Die neue Bundesregierung wird erst am Mittwoch vereidigt, aber die Medien haben bereits begonnen, die Öffentlichkeit auf ihren Kurs einzustimmen. Dabei bestätigen sie, was die WSWS von Anfang an über den Koalitionsvertrag geschrieben hat: Die Politik der Großen Koalition wird von Großmachtstreben, Militarismus und heftigen Angriffen auf soziale und demokratische Rechte geprägt sein.
Von Peter Schwarz
Der Spiegel veröffentlichte am Samstag einen Essay mit dem Titel „Danke, Donald“. Der Chefredakteur des Nachrichtenmagazins, Klaus Brinkbäumer, fasst darin zusammen, was Sigmar Gabriel, Ursula von der Leyen, Wolfgang Ischinger, Herfried Münkler und andere Vertreter des außenpolitischen Establishments in den vergangenen Monaten verkündet haben, und zieht Schlussfolgerungen daraus.
Man müsse dem amerikanischen Präsidenten dankbar sein, weil „die Risse im transatlantischen Bündnis“ Deutschland die „Chance“ böten, „erwachsen zu werden“, lautet seine Kernthese. Deutschland müsse wieder eine schmutzige Außenpolitik machen („Die Zeiten, in denen wir auf die USA bauen und den USA alle großen, vor allem schmutzigen Aufgaben überlassen konnten, sind vorbei“) und Großmachtpolitik betreiben („Wir müssen Europa wieder zu einem weltpolitischen Akteur machen“).
Neidvoll blickt Brinkbäumer auf das „nicht demokratische China“, das für „Freihandel und Globalisierung“ eintrete sowie „berechenbar“ und „punktuell der bessere Partner“ sei als „das in seinen demokratischen Grundfesten erschütterte Amerika“. Europa müsse sich für multinationale Themen „die Partner suchen, die es eben braucht, um durchzusetzen, was man für richtig hält. Selbstverständlich im Zweifelsfall auch gegen die USA.“
Was das konkret bedeutet, fasst Brinkbäumer in vier Punkten zusammen.
„Wir müssen uns verabschieden von der sanften, beschützten, bisweilen scheinheiligen Außenpolitik der Vergangenheit,“ lautet der erste. Deutschland könne sich nicht mehr „verstecken“ und „moralisch reine Positionen einnehmen“.
Als zweites tritt er dafür ein, den Militarismus offen zu propagieren, statt ihn zu verschleiern: „Wenn es um Militäreinsätze, um gewaltige Ausgaben, schlicht und einfach um Risiken geht, dann muss in einer Demokratie zuerst gestritten und dann entschieden werden.“
Weiter verlangt er eine Außenpolitik, die sich an Interessen und nicht an Werten orientiert; auch darüber müsse „angstfrei“ debattiert werden. Als Beispiel führt er die Türkeipolitik an und fragt: „Wollen wir, dass die Türkei Menschenrechte und demokratische Regeln respektiert, oder wollen wir verhindern, dass sie in Richtung Moskau oder Peking blickt?“
Und schließlich fordert Brinkbäumer:
„Wir müssen Europa zu einer Einheit fügen.“ Am Ende müsse „eine gemeinsame Finanz- und Wirtschaftspolitik, eine gemeinsame Armee, eine gemeinsame Strategie und damit eine gemeinsame Außenpolitik“ stehen. Das Ziel müsse „ein starkes Europa sein – oder wir Europäer geben unsere Bedeutung auf und den Kampf verloren.“
Vor einem Jahrzehnt hätte ein derart unverhüllt imperialistisches Programm noch Protest oder zumindest Aufsehen ausgelöst. Heute ist es Konsens unter den herrschenden Eliten und ihren Parteien, einschließlich der Linkspartei. Im Koalitionsvertrag, den CDU, CSU und SPD am Montag unterschrieben haben, findet man es in allen Einzelheiten wieder.
Die internationalen Rahmenbedingungen, die es Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg erlaubt hatten, mit relativ friedlichen Mitteln zur wirtschaftlichen Großmacht aufzusteigen, existieren nicht mehr. Mit den USA gibt es seit längerem geostrategische Differenzen. Nun trifft der Handelskrieg, der nach der Erhebung von Importzöllen auf Stahl und Aluminium und der Androhung von Strafsteuern auf Autos durch US-Präsident Donald Trump droht, die Interessen der deutschen Wirtschaft ins Mark.
