Ausgerechnet mit einem Interview in der „Bild“-Zeitung beginnt Innen- und Heimatminister Horst Seehofer seine Amtszeit. Dabei tönt er, der Islam gehöre nicht zu Deutschland. Eine Worthülse, die auch bei der Kanzlerin auf Ablehnung stößt. Dabei geht diese Debatte völlig am Kern der Realität vorbei.
Für die Redaktion der „Bild“-Zeitung war es sicherlich ein gefundenes Fressen, dass der frisch gebackene Innen-, Heimat- und Bauminister Horst Seehofer in ihrem Interview mit ihm ein viel diskutiertes Zitat einbrachte:
„Der Islam gehört nicht zu Deutschland.“
Weiter meinte Seehofer, die hier lebenden Muslime gehörten aber selbstverständlich zu Deutschland. Das bedeute selbstverständlich nicht, „dass wir deswegen aus falscher Rücksichtnahme unsere landestypischen Gebräuche aufgeben müssen“.
Aha. Seehofer als Verteidiger des landestypischen Brauchtums – das also ist das Verständnis des Bayern von einem Amt als Heimatminister. Man stelle sich Horst Seehofer mit Schwert und Schild zu Beginn der Sonntagsmesse vor einer christlichen Kirche vor, um diese zu verteidigen gegen… ja gegen wen eigentlich?
Seehofer mit Schwert und Schild
Der Minister erklärt im gleichen Interview, Deutschland sei durch das Christentum geprägt. Dazu gehörten freie Sonntage, kirchliche Feiertage und Rituale wie Ostern, Pfingsten und Weihnachten. Recht hat er. Aber möchte irgendjemand diese Feiertage und freien Sonntage plötzlich abschaffen? Habe ich etwas verpasst?
Eher versprüht der CSU-Chef hier diverse Worthülsen, um damit dem so häufig genannten „besorgten Bürger“ die zitternde Hand zu halten und zu sagen: „Fürchte dich nicht, der Heimat-Horst wird für dich kämpfen… also theoretisch… falls jemand überhaupt angreifen sollte.“ Das Schwert für diesen Kampf wäre jedenfalls schon einmal geschärft – so die Botschaft. Aber ist es nicht viel eher so, dass in Hamburg und Schleswig-Holstein mit dem Reformationstag sogar ein neuer christlicher Feiertag eingeführt wurde. Die Idee, auch einen muslimischen Feiertag in Deutschland zu etablieren, wurde bereits von Ex-Innenminister Thomas de Maizière verworfen.
Der Gegenwind folgt zugleich
Auch aus dem Kanzleramt gab es eine schnelle Reaktion auf Seehofers Interview: Für Bundeskanzlerin Merkel gehört der Islam zu Deutschland. Das hat ihr Sprecher Steffen Seibert in Berlin bekräftigt. Die historische Prägung Deutschlands sei „natürlich eine christliche, eine jüdische“, sagte er. Aber inzwischen lebten hierzulande auch Millionen von Muslimen.
Die Debatte, ob der Islam nun zu Deutschland gehört oder nicht, wird und wurde schon oft geführt. So, als der damalige Bundespräsident Christian Wulff 2010 in seiner Rede zum Tag der Deutschen Einheit erklärte, der Islam gehöre eben doch dazu. Und das stimmt. Dabei geht es nicht um die Frage, ob er dazu gehören sollte oder nicht. Es geht schlicht um die Realität: Der Islam gehört zu Deutschland. Wer etwas anderes behauptet, der sollte die Scheuklappen bei Gelegenheit besser ablegen.
Zu den Fakten…
In Deutschland leben rund 4,7 Millionen Muslime. Dem gegenüber stehen etwa 23 Millionen römisch-katholische und knapp 22 Millionen evangelische Christen. Und übrigens auch fast 30 Millionen konfessionslose Menschen hierzulande. Sie alle leben in Deutschland, sind also Teil dieses Landes, einschließlich ihrer Religion.
Lautet die Frage aber nicht vielmehr: Was bedeutet das Ganze? Es geht doch nicht darum, dass kirchliche Feiertage abgeschafft oder am Sonntag künftig durchgearbeitet wird.
Lieber Herr Seehofer, warum geben Sie Antworten auf Fragen, die niemand gestellt hat? Außer vielleicht die “Bild“-Zeitung, was durchaus bezeichnend ist. Sollten Sie als Innen- und Heimatminister nicht vielmehr erklären, wie Sie sich das Zusammenleben der verschiedenen Religionen vorstellen? Wer sagt, der Islam gehört nicht zu Deutschland, ignoriert das bereits vorhandene reale Miteinander und gefährdet es.
Und dann entstehen Parallelgesellschaften. Besser gesagt: Sie werden ausgebaut. Seehofer kündigte an, auf Islamkonferenzen trotzdem den engen Kontakt zu halten und über Integrationsprobleme von Muslimen zu diskutieren. Doch er muss sich nicht wundern, dass der Wille zur Integration bei manchen Muslimen nicht so recht aufkommen mag, wenn allein schon ihre Religion „nicht zu Deutschland gehört“. Der Minister spricht von „gegenseitigem Verständnis und Rücksichtnahme“. Das ist völlig richtig. Aber Verständnis sollte keine Einbahnstraße sein.
Herr Seehofer, das war kontraproduktiv.
Dass die deutschen Gesetze für jedermann hierzulande zu gelten haben, unabhängig von Religion, Hautfarbe, Geschlecht oder sexueller Orientierung, das steht hier nicht zur Debatte. Darum ging es dem Innenminister in seinem Interview auch nicht. Eine Überschrift mit „Für alle gelten die gleiche Gesetze“ hätte dem Artikel wohl auch deutlich weniger Leser und Seehofer deutlich weniger Aufmerksamkeit gebracht. Es geht um Integration, um das Miteinander.
Es geht auch darum, einigen Deutschen die Angst zu nehmen, das Land könne „islamisiert“ werden. Genau das macht Seehofer nicht. Er haut laut auf die Populismustrommel und erreicht das Gegenteil.
Lieber Herr Seehofer, wenn Sie unter „Heimatminister“ verstehen, vom hoch oben polierten Schreibtisch in Ihrem Büro lediglich Rauchbomben in Richtung Wahlvolk zu werfen, gehen Sie lieber wieder zurück nach Bayern. Da gibt es zwar auch keinen Platz mehr für Sie, aber dort wäre der anzurichtende Schaden geringer.
Bieten Sie bitte lieber Lösungen für die drängenden Fragen unserer Gesellschaft an. Sie sind Minister aller hier lebenden Menschen. Deutschland ist nicht nur die Heimat der 55 Prozent Christen. Behalten Sie das bitte im Hinterkopf, wenn die „Bild“-Zeitung das nächste Mal für ein Interview an Ihre Tür klopft. Und glauben Sie mir, das wird sehr bald geschehen.
Quelle: Sputnik