Unvermeidliche Rebellion: Was zum Aufstand gegen die US-Truppen in Rakka führte

Die ehemalige IS-Hochburg* Rakka hat sich erneut in einen Brandherd verwandelt: Arabische Sunniten rebellieren gegen die Kurden, die die IS-Terroristen* mit Unterstützung der USA aus der Stadt drängten, wie die Onlinezeitung „vz.ru“ berichtet.

Was bedeutet das für den Syrien-Krieg? Und warum schickten die Amerikaner in Erwartung der Unvermeidlichkeit eines solchen Szenarios trotzdem die Kurden zur Befreiung Rakkas?

Syrien steht nicht mehr in den Schlagzeilen der internationalen Medien, was nachvollziehbar ist. Einerseits verdrängt das diplomatische Scharmützel zwischen den USA und Russland die arabischen Grausamkeiten in den Schatten. Andererseits ist der IS* geschlagen, Assad gewinnt, und Ost-Ghuta ist von den Oppositionellen und Terroristen befreit. Rund 10.000 Menschen wurden in die Provinz Idlib getrieben, die jetzt zum Hauptstützpunkt der Anti-Assad-Kräfte wurde, darunter Extremisten, die Al-Qaida nahe stehen.

Die russischen Luftstreitkräfte haben ihre Aktivitäten verringert, kontrollieren aber weiterhin die Situation in den für sie wichtigen Gebieten. Zugleich ging die erste Etappe der türkischen Operation in Afrin zu Ende.

In Syrien hat die Nachkriegsperiode begonnen, in der der Krieg zwar wohl beendet, doch der lang ersehnte Frieden noch lange nicht in Sicht ist. Die groß angelegten Operationen sind zu Ende, doch die bürgerliche Konfrontation dauert an. Wissenschaftler dachten sich dafür sogar einen speziellen Begriff aus – diversionsterroristischer Krieg. Und dieser steht noch bevor.

Das Land ist in viele Stücke zerrissen. Was in Aleppo bzw. Idlib vor sich geht, unterscheidet sich stark davon, was die Korrespondenten von Al Jazeera  über Rakka bzw. Hama berichten. Das ist der Hauptfaktor, der bei der Analyse der Situation in Syrien berücksichtigt werden muss. Derzeit ist Syrien in Einflusszonen aufgeteilt, doch noch wichtiger ist, dass das Land in Kriegszonen aufgeteilt ist. Dutzende Akteure versuchen, ein Stück des einst stabilen Landes für sich zu gewinnen – in Idlib oder Rakka.

Der progressive Teil der syrischen Gesellschaft, der an der Mittelmeerküste lebt, bezeichnet die Bewohner von  Rakka als „Wilde“. Sie leben tatsächlich wie in einer anderen Welt. Syrien ist in dieser Hinsicht ein einzigartiges Land, seine komplizierte Geografie war einer der Hauptgründe des Bürgerkrieges.

Dafür sollte man auf die Landkarte blicken. Einerseits sehen wir die Küste des wichtigsten Meeres der Erde, das Zentrum des Welthandels. Dort liegen Latakia, Tartus, unweit davon Damaskus. Die gemäßigte säkulare Bevölkerung ist die Stütze Assads. Im Osten ist ein ganz anderes Bild zu erkennen. Dort gibt es Wüste und eine tief religiöse Bevölkerung – die Sunniten, die zur Stütze des IS* wurden. Diese Teile der syrischen Gesellschaft sind unvereinbar, weshalb bürgerliche Kollisionen unvermeidlich waren.

Nicht zu verhindern war auch die lokale Rebellion in Rakka, wo sich die Araber gegen die neuen Behörden der Provinz erheben – die Demokratischen Kräfte Syriens. Dabei handelt es sich um eine progressive proamerikanische Armee, die aus Kurden (70 Prozent), Arabern (20 Prozent) und CIA-Spezialisten (10 Prozent) besteht. Es handelt sich um eine der handlungsfähigsten Kräfte des heutigen Syriens, ein Produkt des Bürgerkrieges. Sie befreite Rakka und kämpfte gegen den IS* in der Wüste als gut geölte Kampfmaschine.

