Der russische UN-Botschafter Wassili Nebensja hat in einer Dringlichkeitssitzung des Weltsicherheitsrats zum Fall des vergifteten russisch-britischen Ex-Doppelagenten Sergej Skripal auf Widersprüche und Unklarheiten in der britischen Darstellung verwiesen.
Sergej Skripal und seine Tochter hätten offenbar sofort ein Gegengift erhalten müssen, um am Leben zu bleiben, sagte Nebensja am Donnerstag in der offenen Sitzung des UN-Sicherheitsrates.
„Jene, die das Attentat auf Sergej Skripal und seine Tochter Julia verübten, haben offenbar eine äußerst giftige Substanz eingesetzt, d. h., die riskanteste und gefährlichste Methode“, sagte der Diplomat. „Dabei haben sie die Sache nicht einmal zu Ende geführt. Denn die Betroffenen sind am Leben, und Julia ist Gott sei Dank, nach allem zu urteilen, schnell auf dem Wege der Genesung.“
Der Botschafter wies auch darauf hin, dass es „in dieser trüben Sache eine Menge Fragen gibt, und je weiter, desto mehr“:
„Wenn diese superstarke Substanz in Skripals Haus versprüht wurde oder auf dessen Türgriff, und dazu neigt nach allem zu urteilen die Ermittlung, wie konnten dann Sergej und Juli noch mehrere Stunden in einem normalen Zustand sein? Und das, wo der Sergeant Nick Bailey, der ihnen zu Hilfe eilte, sofort die Besinnung verlor. Wie haben sie alle danach überleben können“, lautete Nebendsja‘s rhetorische Frage.
„Die einzige Erklärung hierfür ist, dass ihnen allen sofort ein Antidot gegeben worden war. Um das zu tun, musste diese Substanz, und nicht einfach eine ähnliche Substanz, nach der einhelligen Meinung der Experten irgendwo greifbar gewesen sein“, stellte der russische Diplomat fest.
Dabei erwies er darauf, dass das britische Militärlabor Porton Down sich nur wenige Kilometer vom Tatort entfernt befindet und „für seine Entwicklungen von Chemiewaffen bekannt ist“. „Zur Tätigkeit dieses Labors gebe es ebenso „viele offene Fragen.“
Wenn Großbritannien ihm zufolge „die Frechheit besitzt zu erklären, dass hinter dem Vorfall in Salisbury mit großer Wahrscheinlichkeit Russland steht, können wir ebenso mit großer Wahrscheinlichkeit vermuten, dass hinter dieser Megaprovokation die Geheimdienste mancher Länder stehen“, resümierte Nebensja.
Giftanschlag und diplomatishe Krise
Der frühere russisch-britische Doppelagent Sergej Skripal und seine Tochter Julia waren am 4. März im britischen Salisbury bewusstlos aufgefunden worden. Von wem und unter welchen Umständen sie wirklich vergiftet wurden, ist unklar. Die britische Premierministerin Theresa May machte die russische Regierung für das mutmaßliche Attentat verantwortlich und ordnete die Ausweisung von 23 russischen Diplomaten an. Aus „Solidarität“ mit London wiesen auch die USA, Deutschland und viele weitere EU-Staaten Dutzenden russischen Diplomaten die Tür.
Russland weist diesen Vorwurf von sich und fordert eine unabhängige Aufklärung. Als Reaktion wies auch Moskau westliche Diplomaten aus.
In dieser Woche gab es in der Giftaffäre eine Wende: Das mit der Untersuchung beauftragte britische Militärlabor Porton Down teilte am Dienstag mit, eine russische Herkunft des Nervengifts sei nicht nachweisbar. Der Kreml forderte daraufhin von der britischen Regierung eine Entschuldigung.
Dennoch lehnte die Europäische Union auf einer Sondersitzung der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW), die am Mittwoch auf den russischen Antrag hin in Den Haag stattfand, den Vorstoß Russlands und weiteren 14 Mitgliedstaaten zu völkerrechtskonformen Ermittlungen ab. Die britische Delegation bezeichnete den Vorschlag zu gemeinsamen Untersuchungen sogar als eine „perverse Ablenkungstaktik“. Schon einen Tag späterberichtete die „The Times“, die britischen Geheimdienste hätten den Standort des Labors ermittelt, in dem das beim Attentat eingesetzte Nervengift erzeugt worden sein könnte.