„Es existiert kein anderes Land, das ähnlich stark davon getroffen würde“, zitiert der Spiegel den Ökonomen Gabriel Felbermayr. Jeder vierte deutsche Arbeitsplatz hänge vom Export ab. Insbesondere fünf Leitbranchen – Auto, Maschinen, Elektrotechnik, Pharma, Präzisionsinstrumente – exportierten viel nach Amerika.
Auch die Europäische Union, der mit Abstand wichtigste Markt für die deutsche Wirtschaft, zerfällt. Nach dem Austrittsbeschluss Großbritanniens haben nun auch in Italien, einem Gründungsmitglied der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, erstmals EU-kritische Parteien die Mehrheit im Parlament gewonnen. Und trotz der Begeisterung für den französischen Präsidenten sind sich Berlin und Frankreich bei der von Macron vorgeschlagenen Reform der Währungsunion keinen Schritt näher gekommen, obwohl bereits die nächste Finanzkrise droht.
Die herrschende Klasse Deutschlands reagiert auf diese Krise, indem sie zu den verbrecherischen Methoden der Vergangenheit zurückkehrt. Sie versucht, die EU zu dominieren und in ein hochgerüstetes Militärbündnis zu verwandeln, um wieder nach der Weltmacht zu greifen.
Das hat direkte Auswirkungen auf die Innenpolitik. Militarismus und Großmachtpolitik vertragen sich nicht mit Demokratie. Jahrelanger Sozialabbau verbunden mit einer gewaltigen Ausdehnung des Niedriglohnsektors hat die Klassengegensätze schon jetzt enorm verschärft. Nun kommen die steigenden Militärausgaben hinzu – allein das im Koalitionsvertrag vereinbarte Zwei-Prozent-Ziel der Nato bedeutet eine Verdoppelung auf jährlich 70 Milliarden Euro –, für die ebenfalls die Arbeiterklasse bezahlen muss.
Das ist der Grund, weshalb die Kampagne gegen Flüchtlinge jetzt wieder angeheizt wird, obwohl die Zahl der Asylanträge deutlich zurückgeht. Die Hetze gegen Flüchtlinge dient dazu, die soziale Unzufriedenheit auf die Schwächsten der Gesellschaft abzulenken, demokratische Grundrechte zu beseitigen und den Aufbau eines Polizeistaats zu rechtfertigen, der zur Unterdrückung sozialen Widerstands eingesetzt werden kann.
Den Auftakt machte am Sonntag der zukünftige Innen- und Heimatminister Horst Seehofer (CSU), der in der Bild am Sonntag einen „Masterplan für konsequentere Abschiebungen“, massenhafte Überwachung und andere Polizeistaatsmaßnahmen ankündigte. Abends wurde er in der Fernseh-Talkrunde von Anne Will von der neuen CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer, der SPD-Politikerin Manuela Schwesig, der Fraktionschefin der Linken Sahra Wagenknecht und dem FDP-Vorsitzende Christian Lindner unterstützt.
Am Montag folgte der stellvertretende CSU-Vorsitzende und Fraktionsvorsitzende der Europäischen Volkspartei im Europaparlament, Manfred Weber, mit einem langen Interview in der Süddeutschen Zeitung.
Weber zeigte sich „entsetzt“ über das italienische Wahlergebnis. Ein Scheitern der EU „wäre das Ende unserer globalen Durchsetzungskraft“, warnte er. Als Grund nannte er das „klägliche Versagen“ der EU-Staaten „bei der Migration“.
Seine Lösung:
„Wir brauchen eine harte Sicherung unserer Grenzen. … Wenn die Bulgaren versuchen, mit Zäunen an der Grenze zur Türkei illegale Migration zu verhindern, dann verdient das Unterstützung.“ Europa benötige „einsatzfähige Beamte“ für die gemeinsame Grenzsicherung. Statt bisher 1500 seien „mindestens 10.000“ erforderlich.
Als Vorbild für die Deportation von Flüchtlingen nannte Weber die 2016 getroffene Vereinbarung mit der Türkei. „Wir müssen direkte, aber strukturierte Rückführungen aus den Camps organisieren, wie von [der griechischen Insel] Lesbos in die Türkei… In Libyen müssen wir zumindest Enklaven aufbauen, in die wir die illegalen Migranten zurückbringen und versorgen können.“
„Schmutzige, interessenorientierte Außenpolitik“, „gewaltige Ausgaben für Militäreinsätze“, „konsequente Abschiebungen“ – das sind die Stichworte, unter denen die neue Regierung am Mittwoch ihr Amt antritt. Es wird die rechteste deutsche Regierung seit dem Sturz des Nazi-Regimes sein.
Quelle: WSWS