Die armen Sunniten rebellierten also gegen die von den USA ausgerüsteten Kurden-Kommunisten? Was bedeutet das?

Die Provinz Rakka wurde von US-Koalitionskräften im Oktober 2017 befreit. Die IS-Extremisten* zogen sich tatsächlich zurück, doch nicht im Herbst, sondern im Winter. Die Befreiung Rakkas ist ein eindeutiger Erfolg jener, die gegen den IS* kämpften. Doch da kamen Fragen zum Umbau des Landes auf. Syrien ist multinational. Rakka ist die Provinz der arabischen Sunniten, die niemals die Macht der Kurden akzeptieren werden. Kurz vor Beginn der Operation dachte Washington ernsthaft darüber nach, ob der Einsatz von kurdischen Einheiten bei der Befreiung der Stadt zweckmäßig sei. Diese Idee war wohl nicht die beste, doch da es keine Alternative gab, entschlossen sich die Amerikaner dazu.

Die Einwohner von Rakka unterstützten den IS* im Jahr 2014, begriffen aber die Unmöglichkeit des Kampfes gegen die Kräfte, hinter denen die USA stehen, und fanden sich mit den neuen Herrschern ab. Doch nur für einige Zeit. Die Amerikaner wissen das, doch sie wollen dieses Stück Syriens nicht verpassen. Viele pathetische Worte wurden gesagt und jetzt wäre es peinlich zuzugeben, dass die Idee des Sturzes Assads gescheitert ist. Die Araber werden ihrerseits nie die neuen Behörden anerkennen, sie hassen das Leben unter Kurden, das widerspricht ihrer Identität, die in den Anfangszeiten des Kalifats entstand.

Was die Kurden selbst betrifft, wollten sie nicht nach Rakka gehen, sie brauchten diese Stadt samt Umgebung nie. Ein großer Teil der Bevölkerung hasst sie, hasst Assad, sympathisiert mit dem IS*. Bei der Heranziehung der Kurden zur Operation unter dem Codenamen „Große Schlacht“ säten die Amerikaner die Samen eines neuen Bürgerkrieges. Jetzt kam es zu Auseinandersetzungen zwischen jenen, die aus dem Norden kamen (Provinz Hasaka) und den örtlichen Nachkommen der Einwohner der Arabischen Wüste.

Die Araber, die im Osten und Südosten Syriens wohnen, sind Stämme, die im Mittelalter bei der Suche nach einem besseren Klima auswanderten. Sie lebten als Stämme, bei denen die Religion eine sehr große Bedeutung hat, und größtes Ansehen die Stammesführer haben und nicht die kommunistischen Kurden. Der Beschluss, Rakka gerade mit Hilfe der Demokratischen Kräfte Syriens zu befreien, war erzwungen. Man musste gegen den IS* kämpfen. Oft lässt die Geschichte keine gute Wahl. Die „Große Schlacht“ um Rakka ist gerade ein Beispiel von Zugzwang.

Bislang ist in Rakka keine groß angelegte Rebellion zu erkennen. Die Araber werden sie in der nächsten Zeit auch wohl nicht beilegen können – sie haben weder die Ressourcen noch die Kräfte dafür.

Doch eine kurdische Machtergreifung in Rakka ist de facto nicht möglich. Das wäre wie eine jüdische Machtergreifung in einem Vorort von Riad bzw. wie eine albanische Machtergreifung in Belgrad. Jetzt sehen wir nur die ersten Keime der neuen Konfrontation.

Wie könnte ein Ausweg aus der Situation aussehen? Die USA müssten mit der Schaffung adäquater Behörden beginnen, die aus Einheimischen bestehen. Das ist das Einzige, was vor einer neuen Welle eines Bürgerkrieges um Rakka retten könnte. Damaskus müsste mit den neuen Behörden der Region schnellstens eine Vereinbarung erreichen – einen Kompromiss, und die örtliche Selbstverwaltung könnte selbst das heißeste Feuer in der Wüste in Schach halten.

*Islamischer Staat (IS) – eine in Russland verbotene Terrororganisation

Übersetzung: Sputnik