London steuert auf Sanktionen gegen Moskau zu

 

Im eskalierenden Streit zwischen Großbritannien und Russland wegen des Giftanschlags auf den Ex-Spion Sergej Skripal ist wieder London am Zug. Premierministerin Theresa May und ihr Nationaler Sicherheitsrat beraten über mögliche Sanktionen.

In der Nacht hatte die russische Regierung ein Ultimatum Mays verstreichen lassen, sich zur Herkunft des gefundenen Nervengifts Nowitschok zu äußern. Die äußerst gefährliche Substanz ist in der früheren Sowjetunion entwickelt worden.

Das Ergebnis der Beratung wolle May am frühen Nachmittag im Parlament mitteilen, sagte ein Regierungssprecher. Sie hatte Moskau am Montag aufgefordert, sich binnen 24 Stunden gegenüber der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) zu erklären und darzulegen, wie das Gift nach Großbritannien gelangen konnte. Sie drohte mit Konsequenzen, die sie aber zunächst nicht näher ausführte.

Russland fühlt sich zu Unrecht beschuldigt

Russland lasse nicht in der Sprache von Ultimaten mit sich reden, entgegnete Kreml-Sprecher Dmitri Peskow am Mittwoch in Moskau. Man habe London über diplomatische Kanäle mitgeteilt, dass Russland unschuldig sei an dem Anschlag. Er kündigte Maßnahmen gegen britische Medien in Russland an, falls der russische Staatssender RT als eine Sanktion seine Sendelizenz für Großbritannien verlieren sollte.

Das russische Außenministerium hatte schon am Dienstag mit Vergeltung gedroht. «Jegliche Drohungen, Russland mit Strafmaßnahmen zu belegen, werden nicht unbeantwortet bleiben», teilte die Behörde mit. Darauf müsse sich Großbritannien gefasst machen.

«Russland ist nicht schuldig», sagte Außenminister Sergej Lawrow. Er forderte Zugang zu den Ermittlungen und zu den verdächtigen Proben, damit Russland die Substanz selbst analysieren könne. Russland sei bereit, mit Großbritannien in der OPCW zu kooperieren, sagte Lawrow. Moskau hat nach eigener Darstellung alle Chemiewaffen zwischen 2002 und 2017 vernichtet.

Geplante Sanktionen unklar

Immer noch ist unklar, welche Sanktionen Großbritannien plant. May hat damit gedroht, keine Regierungsvertreter zur Fußball-WM nach Russland zu schicken. Britische Medien wie die «Times» halten eine Cyberattacke auf den Kreml für möglich. Eine andere Maßnahme könnte die Ausweisung von Diplomaten sein. Auch finanzielle Maßnahmen gegen Oligarchen, die Immobilien in London besitzen, seien denkbar.

Die britischen Optionen hingen stark von den Verbündeten Londons ab, sagte Fjodor Lukjanow, Vorsitzender des russischen Rates für Außen- und Verteidigungspolitik. Zwar habe London als wichtiger Finanzplatz eigene Druckmittel. «Zugleich ist das britische Arsenal beschränkt. Es erweitert sich spürbar, wenn London seine Verbündeten in EU und NATO von der Notwendigkeit einer starken gemeinsamen Antwort an Russland überzeugen kann», sagte er. London hat bisher Rückendeckung aus Deutschland, Frankreich, den USA und von der NATO erhalten.

Deutschland fest an der Seite der Briten

Die deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen sagte am Mittwoch im Sende n-tv: «Jetzt ist entscheidend, dass wir fest an der Seite der Briten stehen.» Man werde sich die Analyse Großbritanniens anschauen und anhören. Am Nachmittag werde sie ihr britischer Kollege im Detail informieren. Die Briten würden dann vorschlagen, welche Schritte unternommen werden könnten.

Skripal (66) und seine Tochter Julia (33) waren am 4. März bewusstlos auf einer Parkbank in der südenglischen Kleinstadt Salisbury entdeckt worden. Sie befinden sich in einem kritischen Zustand. Skripal hatte als Offizier des russischen Militärgeheimdienstes GRU für die Briten spioniert. Er wurde verurteilt und 2010 bei einem großen Agentenaustausch nach Großbritannien entlassen.

Der Fall erinnert an den Mord an dem Ex-Agenten und Kreml-Kritiker Alexander Litwinenko, der 2006 in London mit radioaktivem Polonium vergiftet wurde. Die Spuren der Täter führten auch nach Moskau.

Weitere 14 Todesfälle sollen untersucht werden

Die Briten wollen nun weitere etwa 14 Todesfälle im Land mit einer möglichen Verbindung nach Russland erneut untersuchen, wie Innenministerin Amber Rudd ankündigte. Die Fälle reichen teils mehr als zehn Jahre zurück. Darunter sind auch prominente Kritiker des russischen Präsidenten Wladimir Putin, etwa der Oligarch Boris Beresowski.

Ein Vertrauter Beresowskis, der Geschäftsmann Nikolai Gluschkow, wurde vor wenigen Tagen tot in seinem Haus in London entdeckt. Die Todesursache war am Dienstag noch unklar. Die Anti-Terror-Polizei übernahm aber vorsichtshalber die Ermittlungen, sieht aber derzeit keine Verbindung zu dem Attentat in Salisbury. 2004 war er in Russland zu drei Jahren und drei Monaten Haft nach Vorwürfen von Betrug und Geldwäsche verurteilt worden. 2010 erhielt er in Großbritannien Asyl.

 WienerZeitung
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