Was wollen die USA noch in Syrien?

Ist das Ziel eines Regime-Change in Syrien aufgegeben worden oder soll es nun mithilfe der Kurden erreicht werden? Weshalb sonst provozieren die USA den Konflikt mit der Türkei?

Von Rüdiger Rauls

Natürlich werden die USA der Weltöffentlichkeit keinen reinen Wein einschenken über ihre wirklichen Absichten im Nahen Osten und in Syrien im besonderen. Es wird also dem an Erkenntnis interessierten Publikum nichts anderes übrigbleiben, als aus den Handlungen und Verlautbarungen und den Widersprüchen zwischen beiden herauszuarbeiten, welche Ziele die maßgeblichen Kreise in den USA zu verfolgen scheinen.

Das ist nicht so einfach, weil es selbst in der herrschenden Klasse der USA keine einheitlichen Vorstellungen über die politischen Ziele amerikanischer Politik in der Region zu geben scheint und dementsprechend auch keine klare und unumstrittene Strategie und Vorgehensweise. So sind denn auch die Reaktionen aus dem Pentagon und dem Weißen Haus auf den Einmarsch der türkischen Armee in das von den Kurden verwaltete Afrin sehr unterschiedlich. Liegen hier von einander abweichende Einschätzungen der Lage oder gar verschiedene Absichten vor, die diese beiden amerikanischen Machtzentren in Syrien und im Nahen Osten verfolgen?

Diesen Zwiespalt in der amerikanischen Führung beschreibt die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) in ihrem Artikel „Mein Freund, der Feind meines Verbündeten“ vom 26.1.2018: „Das Pentagon bekundet seine Treue zu den Kurden …, während das Weiße Haus das Bündnis herunterspielte… .“ Hier hat man Verständnis für die „legitimen Sicherheitssorgen der Türkei“ (ebenda), warnte aber zugleich die Türkei davor, „einen Konflikt zwischen türkischen und amerikanischen Streitkräften zu riskieren“ (ebenda). Während das Weiße Haus von einer „unausgegorenen Idee von „Militärplanern aus der mittleren Ebene“ (ebenda) spricht, „hielt das Pentagon an dem Plan fest“ (ebenda).

Diesen unterschiedlichen Einstellungen zur Türkei und den Kurden werden ergänzt durch Äußerungen, die auf unterschiedliche Ziele und Einschätzungen der Lage hindeuten. Während Trump von in Zusammenhang mit der Türkei von „unseren gemeinsamen Zielen in Syrien“ (ebenda) spricht, hob das Pentagon als Grund seiner Unterstützung für die Kurden „ihre Bedeutung im fortwährenden Kampf gegen den „Islamischen Staat“ (IS) hervor“ (ebenda). Welche aber sind die gemeinsamen Ziele, die nach Trumps Ansicht, die USA, NATO und die Türkei miteinander verbinden. In der letzten Zeit war davon wenig zu hören, eher von den Differenzen, die untereinander bestehen. Vermutlich hat im Weißen Haus ein Gesinnungswandel und Strategiewechsel gegenüber Assad stattgefunden.

Interessant an der Sichtweise des Pentagon ist, dass man dort trotz des Sieges über den IS den Kampf gegen denselben als nicht beendet ansieht sondern als fortdauernd. Wie auch schon nach der Eroberung Mossuls mehrfach erwähnt wurde, scheint man im Irak das Entstehen neuer Aufstandsbewegungen ähnlich dem IS zu befürchten. Diese militärisch ausgetragenen Aufstände greifen in verschiedenen arabischen Staaten immer mehr um sich wie beispielsweise in Ägypten auf dem Sinai, aber auch in Afghanistan unter den Taliban.

Das Pentagon scheint also die größere Gefahr auch im Zweistromland in weiteren Erhebungen zu sehen. Für diese Sichtweise spricht, dass Außenminister Tillerson kürzlich bestätigte, „dass amerikanische Soldaten bis auf weiteres in dem Land [Syrien] bleiben sollen“ (ebenda). Diese vom Pentagon bestätigten 2000 Soldaten sollen dafür sorgen, „dass vom IS oder von Al Qaida keine Bedrohung mehr ausgehe“ (ebenda). Aber das ist nicht alles, was hinter dem Vorgehen des Pentagon zu stecken scheint. Denn Tillerson machte auch deutlich, dass es nicht nur um den IS und Al Qaida gehe, sondern man wolle auch „Irans Einfluss verringern“ (ebenda).

