Deutschland und die Türkei wollen trotz anhaltender Differenzen ihre Beziehungen weiter ausbauen. Nach einem Gespräch mit dem türkischen Ministerpräsidenten Binali Yildirim spricht Bundeskanzlerin Angela Merkel von gemeinsamen Interessen. Das Treffen wurde im Vorfeld kontrovers diskutiert.
Von Paul Linke
Für den türkischen Ministerpräsidenten Binali Yildirim scheint es so, „dass heute einige Probleme in den deutsch-türkischen Beziehungen der letzten Zeit gelöst wurden“, zitierte ihn die amtliche Nachrichtenagentur Anadolu am Freitag kurz nach der Freilassung des deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel. Yildirim nimmt derzeit an der Münchner Sicherheitskonferenz teil. Er fügte hinzu, dass beide Seiten nun gemeinsam Schritte unternehmen würden, um ihre Beziehungen zu verbessern. „So Gott will, werden sie besser werden.“
„Angriff auf Syrien und Kurden ist ein Rechtsbruch“
„Beide Seiten haben gemeinsame Interessen“, betonte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Donnerstag in Berlin nach einem Gespräch mit dem türkischen Ministerpräsidenten. Im Vorfeld der Münchener Sicherheitskonferenz erinnerte sie aber auch mit deutlichen Worten an Belastungen für das deutsch-türkische Verhältnis.
Im Koalitionsvertrag habe die Bundesregierung deutlich gemacht, dass sie das internationale Recht pflegen will, bemerkt der verteidigungspolitische Sprecher der Linksfraktion im deutschen Bundestag, Dr. Alexander Neu: „Vor diesem Hintergrund sollte sie ganz dezidiert dem türkischen Partner klar machen, dass der Angriff auf Syrien und auf die Kurden in Nordsyrien einen Rechtsbruch darstellt, der nicht akzeptabel ist“, fordert Neu. Die Türkei betrete hier die Grenze zu Syrien und bekämpfe dort eine Gruppierung gegen den Willen der syrischen Regierung.
Das stelle einen ganz eindeutigen Bruch des Gewaltverbots und des Interventionsverbotes dar, betont der Politiker. „Was allerdings auch von den deutschen Medien und in der deutschen Politik in Anführungsstrichen übersehen wird, ist, dass die Anwesenheit der US-Amerikaner in Nordost-Syrien nicht weniger einen Rechtsbruch darstellt, denn auch sie sind nicht von der syrischen Regierung eingeladen und bekämpfen sogar die syrischen Regierungstruppen.“
„Türkei schützt auch die Grenzen der Nato“
Mit Blick auf die umstrittene Offensive der türkischen Streitkräfte gegen die Kurdenmiliz YPG im nordsyrischen Afrin sagte Yildirim: „Die Türkei schützt mit ihrem Kampf gegen den Terrorismus nicht nur die eigenen Bürger, sondern auch die Grenzen der Nato. Die Türkei verhindert zugleich Flüchtlingsströme nach Europa und ein Ausbreiten der Terrorgefahr auf Deutschland sowie die EU. Auch die Offensive in Afrin dient diesen Zielen. Es gibt keinen Zweifel, dass die YPG der syrische Ableger der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK ist.“
„Osmanische Ohrfeige“ gegen die USA
Die Sorgen einer Konfrontation zwischen den Vereinigten Staaten und der Türkei in Syrien werden heute auch bei der Sicherheitskonferenz in München ein Thema sein. Der Gastgeber der Veranstaltung und ehemalige deutsche Botschafter in den USA Wolfgang Ischinger bestätigte gegenüber Dpa: „Hier droht tatsächlich zum ersten Mal eine gewisse Auseinandersetzung auf dem Boden zwischen zwei Nato-Partnern.“
Die von dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan angedrohte „osmanische Ohrfeige“ gegen die USA sollte man schon ernstnehmen, „weil wenn die Türkei Regionen in Syrien von der YPG befreien will und sich dann US-Soldaten neben den Terroristen befinden, werden sie dann natürlich auch Ziel türkischer Angriffe werden“, befürchtet der Türkei-Experte Burak Altun. Der Redakteur der Online-Nachrichtenseite „Daily Sabah“ sagte gegenüber Sputnik weiter: „Wie man sieht, kooperiert die YPG mit der USA. Und die USA verfolgen mit Sicherheit nicht das Interesse der Einheit Syriens. Sondern primär eigene Interessen. Auf diplomatischer Ebene sind sich die Türkei, Iran, Russland und die Assad-Regierung näher als mit der USA.“
Es sei nicht akzeptabel, dass eine Terrormiliz wie die YPG de facto nach Autonomie strebt und gleichzeitig die Türkei gefährdet, unterstreicht Altun. „Und da erwartet die türkische Seite mehr Verständnis von Europa und anderen Großmächten wie den USA.“
Das komplette Interview mit Burak Altun zum Nachhören:
Quelle: Sputnik