Im syrischen Duma sind Experten der OPCW eingetroffen, um den angeblichen Einsatz von Chemiewaffen zu untersuchen. Der Westen bezichtigt Damaskus, Giftgas eingesetzt zu haben. Moskau spricht hingegen von einer Aktion unter falscher Flagge.
von Karin Leukefeld, Damaskus/ RT
Die Inspektoren der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) sind am Dienstagnachmittag erstmals nach Duma bei Damaskus gefahren, um Angaben über einen angeblichen Angriff mit chemischen Waffen zu untersuchen. Westliche Medien und Politiker hatten Syrien und Russland beschuldigt, die Arbeit der OPCW-Inspektoren zu verhindern. In Moskau hieß es, die Arbeit der OPCW-Inspektoren verzögere sich, weil die USA, Großbritannien und Frankreich an dem Tag, an dem die Arbeit beginnen sollte, Syrien angegriffen hätten.
Ohne ein Ergebnis abzuwarten, hatten die drei westlichen Vetomächte im UN-Sicherheitsrat die syrische Armee und Regierung als angebliche Schuldige für den nicht bewiesenen Chemiewaffenangriff ausgemacht und bombardiert. Das Völkerrecht und die Strukturen der Vereinten Nationen, die 193 Nationen seit 1946 als internationales Regelwerk anerkannt haben, werden demontiert.
Werdegang einer Giftgas-Meldung
In den frühen Morgenstunden des 8. April (01:06 Uhr) hatten syrische Oppositionelle über das Internet Fotos verbreitet und behauptet: «Brandaktuell – Schreckliche Berichte über chemische Angriffe auf das belagerte Duma in der östlichen Ghuta – sehr viel stärker als normale Chlorgasangriffe». (BREAKING — Terrible reports of a chemical attack on besieged #Douma in #EastGhouta — *much* more potent than normal chlorine gas attacks.) Verbreitet wurde die Meldung über «تطورات جنيف» , ein Portal, das mit der Nationalen Koalition der syrischen Revolution und oppositionellen Kräften (Etilaf, Sitz in Istanbul) verbunden ist. Zu sehen waren Fotos von Kindern und einer Frau, die angeblich bei einem Angriff der syrischen Armee mit Giftgas – Chlor oder Sarin – verseucht wurden. Manche der Opfer hatten weißen Schaum vor dem Mund.
Keine zwei Stunden später, um 3.00 Uhr morgens, wurde die Meldung über Spiegel Online verbreitet: Ein Hubschrauber habe eine Fassbombe mit Chemikalien abgeworfen, wurde die Organisation «Weißhelme» zitiert. Ganze Familien seien erstickt, man gehe von «mindestens 150 Toten und mehr als 1.000 Verletzten» aus. Laut Spiegel wurde der Angriff von der «Union der Medizinischen und Hilfsorganisationen» (UOSSM) bestätigt. Es handele sich um eine der «schlimmsten chemischen Attacken in der syrischen Geschichte», wurde der UOSSM-Vorsitzende Ghanem Tayara zitiert. Auch die aus England operierende «Beobachtungsstelle für Menschenrechte» bestätigte den Angriff, und das US-Außenministerium bezeichnete die Berichte als «verstörend». Sollte sich ein Angriff mit Giftgas bestätigen, sei auch «Russland dafür verantwortlich».
Syrien und Russland hatten schon zuvor erklärt, dass offenbar Provokationen mit chemischen Kampfstoffen in Duma geplant seien. Sollte es geschehen, sei nicht die syrische Armee verantwortlich. Nachdem die Behauptung von den «Weißhelmen» veröffentlicht worden war, hieß es in Damaskus, die Regierungsarmee habe es «nicht nötig, irgendeine chemische Substanz einzusetzen».
Um 7.00 Uhr morgens am Sonntag (8.4.2018) verbreitete dann die britische BBC die Nachricht: «Syrienkrieg: Berichte von mindestens 70 Toten in vermutlichem Gasangriff». In der Unterzeile wurde auf «grausame Bilder» hingewiesen, die aus dem «von Rebellen kontrollierten Duma» aufgetaucht seien und «offenbar Leichen in Untergeschossen zeigen». Agenturen, nationale und internationale Blätter griffen die Meldung eines «möglichen Giftgasangriffes» auf, die sich in Windeseile verbreitete. Am Sonntagmittag war für die westlichen Staaten klar, dass es nicht einen «möglichen», sondern einen tatsächlichen Angriff mit Giftgas in Duma gegeben hat. US-Präsident Donald Trump drohte Russland. Großbritannien und Frankreich stellten sich an seine Seite. Szenarien militärischer Angriffe wurden verbreitet, die von Syrien ausgesprochene Einladung an ein OPCW-Inspektorenteam verschwand aus den Schlagzeilen. Das Warten auf den Krieg gegen Syrien begann.
