Vertriebene Deutsche nach Zweitem Weltkrieg anders als heutige Flüchtlinge

Auf die Parallelen zwischen heutigen Fluchtbewegungen und der Vertreibung der Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg hat Bernd Fabritius, der neue Beauftragte der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten, der zugleich Vorsitzender des Bundes der Vertriebenen ist, hingewiesen.

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Seit 1945 seien viele Jahrzehnte vergangen und damit habe sich in der deutschen Gesellschaft eine Distanz zu diesem Thema entwickelt, sagte Fabritius in einem Interview mit Sputnik am Rande der Fotoausstellung zum 100. Jubiläum der autonomen Republik der Wolga-Deutschen. „Man hat vergessen, dass vor vielen Jahrzehnten auch Millionen von Deutschen auf der Flucht gewesen sind. Wenn jetzt wieder weltweit 65 Millionen Menschen auf der Flucht sind und davon einige in Deutschland ankommen, dann wird das öffentliche Augenmerk auf dieses Thema plötzlich wieder lebendig.“

Man stelle fest, so der Politiker weiter, „es kommen am Hauptbahnhof wieder viele Menschen mit Koffern an, die ihre Heimat verloren haben, die nicht wissen, wem sie gehören, und wohin sie sollen. Und deswegen erinnern sich auch immer mehr Leute, das hat man auch in Deutschland schon einmal erlebt. Und genau deswegen habe ich schon sehr schnell dazu aufgerufen, heutigen Opfern von Flucht und Vertreibung mit offenem Herzen gegenüberzutreten.“

Vertriebene von heute sind keine Deutschen

Und das sei einer der großen Unterschiede zu damals, so Fabritius, „aber das Gefühl, dass man die Heimat verliert, tut gleich weh, ob man Deutscher ist, Russe, Pole oder heute als Syrer die Heimat verliert. Dieser dramatische Bruch in der eigenen Biographie ist ein hoch traumatisches Ereignis.“

Die Frage, ob das Deutsche seien oder nicht, spiele eine Rolle, wenn es um die Integration und die Aufnahme gehe, ist der Aussiedler- und Minderheitenbeauftragte sicher. „Wenn Deutsche vertrieben werden und in Deutschland ankommen, dann ist Integration viel einfacher, weil sie dem eigenen Kulturkreis angehören. Die Deutschen aus Russland, die aufgrund der Ereignisse nach dem Zweiten Weltkrieg auch nach Deutschland gekommen sind, haben sich bei uns viel einfacher integriert, weil sie nach dem eigenen Selbstverständnis Deutsche waren.“

Fabritius merkt an: „Wenn heute Syrer kommen, dann kommen sie in ein fremdes Land. Sie haben eine andere Religion und verstehen die Sprache nicht. Das sind klare Unterschiede.“

Russlanddeutsche sind eine geborene Brücke zu Deutschland

Als eine sehr herausfordernde Aufgabe, die ihn sehr reizt, nimmt er seinen neuen Posten wahr, „weil die deutsche Minderheit in Russland, die von Deutschland am weitesten entfernte Minderheit ist, die zugleich die größte Minderheit im Ausland ist. Es ist die Minderheit, die von den Wirren der Geschichte am meisten gebeutelt worden ist. Die Deutschen in Russland haben für die Verbrechen Nazi-Deutschlands mit am härtesten bezahlt. Das verschafft beiden Staaten eine eigene Verantwortung.“

Fabritius möchte diese Verantwortung vollumfänglich wahrnehmen und sieht sich als Sprachrohr dieser Menschen und Anwalt ihrer Interessen. „Für mich ist die Förderung der deutschen Minderheit in Russland, die Festigung ihrer kulturellen Selbstverortung ein sehr wichtiger Zweck. Ich sehe darüber hinaus sie als unglaublich große Chance, diese Minderheit als eine geborene Brücke zwischen unseren beiden Ländern, die wir gerade jetzt brauchen, zu verstehen, wo draußen das Wetter manchmal schlecht ist, wo wir solche Brücken benötigen, die einen Zugang von Herz zu Herz und von Seele zu Seele bieten.“

Diese Chance will der neue Beauftragte der Bundesregierung ergreifen und die Partner in Russland ermuntern, das genauso zu tun. „Ich werde alles Mögliche tun, um einen Aufwuchs der bisherigen Möglichkeiten zu haben, weil nach meiner festen Überzeugung die Herausforderungen wichtiger sind. Die Minderheit mit zunehmender Distanz auch zur gemeinsamen Geschichte benötigt mehr Aufwand und mehr Aufmerksamkeit, um sich der eigenen kulturellen Zugehörigkeit immer wieder klar zu werden. Und das ist ein Ansatz, den ich verfolgen möchte.“

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