Unter dem Vorwand der Aufstandsbekämpfung versuchen die USA sich in Syrien festzusetzen. Man wolle nicht „die Fehler aus dem Irak wiederholen und vorschnell abziehen“ (ebenda). Nun beziehen sich aber all diese Maßnahmen auf Syrien, einem Land also, in dem den USA, anders als vielleicht im Irak, keine hoheitlichen Aufgaben zustehen und sich die amerikanischen Soldaten ohne Zustimmung der rechtmäßigen syrischen Regierung aufhalten. Zudem befindet sich die syrische Armee mit russischer und iranischer Unterstützung auf dem Vormarsch. Die Herrschaft der syrischen Regierung über das syrische Staatsgebiet weitet sich immer mehr aus und festigt sich zudem. Wozu bedürfte sie da amerikanischer Unterstützung, zumal diese sich nicht mit dem Vorgehen der syrischen Armee abstimmt sondern einen Sonderweg geht?

Wenn sich die angesprochenen amerikanischen Maßnahmen vordergründig vielleicht wirklich gegen Rebellengruppen oder eventuelle Aufstände zu richten scheinen, so steht doch im Hintergrund auch immer die Gefahr einer Konfrontation mit der syrischen Regierung, ihrer Armee und der Schutzmacht Russland. Denn die amerikanischen Truppen befinden sich widerrechtlich in Syrien. Es handelt sich dabei also um einen feindlichen Akt gegen die syrische Souveränität. Das würde man sicherlich in Washington genau so sehen, befänden sich syrische Truppen auf amerikanischem Hoheitsgebiet.

Unter diesen Gesichtspunkten dürften die amerikanischen Maßnahmen auf syrischem Hoheitsgebiet nur vordergründig gegen etwaige Aufständische gerichtet sein. Vielmehr scheint sich hier in Wirklichkeit eine neue Strategie im Kampf gegen Assad zu zeigen. Man sagt, dass man Irans Einfluss schwächen will. Das bedeutet aber auch, dass man damit einen Verbündeten Assads schwächen will, der anders als Russland auch bewaffnete Kräfte am Boden bereit stellt. Wird Irans Einfluss in Syrien geschwächt, schwächt man damit auch Assad.

In diesem Zusammenhang ist aufschlussreich, wie sich das Pentagon die Schwächung iranischen Einflusses in Syrien vorstellt. „Dabei wollen die Amerikaner in Gebieten, die nicht unter der Kontrolle von Präsident Baschar al Assad stehen, bei der „Stabilisierung“ helfen, aber kein „Nation Building“ betreiben. Auch das wieder ist eine interessante Formulierung, die harmlos klingt, aber bei genauerer Analyse Aufschluss gibt auf die möglichen Pläne und Strategien des US-Verteidigungsministeriums.

Man will offiziell kein „Nation Building“ mehr betreiben, was ohnehin wegen der Aussichtslosigkeit und der verheerenden Folgen in Verruf gekommen ist. Man will „stabilisieren“. Aber in wessen Interesse? Denn jegliche Bekämpfung regierungsfeindlicher Rebellen bedeutet eine Festigung der Macht Assads. Will man also unruhige Gebiete zugunsten der syrischen Regierung stabilisieren? Kaum vorstellbar, dass die USA und die Westliche Wertgemeinschaft (WWG) nun auf einmal das Geschäft Assads betreiben wollen, den zu stürzen sie doch in den letzten Jahren alle Anstrengungen unternommen hatten.

Oder handelt es sich bei der „Stabilisierung“ à la USA dann doch eher um die Sicherung amerikanischen Einflusses in Syrien? Denn die Kurdengebiete waren trotz der gelegentlichen Geplänkel mit der türkischen Armee keinesfalls instabil. Trotzdem wollen die USA dort eine Grenzschutztruppe von 30.000 Man aufstellen und ausrüsten. Gegen wen? Wer bedrohte die kurdischen Grenzen? Der Irak? Wenn überhaupt, dann der Natopartner Türkei. Diese aber fühlt sich nun erst recht von den amerikanischen Plänen bedroht und zu militärischem Vorgehen provoziert. Also würden die amerikanischen Pläne für die kurdische Grenzschutztruppe eher destabilisierend wirken, was sich durch den Einmarsch der Türkei in Afrin auch bestätigt.

