Für die Urheberschaft angeblicher Giftgas-Angriffe in Syrien gibt es keine Beweise. Um diesen Mangel zu kaschieren, verweisen viele Medien nun auf ein «Muster» von Verfehlungen der syrischen Regierung. Doch schon dieses «Muster» beruht nur auf Behauptungen.
Die Urheberschaft des jüngsten angeblichen Giftgasangriffs im syrischen Duma am Wochenende ist nicht bewiesen, ja nicht einmal, dass es überhaupt einen gegeben hat. Alles bewegt sich auf der Ebene der reinen Behauptung. Einige Medien meinen aber, Beweise seien nicht mehr nötig, schließlich gebe es ein «Muster» von Verhaltensweisen, aus dem sich eine Schuld der syrischen Regierung auch im aktuellen Fall ableiten ließe. Eine ähnliche Argumentation, die jedem Jurastudenten im ersten Semester die Stresspusteln aus allen Poren des Körpers schießen ließe, wenden aktuell auch die Briten im Fall Skripal an.
Aber: Um diese Muster zu illustrieren, werden ebenfalls unbelegte Vorwürfe herangezogen und zu einem pseudo-beeindruckenden Kartenhaus aufgetürmt. Es wird dabei so getan, als seien die angesprochenen Fälle in der Vergangenheit aufgeklärt worden — in der Hoffnung, dass die Leser die fehlenden Beweise für die früheren «Giftgas-Fälle» in Syrien nicht mehr in Erinnerung haben. Der Spiegel macht vor, wie man unbewiesene Anschuldigungen stapelt, um die syrische Regierung als hoffnungslos verdorben darzustellen:
US-Präsident Barack Obama hatte einst den Einsatz von biologischen oder chemischen Waffen in Syrien als ‘rote Linie’ bezeichnet, deren Überschreiten ‘enorme Konsequenzen’ für das Assad-Regime haben werde. Als die syrische Armee dann aber im August 2013 in Vororten von Damaskus Sarin einsetzte und hunderte Zivilisten tötete, verzichtete Obama auf eine militärische Reaktion.
«Spiegel» und «Bild» dürstet nach Blut
Die Untersuchung zum angeblichen Einsatz von Sarin durch Assad im Jahr 2013 basierte jedoch zu weiten Teilen auf Informationen von Islamisten. Davon unbeirrt fährt der Spiegel fort:
Nachdem die syrische Armee im April 2017 Sarin in der Stadt Chan Scheichun eingesetzt hatte, ordnete der US-Präsident einen Luftangriff auf die Militärbasis Schairat an.
Auch beim mutmaßlichen Giftgas-Angriff von 2017 ist die Urheberschaft durch die syrische Armee nicht bewiesen. Das Fazit des Spiegel ist dennoch eindeutig: «Der Giftgasangriff auf Duma vom Samstag mit Dutzenden Toten ist nur der jüngste und folgenschwerste Vorfall.»
Was diese unbewiesenen Anschuldigungen für US-Präsident Donald Trump bedeuten, ist laut Spiegel ebenfalls klar:
Der Giftgasangriff setzt den US-Präsidenten unter Zugzwang. Vor wenigen Tagen hatte er angekündigt, den US-Militäreinsatz in Syrien möglichst bald zu beenden. […] Doch nachdem die Bilder der erstickten Familien aus Duma auch in den USA über die Fernsehbildschirme liefen, muss Trump militärisch reagieren, wenn er glaubwürdig bleiben will.
Noch forscher prescht die Bild-Zeitung voran, die schon die Original-Bombe lokalisiert haben will, mit der «Assad gestern 48 Menschen tötete». Das Boulevard-Blatt begrüßt zudem, dass die USA ankündigen, dem mutmaßlichen Verbrechen «mit der größten je versammelten Macht» entgegenzutreten: «Eine klare Drohung – und eine klare Haltung!», jubeln die Bild-Redakteure. Dass eine «klare Haltung» zu einem höchst unklaren Vorgang gefährlich ist, kommt diesen Journalisten nicht in den Sinn.
Die seriöseren Töne finden sich eher in den kleineren Zeitungen. So bleibt die Kölnische Rundschau gelassen und warnt vorbildlich vor Panikmache: «Interesse an weiterer Eskalation dürften weder Washington noch Moskau haben. Deshalb sind die derzeitigen scharfen Töne vor allem eines: Säbelrasseln.» Ähnlich sieht das auch die Nordwest-Zeitung aus Oldenburg:
Das Zeitfenster für eine massive militärische Intervention, die allein den Bürgerkrieg hätte beenden können, ist seit Beginn des russischen Engagements geschlossen. Jetzt können Franzosen und Amerikaner zwar einige Bomben werfen. Alles, was darüber hinausgeht, bedeutet aber Krieg mit Moskau.
