Die Absicht der Ukraine, Vermögenswerte von Gazprom im Zusammenhang mit der Kündigung aller Lieferverträge mit dem ukrainischen Naftogaz weltweit einzufrieren, und der ganze Gasstreit können aus der Sicht von Matthias Dornfeldt, Experte für Energiesicherheit an der Universität Potsdam, keine große Auswirkung auf Deutschland und ganz Europa haben.
Von Nikolaj Jolkin
Man habe in Europa nicht mehr dieselbe Situation wie 2006 und 2009, sagte er im Interview mit Sputnik-Korrespondent Nikolaj Jolkin, als es signifikante Auswirkungen auf die Volkswirtschaften in einigen Ländern gegeben hätte. „Der Energiemarkt hat sich seit den letzten Krisen verändert. Es gibt nicht nur Russland als Lieferanten, obwohl es im Jahr 2017 als der wichtigste Lieferant 192 Milliarden Kubikmeter nach Europa und in die Türkei geliefert hat. Aber wir haben auch andere Quellen — Norwegen, Algerien und Libyen sowie auch eigene Produktion, die zwar sinkt, aber die auch immer noch beträchtlich ist.“
Gleichzeitig schätzt der Experte die ganze Situation für das Image der Ukraine als Transitland nicht sehr förderlich ein, „wenn es wieder in die Schlagzeilen gerät, denn wir sehen, was die ganze Diskussion damals gebracht hat. Es werden neue Pipelines in Richtung Kiel im Norden gebaut. Diejenigen, die bei Naftogaz Ukrainy und in der Regierung dafür verantwortlich sind, sollten weniger auf Konfrontation fahren, sondern mehr versuchen, die Situation zu lösen.“
Die Auswirkung des Gasstreits auf den europäischen Energiemarkt hält Dornfeldt auch deshalb nicht für so groß, weil der Winter bald vorbei sei. „Die Engpässe sind nicht mehr so groß wie im Januar-Februar, als es sehr kalt war. Zum anderen werden auch die Infrastrukturprojekte, die überall gebaut werden, noch mehr Wirkung zeigen, so dass die Abhängigkeit von dem einen einzigen Transitland vermindert wird.“
Nichtsdestotrotz ist sich Dornfeldt sicher, dass in dieser Hinsicht ein Mechanismus geschaffen werden müsse, damit eine schnelle Vermittlung in solchen Krisen möglich sei. Zwar habe die EU-Kommission schon ihre Bereitschaft dazu angekündigt, doch die ganze Frage der bilateralen Beziehungen der Ukraine und Russlands im Bereich der Energielieferung müsse mit einem gewissen Mechanismus versehen werden, „damit es keine großen Auswirkungen auf beide Seiten hat. Gasprom verliert damit Geld, die Ukraine ist als Transitland beeinträchtigt.“
Bis 2019 gebe es noch die Verträge, dass der Gastransit mit 100 Milliarden Kubikmeter jährlich durch die Ukraine laufe, fährt der Experte fort. „Wenn Gazprom das nicht einhält, muss es 50 Millionen Dollar jährlich Vertragsstrafe zahlen. Wenn Nord Stream 2 gebaut wird, haben wir eine Kapazität von 50–55 Milliarden Kubikmetern. Und die Gesamtleistung von 100 Milliarden pro Jahr entspricht ungefähr dem Verbrauch, den Deutschland hat. So wird Nordwesteuropa dann deutlich weniger von der Ukraine abhängig.“
Für Südosteuropa bleibe die Ukraine noch ein wichtiges Transitland, so Dornfeldt, auch wenn jetzt schon die Turk Stream Richtung Türkei verlegt werde. „Der erste Strang soll den türkischen Markt bedienen, der zweite Osteuropa. Dann wird sich auch die Situation etwas verändern, so dass Länder, die jetzt in Südosteuropa durch die Ukraine beliefert werden, noch andere Möglichkeit haben.“
Allerdings müsse die Ukraine auch investieren, um das Pipelinenetz zu modernisieren und auszubauen, führt der Experte weiter aus. Und es müsse klar sein, „wie es mit den Tarifen ist. Denn kein Unternehmen zahlt höhere Tarife, wenn es andere Ausweichmöglichkeit hat. Die Tariftransparenz muss da sein. Und vor allen Dingen müssen auch die Naftogaz Ukrainy und andere beteiligten Unternehmen der Ukraine entsprechend modernisiert und europäischen Standards angepasst werden, was noch im Moment nicht der Fall ist und was eben stockt.“
LNG-Anlagen in deutschen Häfen?
Seit 1974 gebe es die Diskussion über die Errichtung eines Flüssiggasterminals in Wilhelmshaven, so Dornfeldt, das nicht umgesetzt worden sei. „Die Firma Uniper AG, die frühere E.ON Ruhrgas, hatte vor 10 Jahren überlegt, ob sie investiert. Man hat sich aber für ein Gemeinschaftsprojekt mit der Gasunie im Hafen von Rotterdam, dem größten in Europa, aus wirtschaftlichen Gründen entschieden.“
Wenn aber Nord Stream 2 komme, urteilt der Experte, „dann haben wir so einen hohen Gasimport, dass wir LNG eigentlich nicht brauchen, zumal LNG eine teure Infrastruktur voraussetzt. Das LNG-Gas ist langfristig bis 2022 noch teuer, so dass Pipeline preisgünstiger ist und ich jetzt nicht von dieser großen LNG-Schwemme ausgehe, die immer prognostiziert wird.“
Dornfeldt bemerkt: „Sicherlich wollen die USA auch ihr Gas absetzen, aber da sind andere Märkte interessanter. Und die Länder, die sich für LNG entschieden haben, wie Polen und Litauen, zahlen dafür deutlich höhere Preise. Das Gas ist nicht billiger, wenn es über diese Flüssiggastanker kommt.“ Der Experte ist sich sicher, dass am Ende die Wirtschaftlichkeit Oberhand gewinnen und das günstigere Gas seinen Abnehmer finden werde. Dass in Deutschland die Unterstützung für russisches Gas in der Wirtschaft wachsen und die Rolle Deutschlands als Energiedrehscheibe in Nordwesteuropa an Bedeutung gewinnen werde.
Damit sei LNG keine Konkurrenz für das Gas aus Norwegen oder aus Russland, „das wir hier in Deutschland beziehen“, schlussfolgert der Experte für Energiesicherheit.
Das komplette Interview mit Matthias Dornfeldt zum Nachhören:
Quelle: Sputnik