Putins Botschaft, die der Westen nur schwerfällig kapiert

Vertreter der älteren Generation aus der ehemaligen Sowjetunion erinnern sich daran, in welchem Schockzustand die sowjetische Führung und ein Teil der sowjetischen Gesellschaft waren, als Ronald Reagan mit seinem Star-Wars-Programm Anfang der 1980er-Jahre für Aufsehen sorgte.

Viele meinten damals, dass die Bedrohung einer technologischen Spaltung zwischen den USA und der Sowjetunion Realität werden und sich die sowjetischen Interkontinentalraketen in absehbarer Zukunft in Schrott verwandeln würden. Denn die neuen US-Raketenabwehrsysteme würden sie schon kurz nach dem Austritt aus den Silos vernichten.

Das sowjetische System war unter der Herrschaft der Kommunistischen Partei mit zahlreichen Problemen belastet, die sie kaum meistern konnte – vom Mangel an Seife und Toilettenpapier in den Läden und der Wirtschaftsflaute bis zu den Mängeln in den sowjetischen Systemen der Wirtschaft und Politik. Für alle war offensichtlich, dass das sowjetische Sozialsystem erneuert werden muss, um mit dem Westen und vor allem mit den USA konkurrenzfähig zu bleiben.

Doch die Strategische Verteidigungsinitiative Reagans wurde zum stärksten Katalysator der hektischen Reformen der Perestroika-Epoche, die mit dem Zerfall der Atomsupermacht endete. Alle dachten damals, dass die Umsetzung des Programms der Strategischen Verteidigungsinitiative eine existenzielle Bedrohung darstelle und dass etwas entgegengesetzt werden müsse.

Man kann kaum sagen, dass Wladimir Putin mit seiner Botschaft über die russischen Errungenschaften im Bereich der strategischen Atomkräfte einen ähnlichen Einfluss auf die US-Behörden und die Bevölkerung hat. Dabei zeigte jedoch Putin im Unterschied zu Reagan die Modelle von real funktionierenden Waffensystemen. Russland hat aus technologischer Sicht einen Vorsprung gegenüber den USA. Nun stellte sich die offensichtliche Frage bei Politikern und Experten – warum präsentierte Putin das alles jetzt?

Die Antwort liegt auf der Hand. In den vergangenen Jahren zeigen sich die USA und der Westen im Ganzen ständig unzufrieden mit dem Verhalten Russlands sowohl auf dem eigenen Territorium, als auch in der internationalen Arena. Die Konsolidierung der Macht, die Festigung der staatlichen Institute, die Wiederherstellung der Souveränität des Landes lassen die Unzufriedenheit bei westlichen Partnern wachsen. Es wird wie eine Rebellion gegen eine nach dem Zerfall der Sowjetunion entstandene Weltordnung mit der Dominanz der USA wahrgenommen. Nicht zufällig wird Russland in den letzten US-Strategien (nationale Sicherheitsstrategie, Atomdoktrin und anderen) neben China als revisionistisches Land eingestuft.

In diesem Zusammenhang wurde in den USA eine Russland-Strategie angenommen, die in der Isolierung und Verhängung von Sanktionen gegen Russland besteht. Damit soll es finanziell und wirtschaftlich erstickt und vor allem durch den Aufbau eines globalen Raketenabwehrsystems eine militärtechnische Überlegenheit erreicht werden. Zudem sollen die Eliten gespalten sowie für Unzufriedenheit in der Bevölkerung gesorgt werden. In Russland sollen Menschen an die Macht gebracht werden, die dem Willen Washingtons folgen.

Doch diesmal stießen die US-Eliten auf einen ganz anderen Anführer Russlands und auf eine ganz andere Antwort. Einige meinen (sowohl im Westen, als auch in Russland), dass die Botschaft und die Demonstration der Militärstärke und der enormen Entwicklungen bei Militärtechnologien innenpolitisch motiviert und ein Teil der Wahlkampagne seien. Doch auf der Hand liegt, dass Putin für den Wahlsieg keine solchen demonstrativen Gesten braucht. Das Hauptziel dieser Aktion waren die USA und der Westen. Die Botschaft lautet: Ja, sie sind reich und haben ein viel größeren Militäretat. Doch sie sollen wissen, dass wir nicht zulassen werden,  dass sie uns mit ihrer Militärstärke und Drohung eines qualitativen Abstands im Militärbereich erpressen werden. Das sollte zeigen, dass das Lieblingsmotto Reagans „Frieden durch Stärke“, zu dem auch Trump greift, unter den jetzigen Bedingungen nicht funktioniert. Damit sollte verdeutlicht werden, dass man mit Russland nicht aus der Position der Stärke und Ultimaten sprechen kann, und die USA und der Westen in Zukunft Billionen ausgeben müssen, um Russland im militärtechnischen Bereich einzuholen.

Neben den militärtechnischen Errungenschaften sprach Putin im ersten Teil der Botschaft viel über die Notwendigkeit, die Wirtschaft des Landes in den kommenden sechs Jahren auf ein qualitativ neues Niveau zu bringen. Das bedeutet: Wachstum der Löhne und Renten, Abbau der Armut, ein starker Anstieg der Pro-Kopf-Einnahmen und die Verbesserung der medizinischen Versorgung sowie der Ausbildung. Im Ergebnis soll die Lebenserwartung auf über 80 Jahre steigen.

Einige Experten verhalten sich skeptisch gegenüber solchen Plänen. Viele russische Liberale und Oppositionelle behaupten, dass der zweite Teil der Botschaft über neueste Waffenmodelle die Chancen auf die Umsetzung des ersten Teils mit den wirtschaftlichen Richtlinien durchkreuze. Dennoch wurde in der Botschaft hervorgehoben, dass die Hauptausgaben für die neuen Waffen bereits getätigt worden seien und die Waffen bereits in die Armee gelangen würden. Das heißt, dass sich Russland in der nächsten Zeit auf die Bedürfnisse der Bildung, medizinischen Versorgung, Wissenschaft und anderes konzentrieren kann, während andere im militärischen Bereich aufholen werden.

Darüber hinaus beauftragte Putin die Regierung, ein schnelleres Wirtschaftswachstum im Vergleich mit dem durchschnittlichen globalen Wachstum zu erreichen. Wird die jetzige Regierung es schaffen, einen Lokomotive der Wirtschaft zu sein? Die vergangenen Jahre zeigen, dass diese Ziele nur in einem Fall erreicht werden können – wenn Putin die Präsidialadministration und den Regierungsapparat zu einer Faust zusammenschließt, ein neues Team von ambitionierten Spezialisten bildet und einen Durchbruch erreicht, indem er seine enormen politischen Erfahrungen und das Ansehen unter dem Volk nutzt.

Von Andranik Migranjan

Quelle: Sputnik