Die Rede von Angela Merkel (CDU) auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos machte deutlich, um welche Fragen es bei der Bildung einer Großen Koalition in Berlin wirklich geht. Die Bundeskanzlerin trommelte im Schweizer Skiresort für eine gemeinsame europäische Verteidigungspolitik, die Deutschland und Europa in die Lage versetzt, ihre wirtschaftlichen und geostrategischen Interessen durchzusetzen.
Von Johannes Stern
„Wenn Europa mit seinen zukünftig 27 Mitgliedstaaten nicht in der Lage sein wird, ein einheitliches Signal an große Länder wie China, Indien, die Vereinigten Staaten von Amerika oder Russland zu senden, sondern wenn Außenpolitik national gemacht und so versucht wird, ein Player in der Welt zu sein, dann wird das misslingen“, warnte Merkel. „Wir haben, wenn wir als Europäer ernst genommen werden wollen, eine weitere große Aufgabe, nämlich im Bereich der Außenpolitik zusammenzuarbeiten.“
Zu seinen internationalen Rivalen zählt der deutsche Imperialismus neben Russland und China sieben Jahrzehnte nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs auch wieder die USA. Merkel wetterte in ihrer Rede gegen „Abschottung und Protektionismus“. Ohne dass sie Trump namentlich nannte, war jedem klar, dass ihre Aussagen gegen Washington gerichtet waren. „Merkel gibt den Anti-Trump“, titelte der Berliner Tagesspiegel am Donnerstag, und die Frankfurter Allgemeine Zeitung kommentierte: „Soviel Dissens im Grundsätzlichen war lange nicht mehr im sogenannten Westen.“
Merkel trat explizit für eine von den USA unabhängige Außen- und Militärpolitik ein.
„Die Tatsache, dass Europa außenpolitisch nicht der aktivste Kontinent war, sondern wir uns oft auf die Vereinigten Staaten von Amerika verlassen haben, die sich jetzt aber auch mehr auf sich konzentrieren, muss uns dazu bringen, dass wir sagen: Wir müssen mehr Verantwortung übernehmen; wir müssen unser Schicksal mehr in die eigene Hand nehmen.“ Und sie fügte hinzu: „Das tun wir, indem wir eben eine gemeinsame Verteidigungspolitik gegründet haben.“
Merkel ließ keinen Zweifel daran, dass Europa militärisch aufgerüstet werden soll, um eine unabhängige Rolle in den Kriegen um die Neuaufteilung der Welt zu spielen. „Warum sind die gemeinsame Außenpolitik, die gemeinsame Verteidigungspolitik und die gemeinsame Entwicklungspolitik von so großem Interesse?“, fragte sie und gab die Antwort: „Wenn Sie sich die Umgebung Europas anschauen, dann wissen Sie, dass vor unserer Haustür ein Großteil der globalen Konflikte stattfindet.“ Europa habe sich zu wenig „um den Bürgerkrieg in Syrien“ und „um den IS im Irak gekümmert“.
Auch in andere Teilen der arabischen Welt und in Afrika forderte Merkel ein viel energischeres Eingreifen der europäischen Mächte. Sie erklärte:
„Wir sind mitverantwortlich für die Entwicklung des afrikanischen Kontinents. Wir sind mitverantwortlich bei der Frage, wie es im Irak weitergeht. Wir sind mitverantwortlich bei der Frage, wie es in Libyen weitergeht.“ Europa sei hierbei zu „zögerlich“, und es liege „noch sehr, sehr viel Arbeit vor uns“.
Welche „Arbeit“ Merkel im Sinn hat, zeigt der Bericht zur diesjährigen Münchner Sicherheitskonferenz, die Mitte Februar stattfinden wird. In ihm heißt es, dass die 28 Mitgliedsstaaten der EU plus Norwegen ab 2024 114 Milliarden US-Dollar mehr in die Verteidigung stecken müssten, um das angestrebte Zwei-Prozent-Ziel der Nato zu erreichen. Der größte Teil müsse dabei von Deutschland, Italien und Spanien getragen werden, „da diese Länder über ein großes Bruttoinlandsprodukt, aber im Verhältnis dazu relativ geringe Verteidigungsausgaben verfügen“.
Das gesamte Papier mit dem Untertitel „Building the European Armed Forces of the Future“ (Aufbau der europäischen Streitkräfte der Zukunft) macht deutlich, dass sich die herrschende Klasse in Deutschland und Europa wieder auf große militärische Konflikte und Kriege zwischen den Großmächten selbst vorbereitet. Die Kapitel des bislang nur auf Englisch veröffentlichten Dokuments tragen Überschriften wie „Consolidate the European industrial base“, „Address the readiness problem“ oder „Prioritize investment in equipment in order to upgrade Europe’s armed forces“ – „Konsolidierung der europäischen Industriebasis“, „Lösen des Problems der Einsatzbereitschaft“, „Vorrang der Ausrüstungsinvestitionen bei der Modernisierung der europäischen Streitkräfte“.
Maßstab für die deutsch-europäischen Kriegsplanungen ist die militärische Schlagkraft der USA. Die Streitkräfte der EU-Nato-Staaten verfügten mit 1,38 Millionen Soldaten bereits über etwas mehr Soldaten als die USA, heißt es im Bericht. Die Herausforderung sei die Entwicklung ihrer „Fähigkeiten“. Während die USA in den vergangenen zehn Jahren durchschnittlich 26 Prozent ihres Verteidigungsbudgets in neues militärisches Equipment gesteckt hätten, seien es in Europa lediglich 18 Prozent gewesen.
Die Aufgabe der nächsten Bundesregierung wird es sein, die Rückkehr Deutschlands zu einer aggressiven Außen- und Großmachtpolitik, die die letzte Große Koalition auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2014 eingeleitet hatte, möglichst schnell voranzutreiben.
„Deutschland muss sich sputen“, fordert Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) in einem aktuellen Interview in der WirtschaftsWoche. „Für die Bundeswehr“ seien „die Sondierungen mit der SPD ein guter Einstieg. Wir haben für die Mittelfrist immerhin zehn Milliarden Euro mehr für die Bundeswehr fest vereinbart. Mit Jamaika wäre das nicht möglich gewesen.“
Merkel erinnerte in Davos daran, „dass 1918, vor hundert Jahren, der Erste Weltkrieg endete“, und warf die Frage auf: „Haben wir aus der Geschichte wirklich gelernt oder haben wir es nicht?“ Ihre gesamte Rede machte deutlich, dass die herrschende Klasse nicht das Geringste aus ihren vergangenen Verbrechen „gelernt“ hat. Auf die wachsende Gefahr eines Weltkriegs und revolutionärer Aufstände der Arbeiterklasse – Merkel warnte in ihrer Rede vor „disruptiven Entwicklungen“ und einer Wiederkehr der „Maschinenstürmer“ – reagieren die kapitalistischen Eliten mit ihren alten Rezepten: Militarismus, Krieg und Diktatur.
Quelle: WSWS