Tagesschau kann nicht aus ihrer Haut
Die Tagesschau bemüht sich sichtlich um — relative — Distanz zu den dubiosen Giftgas-Vorwürfen, scheitert dabei aber an ihrem eigenen Narrativ. Zwar tut das Medium so, als hätte es die syrische Regierung nicht selbst schon zahlreiche Male als «Regime» bezeichnet, indem es sich von dieser Wortwahl der US-Botschafterin bei den UN, Nikki Haley, distanziert. Doch in ihrem Bericht verschweigt die Tagesschau zum einen, dass der UN-Sonderbeauftragte Staffan de Mistura ebenso wie Russland eine schnelle Untersuchung des Vorfalls vor Ort forderte. Zum anderen schreibt das Medium folgenden vernebelnden Absatz:
Die USA legten derweil einen neuen Resolutionsentwurf vor. Hauptanliegen: eine neue UN-Untersuchungsgruppe einzusetzen, die die Giftgas-Täter ermitteln soll. Im November aber hatte Moskau per Veto verhindert, dass eine bereits vom Sicherheitsrat eingesetzte UN-Kommission weiter arbeiten konnte.
Hier soll suggeriert werden, Russland stelle sich gegen eine Untersuchung. Dabei wendet sich Russland nicht gegen Aufklärung vor Ort — im Gegenteil -, sondern nur gegen eine neu zu schaffende, von den USA dominierte Parallel-Institution. Für die Untersuchung des Falls gibt es mit der OPCW bereits eine verantwortliche Stelle. Diese Informationen erfährt der Tagesschau-Konsument jedoch nicht.
Und so landet die Tagesschau, trotz Bemühens, wieder beim alten Tenor, der sich durch fast alle großen deutschen Medien zieht: Russland sollte verurteilt werden — und wenn nicht für die konkreten unbewiesenen Vorfälle, so doch wegen eines «Musters» von Verfehlungen in der Vergangenheit. Da aber die so genannte internationale Gemeinschaft angeblich zu schwach ist, um bei schwacher Beweislage ein Signal der Stärke zu senden, schließt die Tagesschau bedauernd: «Stattdessen laute Worte und scharfe Verurteilungen, aber einmal mehr keine Einigung.»
Auch ehemals respektable Medien haben beim Thema Syrien alle Hemmungen verloren. So verkündet die Frankfurter Rundschau unter der infamen Überschrift «Die zynische Chemiewaffenbruderschaft», das mutmaßliche Gift sei «offenbar» aus «einem Hubschrauber der syrischen Armee» geworfen worden. Dass sich die Zeitung bei diesem «offenbar» auf die diskreditierten «Weißhelme» beruft, steht in dem Artikel nicht, stattdessen stapelt das Medium — wie oben beim Spiegel beobachtet — andere unbewiesene Vorwürfe aus der Vergangenheit aufeinander, damit diese den aktuellen Fall zuungunsten Syriens einfärben. Syriens Giftgas wurde zwar vernichtet, doch die Frankfurter Rundschau präsentiert ein weiteres «offenbar»: «Aber offenbar geht die russisch-syrische Chemiewaffenbrüderschaft weiter.»
«Würdet Ihr akzeptieren, dass bärtige Barbaren Eure Städte beschießen?»
Dass man sich mit Syrien auch anders befassen kann, zeigen etwa (relativ) distanzierte Artikel der Nachrichtenagentur dpa oder im MDR. Vor allem aber beweist es Götz Aly in der Berliner Zeitung. In seinem Kommentar geht Aly hart ins Gericht mit der deutschen Medienlandschaft und bezweifelt etwa die Assad und Putin unterstellte Motivation:
Natürlich weiß ich nicht, wer in Syrien womit schießt und dabei gewiss unbeteiligte Zivilisten tötet. Nur wissen es diejenigen, die bis heute ‘die Rebellen’ unterstützen, auch nicht. Aber es scheint mir auf Seiten der siegreichen Regierungstruppen kein Motiv zu geben. Anders die Aufständischen: Angesichts ihrer Niederlage haben sie Gründe, gestellte Bildsequenzen zu verbreiten.
Neben dem von Aly finden sich übrigens auch einzelne weitere Beiträge, die aus der sehr dominanten Anti-Assad-Linie der deutschen Redakteure ausscheren, etwa in der FAZ, für die Christoph Ehrhardt tatsächlich bis nach Syrien gefahren ist und dort erfahren hat, «wie viele Syrer die Herrschaft Assads als das kleinere Übel ansehen». Dort musste sich Ehrhardt Fragen wie diese anhören: «Würdest Du akzeptieren, dass bärtige Barbaren Deine Stadt mit Raketen beschießen?» Ob sich das die Redakteure von Spiegel, Tagesschau, Frankfurter Rundschau oder Bild auch schon mal gefragt haben?
Quelle: RT