„Das Leben lässt sich nicht wie ein Auto Probe fahren“ – Ex-KGB-Agent Barsky

Agenten leben anscheinend ein aufregendes Leben. Aber auch ein kompliziertes. Denn es bedeutet ein Doppelleben. Und es bedeutet, zu lügen, geliebte Menschen anzulügen. Und nicht selten bedeutet es auch Lügen bis in den Tod. Jack Barsky hat all das erlebt und nun in einem Buch aufgeschrieben. Am Dienstag hat er es in Berlin vorgestellt.

Von Andreas Peter

Jack Barsky heißt eigentlich Albrecht Dittrich. Aber deutlich mehr als die Hälfte seines Lebens führte er den Namen eines US-amerikanischen Jungen, der mit zehn Jahren starb. Damit fängt die Kette seiner Lebenslügen an, die Barsky auf über 400 Seiten abspult. Denn inzwischen hat sein Agenten-Deckname längst den Status einer echten Identität angenommen. Dittrich ist heute Barsky. Verstehen kann das nur, wer sich auf die Schizophrenie von Geheimdiensten einlässt.

Geheimdienste haben ein Talent, Talente aufzuspüren. Und Albrecht Dittrich war ein solches. Als es im September 1970 an der Tür des Wohnheimzimmers von Dittrich in Jena klopft, wundert sich der 21-Jährige hochbegabte Chemiestudent nicht, wie zielsicher der Mann in einem Internat ohne Namensschilder ihn gefunden hat. Und er wundert sich auch nicht, als am Ende der merkwürdigen Kontaktaufnahme die Erkenntnis steht, dass statt des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS; auch „Stasi“) der sowjetische Geheimdienst KGB an ihm interessiert ist. Dittrich ist auch interessiert, weil er überzeugt ist, dass er zu Herausragendem im Stande ist, und Herausragendes leisten will. Für den Weltfrieden, für den Kommunismus. Er muss nicht überzeugt werden. Er ist es.

Pendeln zwischen zwei Welten

Dittrich wird 1978 in die USA eingeschleust, wird Jack Barsky, soll Karriere machen und so Personen kennenlernen, die Karriere gemacht haben. Bei dem schönen Plan geht eigentlich fast alles schief. Aber dennoch führt Dittrich alias Barsky ein Doppelleben – mit zwei Ehefrauen. In seinem Buch schildert er nicht nur das räumliche Hin und Her, sondern auch das emotionale. Denn er pendelt ja nicht nur zwischen zwei Familien, sondern auch zwischen zwei Welten und Wertesystemen. Mit einer wilden Ehe oder Fremdgehen ist das nur bedingt vergleichbar, denn Barsky musste „nebenbei“ alle konspirativen Regeln einhalten. Die sind leider etwas weniger glamourös, als es Spionage- und Agentenfilme vorgaukeln.

Er schildert in seinem Buch, wie sterbenslangweilig ein „normales“ Agentenleben sein kann, eben weil es im Wesentlichen eigentlich ein „normales“ Leben ist, das zu 90 Prozent aus Warten besteht. Doch die 10 Prozent Agentenleben können auch so aufregend sein, dass es für mehrere Leben reicht. Einiges in einem Agentenleben lässt sich nicht planen. Zum Beispiel, wenn die Liebe ins Spiel kommt. Auch das schildert Barsky. Denn die Frau, mit der er in den USA als Tarnung lebt, liebt er genauso wie seine „echte“ Frau, die mit seinen Kindern in der DDR lebt und die er alle zwei Jahre sieht. Als er dann in den USA eine kleine Tochter bekommt, wirft ihn das emotional aus der Bahn.

Logik der Geheimdienste durchbrochen

Wem ein derartiges Seelenchaos schon zu viel ist, der wird wahrscheinlich so richtig fassungslos sein, wenn er lesen muss, dass Barsky seiner Mutter bis zu deren Tod nicht den wahren Grund für sein Verschwinden erklärt. Er hat deshalb auch ein belastetes Verhältnis zu seinem Bruder, der bis heute nicht verstehen kann, wie ein Sohn seiner Mutter so etwas antun kann. Denn die Mutter starb in dem Glauben, ihr Sohn sei in Kasachstan ums Leben gekommen. Wenn Barsky darüber einigermaßen nüchtern schreibt, ist das nicht Herzlosigkeit, sondern da schreibt jemand, der ein Agent durch und durch ist. Das bedeutet, nach den Regeln eines Geheimdienstes zu leben. Und die richten sich nicht nach der Vernunft und Logik von uns Normalsterblichen, erst gar nicht nach Gefühlen.

Was aber nicht heißt, dass das keine Bedeutung und keine Wirkung für Agenten hat. Denn die Vernunft und Logik der Normalsterblichen war es, die Barsky schließlich zu einer radikalen Kehrtwende bewog. Er täuschte dem KGB 1988 eine AIDS-Erkrankung vor, um damit einen Rückkehrbefehl ignorieren zu können. Damit konnte er in den USA ein neues Leben mit der gemeinsamen Tochter seiner dritten Frau leben konnte – bis ihn schließlich 1997 das FBI ausfindig machte.

Die Wendungen des Jack Barsky sind interessant zu lesen. Aber weniger als Agententhriller, sondern als Beweis dafür, dass Leben mehr sein kann, als morgens aufzustehen, zur Arbeit zu gehen und abends vor dem Fernseher zu sitzen. Barsky hat für die Irrungen und Wirrungen seines Lebens und die Dinge, die er nicht mehr rückgängig machen kann, obschon er es gerne würde, das interessante Gleichnis gefunden: „Man kann ein Leben nicht wie ein Auto Probe fahren.“

SputnikQuelle: