Saudi-Arabien verletzt nach Einschätzung der NGO Human Rights Watch (HRW) das humanitäre Völkerrecht im Jemen. HRW fordert Sanktionen gegen den saudischen Kronprinzen wegen Kriegsverbrechen. Insbesondere deutsche Firmen profitieren von dem Leid der Zivilisten.
Die in New York ansässige Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch zeigt in einem neuen Bericht auf, wie Saudi-Arabien für eine Vielzahl vermeidbarer ziviler Todesfälle im Jemen verantwortlich ist und mehrfach das humanitäre Völkerrecht verletzt hat:
Saudi-Arabien hat zahlreiche Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht begangen. Bis November wurden laut UN-Menschenrechtsbüro mindestens 5.295 Zivilisten getötet und 8.873 verwundet, wobei die tatsächliche Zahl der Opfer unter der Zivilbevölkerung wahrscheinlich noch viel höher ist.
Bereits im Jahr 2017 berichtete das Büro des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte (OHCHR), dass Luftangriffe nach wie vor die Hauptursache für zivile Kriegsopfer sind.
Seit Beginn der Luftangriffe im März 2015 dokumentierte Human Rights Watch 87 offenbar rechtswidrige Angriffe der von Saudi-Arabien geführten Koalition, wovon einige als Kriegsverbrechen eingestuft werden könnten. Bei diesen seien knapp 1.000 Zivilisten getötet und Häuser, Märkte, Krankenhäuser, Schulen und Moscheen getroffen worden.
Allein zwischen Juni und September des vergangenen Jahres führte die Koalition sechs mutmaßlich rechtswidrige Luftangriffe im Jemen durch, bei denen unter den 55 insgesamt getöteten Zivilisten auch 33 Kinder ums Leben kamen. Human Rights Watch dokumentierte, wie die von Saudi-Arabien geführte Koalition wiederholt gezielt zivile Einrichtungen wie Fabriken, Lagerhäuser und andere geschützte Orte angegriffen und damit einen eklatanten Bruch des Kriegsrechts begangen hatte.
HRW: UNO soll Bin Salman für humanitäre Katastrophe mit Sanktionen belegen
Bei 18 Angriffen habe die Koalition zudem Streumunition eingesetzt, was zum Tod oder zu schweren körperlichen Schaden aufseiten zahlreicher Zivilisten geführt habe. Nachdem die Koalition im Dezember 2016 angekündigt hatte, keine britischen Streubomben zu verwenden, dokumentierte Human Rights Watch 2017 den Einsatz brasilianischer Streubomben durch die saudi-geführte Koalition.
Der Krieg hat zu schweren Verlusten innerhalb der Bevölkerung der ärmsten Nation der arabischen Welt geführt. Mehr als 10.000 Menschen starben, Krankheiten wie Cholera und nun auch Diphterie breiten sich aus und Millionen von Menschen sind von Hungersnöten bedroht. Laut dem neuen, am 16. Januar vorgestellten UNICEF-Bericht «Born into War» («In den Krieg hineingeboren») wurden im Jemen seit Beginn der saudisch geführten Offensive im März 2015 über 5.000 Kinder verletzt oder getötet – das sind jeden Tag fünf.
Die saudi-geführte Koalition hat Vorwürfe wegen Kriegsverbrechen zurückgewiesen und wird damit wohl auch weiterhin ungeschoren davonkommen. Denn gern blicken westliche Regierungen über die offenkundige Verletzung des Völkerrechts sowie der Menschenrechte in Saudi-Arabien hinweg und verweisen stattdessen auf respektwürdige Reformbestrebungen des mächtigen Kronprinzen Mohammed bin Salman. In der vergangenen Woche durften in der Golfmonarchie zum ersten Mal Frauen einem Männerfussballspiel zusehen, auch wird derzeit ein jahrzehntelanges Frauenverbot für Kinos aufgehoben, ab Juni 2018 dürfen Frauen gar hinters Lenkrad. Die positive Berichterstattung angesichts dieses späten Erwachens aus der sozialen Vorzeit scheint Wirkung zu zeigen: Im vergangenen Monat ging Bin Salman unter den Lesern des Time-Magazin als Favorit aus der Wahl zur Person des Jahres 2017 hervor.
