Eigentlich wollte die britische Armee aus dem JHQ am Niederrhein bis 2020 abziehen. Nun schlug ihr Oberkommandierender Nick Carter vor, den Rückzug zu stoppen. Grund: Man will im Falle eines Konflikts mit Russland einen schnellen Zugang zu Osteuropa haben.
Die vermeintliche Bedrohung aus dem Osten durch das unheilvolle Erstarken Russlands bietet den Vereinigten Staaten einen hervorragenden Vorwand dafür, ihre Streitkräfte in Europa zu belassen und deren Präsenz sogar noch auszubauen.
Auch der Generalstabschef der britischen Streitkräfte, Sir Nick Carter, zeigte sich besorgt im Hinblick auf die «Ostflanke». Zu deren Schutz sollte Großbritannien erwägen, entgegen den ursprünglichen Abzugsplänen die Streitkräfte in Deutschland gar noch zu verstärken. Jüngst hieß es zwar von offizieller Stelle, dass sich an dem Plan, die ehemaligen Besatzer planmäßig im Jahr 2020 aus Deutschland zurückzuziehen, nichts geändert habe.
Sir Nick Carter jedoch vermittelte in einer Rede am Royal United Services Institute (RUSI) der Öffentlichkeit und den britischen Entscheidungsträgern ein Drohszenario, aufgrund dessen die britischen Streitkräfte ihre Stützpunkte in Deutschland behalten müssten.
Russland könnte «früher als erwartet losschlagen»
So warnte er, Russland könne eine Mischung aus «konventionellen, unkonventionellen und nuklearen Domänen» einsetzen und damit die «komplexeste und leistungsfähigste Sicherheitsherausforderung seit dem Kalten Krieg» schaffen. Der Gegner aus dem Osten sei nicht nur militärisch potent, die Dringlichkeit der britischen Präsenz ergebe sich auch daraus, dass dieser unverhofft schon bald als solcher in Aktion treten könnte.
Sie könnten die Kriegshandlungen früher einleiten, als wir erwarten», fügte Carter in seiner Rede am RUSI hinzu.
Und dem sei unbedingt vorzubeugen. Wie bereits früher Strategen von NATO-Verbündeten setzt also auch Carter auf Prävention:
Unsere Fähigkeit, Bedrohungen vorzubeugen oder auf sie zu reagieren, wird untergraben, wenn wir nicht mit unseren Gegnern mithalten.
Und die Bedrohungen sind nach Ansicht des Generals bereits sehr nah:
Die Bedrohungen, mit denen wir konfrontiert sind, sind nicht Tausende von Kilometern entfernt, sondern liegen jetzt vor der Haustür Europas. Wir haben gesehen, wie Cyber-Kriegsführung sowohl auf dem Schlachtfeld als auch außerhalb dazu benutzt werden kann, das Leben normaler Menschen zu stören. Wir im Vereinigten Königreich sind nicht immun dagegen.
Nach Ansicht des Generals müsse man angesichts solcher Bedrohungen geschwind agieren, sowohl in der Erkenntnis als auch in der Entscheidung und der Aufstellung. Es muss also schnell gehen, nach Ansicht des erfahrenen Armeechefs. General Sir Nicholas Carter ist seit 2014 Generalstabschef und damit ranghöchster Heeresoffizier, der sich zuvor durch Einsätze in Bosnien und Kosovo, Irak sowie in Afghanistan verdient gemacht hatte. Dort schrieb er 2002 den US-Kampagnenplan, 2009-2010 hatte er das regionale Kommando über 55.000 NATO-Streitkräfte inne und 2012-2013 fungierte er als stellvertretender Kommandeur der NATO-Mission.
Mönchengladbach wieder als möglicher Standort im Gespräch
Das RUSI wird teilweise als unabhängiges Forschungsinstitut dargestellt. Vorsitzender ist der frühere Außenminister und jetzige Citigroup-Berater William Hague, der unter anderem im Jahr 2011 den NATO-Einsatz in Libyen «zum Schutz der Bevölkerung» befürwortete. Senior-Vize des RUSI ist der ehemalige CIA-Chef David Petraeus, der der US-Armee zuvor in Afghanistan und im Irak diente.
Zwar überprüfe die Armee die Möglichkeiten, Straße und Schiene für Einsätze zu nutzen, doch seien auch feste Stützpunkte wesentlich:
Deshalb prüfen wir aktiv den Erhalt unserer Infrastruktur in Deutschland, wo wir unsere Fahrzeuge in der Ayrshire-Kaserne in Rheindahlen und unsere Schulungseinrichtungen in Sennelager lagern, sowie unsere dort stationierten Schwerlasttransporter und unsere Vorrats- und Munitionslager», verriet Carter.
Es würde auch erwogen, zusätzliche Ressourcen für einen Stützpunkt in der Nähe von Mönchengladbach im Rheinland einzusetzen, um die Ostflanke Europas im Falle eines russischen Angriffs zu stärken. Seit 2010 bestand der Plan, die britischen Stützpunkte, deren Rechtfertigung wie auch die Stationierung anderer ausländischer Truppen nach dem offiziellen Ende des Ost-West-Konfliktes kontrovers diskutiert wurde, abzubauen.
Dementi der britischen Armee — Lediglich Ausnahmen vom Abzugsplan 2010
Bereits im Juli 2013 hieß es «Goodbye Rheindahlen», als einem ganzen Ortsteil von Mönchengladbach, der als Standort des «Joint Headquarters Rheindahlen» für die britische Armee bekannt war, Lebewohl gesagt wurde. Damals zogen die Briten aus dem Joint Headquarter am Niederrhein ab, als ihr Hauptquartier 2013 von Mönchengladbach nach Bielefeld verlegt wurde. Bis dahin war Mönchengladbach über viele Jahre die «bedeutendste Garnisonsstadt Deutschlands», mehrere hunderttausend Soldaten und ganze Luftflotten wurden von Rheindahlen aus befehligt.
Dass das ehemalige Hauptquartier wieder in Betrieb genommen werden könne, sei kein Thema, sagte ein britischer Militär auf Anfrage der rp-online:
Bis 2020 werden alle britischen Truppen Deutschland verlassen haben. Das ist der Plan, daran hat sich nichts geändert.
Allerdings gebe es Ausnahmen, darunter die Ayrshire-Barracks bei Mönchengladbach, ein «Depot für schweres Heeresgerät», wo nur noch zehn Soldaten tätig seien, die durch eine noch unbekannte Zahl an Zivilangestellten ergänzt werden sollen. Das Lager — Luftaufnahmen zufolge aus rund 40 großen Hallen, ausgedehnten Freiflächen und einem Bahnanschluss bestehend — soll auch über 2020 hinaus in Betrieb bleiben.
Die Annahme, dass das noch größere ehemalige Hauptquartier Rheindahlen reaktiviert werden könnte, wird auch darauf zurückgeführt, dass die NATO zwei neue Kommandostäbe beschlossen hat und dafür nach Standorten sucht. Eines der Hauptquartiere soll Truppenverlegungen innerhalb Europas befehligen.
Quelle: RT