Von Russland zur USA: So können Raketen zu Verhandlungen führen

Als der russische Präsident Wladimir Putin in der vorigen Woche in seiner Jahresansprache an das Parlament von Russlands neuen Raketen sprach, erinnerte er unter anderem daran, dass sich Moskau jahrelang darum bemüht habe, die USA zu Verhandlungen über die „nukleare“ Thematik zu bewegen, schreibt die Online-Zeitung Gazeta.Ru am Montag.

„Wir hatten all diese Jahre, all die 15 Jahre nach dem Austritt der USA aus dem ABM-Vertrag, versucht, die Amerikaner zu einer ernsthaften Erörterung zu bewegen, zu Vereinbarungen im Bereich der strategischen Stabilität“, betonte der Kreml-Chef.

Der Austritt der USA aus dem Raketenabwehrvertrag von 1972 ist ein Thema, zu dem sich Putin in vielen seiner Reden äußert. Der von US-Präsidenten Richard Nixon und dem sowjetischen Staatschef Leonid Breschnew unterzeichnete Vertrag hatte damals tatsächlich einen wichtigen Beitrag zur Abspannung der Situation in der Welt geleistet.

Damit verpflichteten sich die beiden Seiten, nur jeweils zwei Gebiete mit Raketenabwehrwaffen zu haben – und später sogar jeweils nur ein solches Gebiet: Moskau in der Sowjetunion und Grand Fox (Bundesstaat North Dakota) in den USA. Darüber hinaus akzeptierten Moskau und Washington eine Beschränkung der Zahl der zu bauenden Raketenabwehrsystemen.

2002 wurde der ABM-Vertrag jedoch auf Initiative der US-Administration von George Bush Jr. aufgelöst. Dieser sagte damals, dass Washington seine nationale Raketenabwehr entwickeln würde, um sich gegen die ballistischen Raketen von Nordkorea und Iran zu wehren.

Bald darauf begann die Aufstellung von Elementen dieser Raketenabwehr in Europa. Zwar behaupteten die Amerikaner, diese Systeme wären ungefährlich für Russland, aber Moskau glaubte dies nicht und verwies darauf, dass die Raketenabwehranlagen Aegis Ashore in Rumänien gegen Russland als Offensivwaffen eingesetzt werden könnten.

Allerdings räumte Präsident Putin ein, dass sich Russland und die USA auch danach auf die Kürzung ihrer nuklearen Arsenale einigen konnten: Der „neue START-Vertrag“ wurde im April 2010 von seinem damaligen Nachfolger Dmitri Medwedew und US-Präsident Barack Obama abgeschlossen. Das ist vorerst der letzte Vertrag zu diesem Thema, durch den Moskau und Washington verbunden sind.

Obama, für den die nukleare Abrüstung zu den höchsten Prioritäten gehörte, zeigte sich auch zu weiteren Verhandlungen und zur Lösung des „Raketenabwehr“-Problems bereit. Das teilte er sogar seinem Amtskollegen Medwedew bei einem Gipfeltreffen zur Atomsicherheit im März 2012 mit.

Doch bald darauf setzten die USA die Aufstellung der europäischen Raketenabwehranlagen fort, und Russland entschied sich für die Verlegung von Raketenkomplexen „Iskander“ in das Gebiet Kaliningrad.

Ein weiterer Stein des Anstoßes in den russisch-amerikanischen Beziehungen ist der INF-Vertrag aus dem Jahr 1987, der das Verbot von Kurz- und Mittelstreckenraketen vorsieht. Die Seiten werfen einander seine Verletzung vor, wollen jedoch nicht über seine weiteren Perspektiven verhandeln.

Es ist nicht ausgeschlossen, dass Putin durch seine auf den ersten Blick kriegerische Rhetorik die USA zwingen will, doch am Verhandlungstisch Platz zu nehmen. Denn gleichzeitig forderte er die Amerikaner auf, Russland „wenigstens jetzt zuzuhören“ – weil es über Raketen verfüge, „für die Raketenabwehrsysteme kein Hindernis sind“.

Das könnte auch wirklich funktionieren, meint der USA-Kenner Sergej Stankewitsch. Er betonte aber zugleich, dass dafür „irgendeine wesentliche Initiative“ nötig wäre. „Beispielsweise könnte eine Konferenz für Sicherheit in Europa im Stil von ‚Helsinki-2‘ organisiert werden. Damit die Seiten am Verhandlungstisch zusammenkommen, müsste auf dem Tisch ein Dokument liegen, aber das gibt es nicht“, so der Politologe.

Dieser Auffassung stimmte auch ein ehemaliger russischer Diplomat zu, der ebenfalls sagte, dass für ernsthafte Verhandlungen eine entsprechende Grundlage und „konkrete Vorschläge“ nötig wären.

Eine Art Vermittlerrolle könnten dabei die europäischen Länder spielen, die potenziell zum „Schlachtfeld“ zwischen Russen und Amerikanern werden könnten. Nicht umsonst telefonierte die deutsche Kanzlerin Angela Merkel gleich nach Putins Rede mit US-Präsident Donald Trump.

Experten schließen nicht aus, dass der militanten Rhetorik tatsächlich Verhandlungen folgen könnten, die zwar kein neues „Treffen in Reykjavik“ wären, aber immerhin ein Schritt in diese Richtung.

Das wären jedoch sehr schwierige Gespräche, vermutete Sergej Osnobischtschew vom russischen Institut für Weltwirtschaft und internationale Beziehungen. Denn neben Präsident Trump gebe es in Washington den Kongress, der generell gegen Russland eingestellt sei.

Auch der frühere Assistent Michail Gorbatschows, Pawel Palaschtschenko, der sich an dessen Verhandlungen mit Reagan beteiligt hatte, räumte ein, nicht zu verstehen, wie sich Moskau und Washington im Bereich der strategischen Stabilität einigen könnten: „Man muss noch sehen, wie die russische Diplomatie die Botschaft Putins interpretieren wird. Aber jedenfalls wird die Wiederaufnahme des Dialogs durch mehrere Faktoren behindert, vor allem durch den fast völligen Zusammenbruch des Vertrauens zu Russland und das politische Chaos in den USA.“

Quelle: Sputnik