Angriff nach vorschneller Schuldzuweisung
Weniger als eine Woche nach dem angeblichen Chemiewaffenangriff auf Duma – in der Nacht zum 14. April 2018 – starteten die USA, Großbritannien und Frankreich einen dreifachen Angriff auf angebliche «Entwicklungs-, Produktions- und Lagerstätten» für chemische Waffen in Syrien. Für diese militärische Aggression gegen das souveräne Syrien gab es kein Mandat des UN-Sicherheitsrates. Eine Mission von Inspektoren der UN-Organisation für das Verbot von chemischen Waffen (OPCW) war zwar gerade in Damaskus eingetroffen, hatte ihre Arbeit aber noch nicht aufnehmen können.
Nach dem militärischen Angriff gegen Syrien am vergangenen Samstag wurden die westlichen Angriffe medial und politisch fortgesetzt. Syrien und Russland würden den OPCW-Inspektoren den Zugang zu dem Ort des angeblichen Chemiewaffenangriffs in Duma verweigern, hieß es im französischen Außenministerium am Dienstag in Paris. «Beweise und die wichtigsten Dinge dafür werden vermutlich verschwinden.» Im Übrigen gehe es nicht darum, dass die Inspektoren herausfinden sollten, wer für den Vorfall verantwortlich sei. Das könne nur durch eine gemeinsame UN-OPCW-Mission erfolgen, die es aber nicht mehr gebe.
Auch die USA und Deutschland beschuldigten Syrien und Russland, die Arbeit der OPCW-Inspektoren zu behindern. Aus Israel war zu hören, dass der westliche Luftangriff gegen Syrien nicht ausgereicht habe, um die angeblichen Chemiewaffenarsenale in Syrien zu zerstören. Militärs und Angehörige des Mossad sagten dem Internetportal Ynetnews zufolge, dass das Land noch immer fünf bis zehn Prozent der Chemiewaffen besitze, die angeblich zwischen 2014 und 2016 vernichtet worden seien. Mindestens 100-mal habe Syrien seitdem Giftgas eingesetzt. Beweise für diese schwerwiegende Behauptung wurden nicht vorgelegt.
Moskau spricht von einer Inszenierung
Der russische OPCW-Vertreter Alexander Schulgin erklärte derweil, Moskau habe unwiderlegbare Beweise, dass der angebliche Chemiewaffenangriff in Duma eine «Operation unter falscher Flagge» gewesen sei. Geplant und durchgeführt worden sei die Aktion von britischen Geheimdienstoffizieren mit US-Unterstützung. Schulgins Fazit: «Es gab keinen Chemiewaffenangriff in Duma.»
Unterstützt wird diese Aussage von medizinischem Personal des Krankenhauses in Duma, in dem die Personen, die auf dem Videoclip der «Weißhelme» zu sehen sind, nach einem Luftangriff behandelt worden waren. Einige Personen hätten Atembeschwerden gehabt, was auf Asthma und Sauerstoffmangel zurückzuführen gewesen sei, sagten zwei Pfleger, die die Menschen behandelt hatten. Beide Pfleger sind auf dem Videoclip der «Weißhelme» deutlich zu erkennen. «Die Leute waren in Kellern unter der Erde untergebracht, die sich mit Staub gefüllt hatten», berichtete der Arzt Assim Rahaibani dem Independent-Korrespondenten Robert Fisk.
Keiner habe Anzeichen von Vergiftungen gezeigt. Während die Personen versorgt worden seien, sei ein Mann von den «Weißhelmen» in den Raum gestützt und habe «Gas, Gas» gerufen. Die Leute seien panisch geworden und hätten begonnen, sich mit Wasser abzuwaschen. Der Videoclip sei in dem Krankenhaus gefilmt worden, wo er gearbeitet habe: «Das Video ist echt. Aber die Menschen, die Sie sehen, leiden an Hypoxie (Sauerstoffmangel), nicht an einer Gasvergiftung.»