vorgesehen. Ähnlich äußerte sich die Kanzlerin. Aber was soll sie auch sagen, hinter verschlossenen Türen kann es bei Koalitionsverhandlungen schon wieder ganz anders aussehen. Da ist sich auch Norbert Römer, Vorstandsmitglied der SPD in NRW sicher. Er hatte bereits seit Tagen für die Verhandlungen geworben. Auf dem Bundesparteitag sagte er gegenüber Sputnik:
„Ich hab dafür geworben, weil wir noch ein bisschen mehr rausholen können und rausholen werden. Dabei geht es vor allem darum, für mehr sichere Arbeit für junge Leute zu sorgen, die Sachgrundlose Befristung muss weg. Wir brauchen auch den Einstieg aus dem Ausstieg aus der Zweiklassenmedizin. Frau Merkel muss wissen, das wollen und werden wir hineinverhandeln.“
Die wohl emotionalste Rede für eine neue GroKo hatte zuvor die SPD-Fraktionsvorsitzende Andrea Nahles gehalten. Sie habe zwar keine Angst vor Neuwahlen, aber sie habe Angst vor den Fragen der Menschen, wenn es zu Neuwahlen käme. Die Wähler würden fragen, warum die SPD erneut mit einem Programm antrete, von dem sie bei einer Neuauflage der Großen Koalition 80 Prozent hätte umsetzen können:
«Die Wähler zeigen uns einen Vogel. Macht die SPD denn nur noch Politik, wenn sie die absolute Mehrheit bekommt? Das ist doch Blödsinn, verdammt noch mal. Wir werden verhandeln, bis es quietscht.»
Sollte die SPD aber tatsächlich im Sondierungsergebnis 80 Prozent ihres Wahlprogramms wiedererkennen, muss sich die Parteispitze die Frage stellen lassen, ob das Programm von vornherein überhaupt sozialdemokratisch war, wenn die Schnittstellen mit der Union nun angeblich so groß sind. Oder rückt die Union tatsächlich so weit nach links, dass Frau Merkel bald ein Büro im Willy-Brandt-Haus beziehen wird? Die Wahrheit liegt wohl in der Mitte.
Ein Dilemma für Angela Merkel…
Über die politische Zukunft der Kanzlerin entscheidet jetzt erst einmal die SPD-Basis, wenn diese bei ihrem Mitgliederentscheid nach den Verhandlungen über eine mögliche GroKo abstimmen wird. Eine sozialdemokratische Merkel-Regierung dürfte außerdem auch die CSU bei den diesjährigen Landtagswahlen in Bayern reichlich Stimmen kosten. Und das freut dann auch wieder die GroKo-Kritiker in der SPD, denn so oder so haben die Genossen jetzt alle Trümpfe in der Hand: Entweder Merkel rückt nach links, oder die SPD-Basis rückt die Kanzlerin ins politische Abseits.
Ein Kommentar von Marcel Joppa
Quelle: Sputnik