„Ticket in die Hölle“: EU verletzt Menschenrechte auf dem Mittelmeer

Nicht nur die libysche Küstenwache begeht Menschenrechtsverletzungen auf dem Mittelmeer. Auch europäische Schiffe verstoßen gegen die Menschenrechtskonvention des Europarates. Zu dem Ergebnis kommt ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes im Bundestag, dass der linke Bundestagsabgeordnete Andrej Hunko in Auftrag gegeben hat.

„Niemand zweifelt an, dass Libyen ein unsicherer Ort für Geflüchtete ist“, sagt der Europapolitische Sprecher der Linksfraktion im Bundestag. „Deshalb wäre es ein Verstoß gegen das Zurückweisungsverbot, das Non-refoulement-Prinzip, sie mit europäischen Schiffen dorthin zu verfrachten.“

Rechtsverstoß durch unterlassene Hilfeleistung

Private Rettungsorganisationen würden auf dem Mittelmeer eine eigentlich staatliche Aufgabe übernehmen, wenn sie Gerettete in italienische Häfen verbringen oder an Schiffe von EU-Missionen übergeben. Auch die Schiffe von EU-Mitgliedstaaten seien nach der Genfer Flüchtlingskonvention verpflichtet, die an Bord Genommenen in einen sicheren Hafen zu bringen. Deshalb würde Italien, das die EU-Militärmission „Eunavfor Med“ zur angeblichen Schleuserbekämpfung anführt, immer enger mit der libyschen Küstenwache zusammenarbeiten. Hunko weist darauf hin:

„Es ist dokumentiert, wie die italienische Marine Geflüchtete auf Hoher See blockiert hat und dafür sorgte, dass diese nach einigen Stunden von der libyschen Küstenwache an Bord genommen wurden. Das ist nur die Spitze des Eisbergs. Es gibt eine ganze Reihe von möglicherweise menschenrechtswidrigen Kooperationen mit der libyschen Marine, zu der die Küstenwache gehört.“

Zurückweisung durch die Hintertür

Die Zurückweisung finde durch die Hintertür statt, indem die libyschen Truppen damit beauftragt werden. Weil die Partei die Linke das für einen Verstoß nicht nur gegen die Genfer Flüchtlingskonvention, sondern auch gegen die Europäische Menschenrechtskonvention des Europarates hält, hat das Büro von Hunko dazu ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes im Bundestag beauftragt.

Gewalt gegen Seenotretter

Libyen könne keine offizielle Seenotrettungsleitstelle (MRCC) benennen, deshalb werden Rettungseinsätze außerhalb der Hoheitsgewässer vom italienischen MRCC in Rom koordiniert. Immer öfter werde aber die libysche Küstenwache beauftragt, die Maßnahmen zu leiten, so Hunko. Weil Geflüchtete anschließend nach Libyen gebracht werden, dürfe das römische MRCC gegen das Verbot einer Zurückweisung der Genfer Flüchtlingskonvention verstoßen. Zu diesem Schluss kommt auch das Bundestagsgutachten. Hunko betont:

„Seit zwei Jahren geht die libysche Küstenwache regelmäßig mit Gewalt gegen Seenotretter vor. Viele Geflüchtete sind bei diesen Machtspielen ertrunken. Die Truppe ist für ihre Brutalität berüchtigt, jeder bekannt gewordene Vorfall hätte als Anlass zum Abbruch der Kooperation gereicht. Sogar die Abgabe von Schüssen in Richtung einer deutschen Fregatte wird bagatellisiert. Bis vor Kurzem hatte sogar das Auswärtige Amt von einer ‚sogenannten libyschen Küstenwache‘ gesprochen. Wer diesen Verband als Einsatzführer beauftragt, weiß, was er tut. Für Geflüchtete ist das ein Ticket in die Hölle.“

Zusammenarbeit mit der Bundeswehr

Im Rahmen der Militärmission „Eunavor Med“ arbeite auch die Bundeswehr zusammen mit der Truppe, die dort angeblich für die Seenotrettung ausgebildet werde. Hunko hält das für einen Vorwand, um Libyen zur Migrationsabwehr aufzurüsten:

„Wir haben das immer kritisiert und sind froh, dass das Gutachten hier eine deutliche Position bezieht. Es bekräftigt auch, dass die libyschen Aggressionen gegen private Rettungsschiffe das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen verletzen. Sogar ein Schiff der deutschen Marine wurde von einem libyschen Patrouillenschiff mit Gewehrsalven bedacht. Die Libyer machen eine Art ‚Alleinrettungsrecht‘ geltend und vertreiben andere Schiffe.“

Laut Seerechtsübereinkommen seien aber Kapitäne anderer Schiffe sogar zur Mithilfe verpflichtet, wenn sie nicht sichergehen können, dass alle betroffenen Personen zügig aus ihrer Seenot befreit werden.

Migrationsabwehr der Festung Europa

„Bei den brutalen Einsätzen der libyschen Küstenwache ist es doch zweifellos notwendig, in den Rettungseinsatz einzugreifen. Wir haben die Bilder vor Augen, wo Geflüchtete an Bord geschlagen werden oder an der Reling hängen, während das Schiff mit Volldampf davonfährt.“

Dass die Unterstützung der libyschen Küstenwache nach außen hin als „Befähigung zur Seenotrettung“ getarnt wird, findet Hunko besonders perfide. Hier gehe es um Migrationsabwehr einer Festung Europa. Libyen werde als Türsteher missbraucht. Bald könnte die libysche Marine selbst über ein MRCC verfügen, das dann an EU-Überwachungssysteme angeschlossen wird. Die EU-Kommission hatte Einzelheiten hierzu in einer Machbarkeitsstudie untersucht und dafür eine Million Euro ausgegeben. Eine entsprechende Leitstelle werde nun von Italien in Tripolis errichtet. Der Abgeordnete Hunko meint dazu:

„Ein libysches MRCC würde dem Platzhirschgehabe der libyschen Küstenwache noch mehr Vorschub leisten. Die weitere Verletzung internationaler Konventionen mit noch mehr Toten wäre die Folge. Die Bundesregierung muss sich deshalb für ein sofortiges Ende der Zusammenarbeit mit der libyschen Küstenwache einsetzen.“

Quelle: Sputnik