Dass die Ukraine international nicht gerade die einflussreichste Größe war, mag ja zutreffen. Aber immerhin war sie ein Staat mit einer selbstständigen Politik. Heute ist die Ukraine nur ein Objekt des Weltgeschehens – darauf angewiesen, dass äußere Mächte ihr Schicksal bestimmen, schreibt die Kolumnistin Irina Alxnis.
Mehr als das: Für die USA taugt die Ukraine offensichtlich nicht mal mehr zum Gegenstand der Weltpolitik, schreibt die Kolumnistin. Aus Sicht der Vereinigten Staaten hat dieses Land aufgehört, als ganzheitliche Einheit zu existieren – auf Regeln und Normen, die im Umgang mit anderen Ländern üblich sind, wird hier einfach verzichtet.
Deutlich wird das nicht nur dadurch, schreibt Alxnis, dass US-Regierungen ukrainische Chef-Ermittler mit einem Fingerschnipsen feuern können – wie 2016, als der damalige Vize-Präsident Joe Biden den Generalstaatsanwalt Wiktor Schokin hatte ablösen lassen. So etwas ist für ein Land, das zum Spielball äußerer Kräfte geworden ist, eine ganze normale Situation.
Sehr viel wichtiger ist aber, so die Kolumnistin, dass Biden dieses nebensächlich anmutende Ereignis weniger als zwei Jahre später bei einem Auftritt vor dem US-Rat für auswärtige Beziehungen in aller Ausführlichkeit geschildert und Staatsanwalt Schokin wie nebenbei als „Hurensohn“ bezeichnet hat.
Die Regel ist laut Alxnis, dass Politiker mit solchen Geschichten erst nach Jahrzehnten an die Öffentlichkeit gehen – dann nämlich, wenn sie für die gegenwärtige Politik keine Folgen mehr haben können.
Mit seiner Geste hat der ehemalige US-Vizepräsident aller Welt zu verstehen gegeben, dass es in den Augen der Vereinigten Staaten überhaupt keinen ukrainischen Staat mehr gibt, schreibt die Journalistin. Es gebe für die USA nur den ukrainischen Präsidenten, der die Entscheidungen Washingtons in die Tat umsetzt.
Dazu passt auch der Skandal in der Ukraine wegen des polnischen Gesetzes, das die Verbreitung des Gedankenguts der ukrainischen Nationalisten verbietet. Man kann nicht mal sagen, so Alxnis, dass dieser Skandal wirklich ein bilateraler ist. Denn die Warschauer Führung kümmert sich nicht sonderlich darum, wie das Gesetz in der Ukraine ankommt.
Wie kraft- und zahnlos diese Reaktion – im Gegensatz zu den lautstarken Erklärungen einzelner Politiker – ist, kann man in den offiziellen Stellungnahmen der Kiewer Führung nachlesen.
Das ukrainische Parlament etwa, die Werchowna Rada, schreibt laut der Journalistin, es fasse die polnische Entscheidung mit „Enttäuschung und tiefer Sorge“ auf. Denn diese Entscheidung ebne den Weg „für Manipulationen und das Erstarken antiukrainischer Stimmungen in der polnischen Gesellschaft“.
Und natürlich hat die Werchowna Rada den polnischen Präsidenten dazu aufgerufen, dieses Gesetz nicht zu unterschreiben – was er unverzüglich ignoriert hat, schreibt Alxnis.
Außerdem war da noch Ungarns erneuter Aufruf, OSZE-Beobachter nach Transkarpatien zu entsenden – wegen eines Übergriffs auf die ungarische Minderheit in dieser ukrainischen Region. Gerichtet ist der Aufruf auch an die Kiewer Führung.
Nur ist der Appell betont unpersönlich, distanziert gehalten, schreibt die Kolumnistin: Budapest erwarte, dass „die ukrainische Regierung“ die Sicherheit der Ungarn in Transkarpatien garantiere.
Auffällig ist in diesem Fall laut der Autorin aber vor allem die offensichtliche Notwendigkeit, internationale Beobachter in die Ukraine zu schicken: Kiew sei mit den staatlichen Aufgaben augenscheinlich überfordert.
Ungarns Position hätte vielleicht als Einzelfall durchgehen können, schreibt Alxnis weiter, wenn sie nicht zu einer steigenden Tendenz passen würde: Aus einem Staat – wenn auch einem schwachen und komplexen – verwandelt sich die Ukraine vor den Augen der Welt in ein bloßes Gebiet, dessen Bedeutung derart abgenommen hat, dass man dessen Existenz getrost übersehen kann. Eine wundersame Verwandlung, die sich zudem im Rekordtempo vollzieht.
Quelle: Sputnik