Doch Sarah Leah Whitson, Direktorin für den Nahen Osten bei Human Rights Watch, betonte, Bin Salmans Schritte seien nicht genug. Sein Image als Erneuerer verliere angesichts der humanitären Katastrophe im Jemen und einer Vielzahl von Aktivisten und politischen Dissidenten, die unter falschen Anschuldigungen in saudischen Gefängnissen schmachten, an Bedeutung. «Baby-Schritte» bei den Frauenrechten würden Saudi-Arabiens «systemische Missbräuche» kaum wettmachen.
Akshaya Kumar, stellvertretende Direktorin für die Vereinten Nationen bei Human Rights Watch, rief die UNO jüngst dazu auf, den saudischen Kronprinzen zu bestrafen, denn:
Es gab nichts Kühnes oder Transformatives an der unerbittlichen Bombardierung der Zivilbevölkerung des Jemen durch seine [Bin Salmans] Koalition, während er es ablehnt, seine eigenen Streitkräfte für ihre Kriegsverbrechen zur Rechenschaft zu ziehen. Da Importbeschränkungen Millionen von Jemeniten weiter in die Hungersnot treiben und die Ausbreitung von eigentlich behandelbaren Krankheiten begünstigen, sollte Prinz Bin Salman keinen Freifahrtsschein bekommen. Stattdessen sollten er und andere hochrangige Koalitionsführer mit internationalen Sanktionen konfrontiert werden.
Der Sicherheitsrat hätte dazu die notwendigen Befugnisse, auch wenn die US-Botschafterin bei der UNO, Nikki Haley, kürzlich Raketenfragmente als «konkrete Beweise» für Irans «feindliche Aktionen» bezeichnete, nachdem ein Angriff der Huthi-Rebellen auf den internationalen Flughafen von Riad erfolgt war. Während das Kriegsrecht Blockaden als militärische Taktik zulasse, erlaube es keine Einschränkungen, die unverhältnismäßige Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung haben, so Kumar.
Verpönte Waffenlieferungen zunehmend auf Umwegen
Seitdem offizielle und direkte Waffenlieferungen an das reiche, aber kriegsführende Saudi-Arabien zu brisant geworden sind, profitiert die deutsche Rüstungsindustrie auf Umwegen von Geschäften mit dem Golfstaat. So wurde der frühere Geschäftsführer der deutschen Rüstungsfirma Rheinmetall, Andreas Schwer, Vorstandsvorsitzender des unter der Ägide Bin Salmans neu gegründeten staatlichen Rüstungsunternehmens, welches die Ambition verfolgt, bis zum Jahr 2030 zu einem der 25 größten Rüstungsunternehmen der Welt zu werden. Da die geplante deutsche Zusammenarbeit nun nicht mehr offiziell unter «Rüstungsexporte» verzeichnet werden muss, unterliegt diese künftiger auch in geringerem Maße der öffentlichen Kontrolle. Auch die über ausländische Ableger deutscher Munitionsfabriken wie RWM Italia oder Rheinmetall Denel Munition (RDM) in Südafrika verkauften Tötungsgüter müssen nicht im Rüstungsexportbericht erscheinen.
Das ARD-Magazin «Die Story im Ersten» hat jüngst die Rüstungsexporte über deutsche Tochterfirmen im Ausland thematisiert. DerWaffenexperte Andrew Feinstein sieht eine klare Verantwortung der Bundesrepublik für das Leid der Zivilbevölkerung im Jemen und erklärt:
Deutschland trägt dazu bei, dass diese Konflikte außergewöhnlich blutig sind.
Quelle: RT