Die „Stabilisierung“ soll aber nicht nur auf die Kurdengebiete begrenzt werden, sondern die Amerikaner wollen auch bei der „Stabilisierung“ in den Gebieten helfen, die „nicht unter der Kontrolle von Präsident Baschar al Assad stehen“ (ebenda). Sind damit auch die De-Eskalationszentren gemeint, aus denen, passend zu diesen Plänen, wieder in der letzten Zeit zunehmend Kampfhandlungen gemeldet werden, begleitet von der altbekannten Giftgas-Propaganda der westlichen Hoheitsmedien?

Es scheint sich in den von den USA eingeleiteten Veränderungen in den Kurdengebieten eine neue Phase im syrischen Bürgerkrieg anzudeuten. Unter dem Vorwand der Aufstandsbekämpfung rüstet man für einen neuen Konflikt mit Assad unter anderer Besetzung. Dazu passen die Äußerungen aus Washington, „dass amerikanische Soldaten bis auf weiteres in dem Land bleiben sollen“ (ebenda), aber auch die Meldung der New York Times, dass „hunderte gefangene IS-Kämpfer aus rund dreißig Staaten, welche die Kurden gefangengenommen“ (ebenda) hätten, in improvisierten Lagern nahe Raqqa festgehalten werden. Handelt es sich dabei um eine weitere Reserve, die bei Bedarf als amerikanisch geführte und ausgestattete Miliz in den Kampf geschickt werden kann?

Die Kurden haben sich seit dem Einmarsch der Amerikaner im Irak in eine gefährliche Abhängigkeit zu den USA begeben, die sich zunehmend zu ihrem Nachteil wandelt. Unter hohem Blutzoll hatten sie mitgeholfen, die irakische Regierung vor der Niederlage durch die Aufständischen des IS zu bewahren. Unter ihrer aufopferungsvollen Mithilfe gelang es, den IS im Irak und in Syrien immer weiter zurück zu drängen. Aber sie konnten die Früchte dieser Unterstützung für die irakische Armee und die USA nicht ernten. Nach der Eroberung Mossuls mussten sie die ölreichen Gebiete um Kirkuk kampflos der irakischen Regierung auf Drängen der USA überlassen. Zuvor hatten die Amerikaner sie gezwungen, sich auf Wunsch der türkischen Regierung vom Westufer des Euphrat zurück zu ziehen.

Schon damals hatte die USA die Rolle der Kurden in diesen Auseinandersetzungen klar definiert als die Bodentruppen, die in den Konflikten der Region die Kohlen für die Amerikaner aus dem Feuer holen sollen. Eines wird immer deutlicher: Die USA wollen in Syrien bleiben, aber nicht die Opfer dieses Engagements tragen. Denn „sollte das amerikanisch-kurdische Bündnis zerbrechen, hätte Amerika kaum eine andere Wahl, als den Einsatz in Syrien deutlich zu erhöhen“ (FAZ: Mein Freund, der Feind meines Verbündeten). Ein Abzug der USA steht also nach Ansicht der Amerikaner nicht zur Debatte. Die Alternative dazu ist nur die Ausweitung des Engagements. Aber „ohne die „logistische Unterstützung“ von YPG und deren Verbündeten, so heißt es in den Streitkräften, wären die Amerikaner in Syrien aufgeschmissen“ (ebenda).

Es bleibt also weiter zu beobachten, wie sich das Engagement der USA in Syrien darstellen wird. Vieles wird davon abhängen, wie man mit dem aufgebrachten und gereizten NATO-Partner Türkei übereinkommt. Trump hat bereits versucht, Erdogan zu beruhigen und spricht von „gemeinsamen Zielen“. Die Kampfhandlungen in den Kurdengebieten haben nachgelassen. Die Türkei scheint sich wieder beruhigt zu haben. Vielleicht ist es den Amerikanern doch wieder gelungen, die Türkei davon zu überzeugen, dass die „gemeinsamen Ziele“ die Bekämpfung Assads und die Zurückdrängung des iranischen und russischen Einflusses in der Region sind. Danach kann sich die Türkei mit den Kurden beschäftigen.

Quelle: Contra Magazin