Giftgas in Syrien: Zeugenaussagen und die Schlacht um die mediale Deutungshoheit

Aussagen von Einwohnern aus Duma werden als unglaubwürdig abgetan, wenn sie dem westlichen Narrativ zum Giftgaseinsatz widersprechen. Journalisten werden angegriffen, wenn sie über solche Aussagen berichten. In der Propagandaschlacht ganz vorne dabei: Die Bild-Zeitung.

Der mutmaßliche Giftgaseinsatz vom 7. April in der Kleinstadt Duma in der Region Ost-Ghuta diente den USA, Frankreich und Großbritannien eine Woche später als Begründung für Militärschläge gegen Syrien. Im Einklang mit der NATO und der EU machen sie die Regierung von Präsident Baschar al-Assad für die Chemiewaffenattacke verantwortlich, bei der Dutzende Zivilisten ums Leben gekommen sein sollen.

Doch Aussagen von Einwohnern aus Duma erschüttern zunehmend diesen Narrativ. Insbesondere jene der Mitarbeiter der örtlichen Klinik, wo ein Video gedreht wurde, das panische Menschen zeigt, die sich gegenseitig mit Wasser abspritzen, nachdem sie angeblich mit dem Giftgas in Berührung gekommen waren. Laut den Mitarbeitern der Klinik handelte es sich bei den Aufnahmen um eine Inszenierung. Das sagte auch der 11-Jährige Hassan Diab, der in dem Video „mitspielte“.

Kurz nach Bekanntwerden dieser Aussagen setzte eine mediale Kampagne ein, die deren Glaubwürdigkeit untergraben soll. „Diese armen Leute in Duma haben keine andere Möglichkeit, als das zu sagen“, sagte ein namentlich nicht genannter Fotograf gegenüber der Deutschen Presse-Agentur (dpa), der nach eigener Aussage in der Stadt war, als sich der mutmaßliche Chemiewaffeneinsatz ereignete.

„Die Mediziner und ihre Familien, die immer noch in Duma sind und es nicht mit den anderen nach Nordsyrien verlassen haben, stehen unter sehr enger Beaufsichtigung des Regimes und seiner Verbündeten“, zitierte am Sonntag die dpa den Vorsitzenden der Hilfsorganisation „Union of Medical Care and Relief Organizations“ (UOSSM), Ghanem Tajara.

Es war der britische Guardian, der erstmals unter Berufung auf den in Birmingham lebenden Tajara und seine UOSSM über die angebliche „extreme Einschüchterung“ der Mediziner in Duma durch die syrische Regierung berichtete. In dem Artikel vom 17. April wird die UOSSM fälschlicherweise als „die größte medizinische Hilfsorganisation in Syrien“ bezeichnet – was tatsächlich jedoch der Syrische Arabische Rote Halbmond ist, der eng mit dem Deutschen Roten Kreuz kooperiert. Während der Halbmond Hilfe für alle Syrer leistet und auch humanitäre Konvois in die von islamistischen Aufständischen kontrollierten Gebiete organisiert, ist die UOSSM ausschließlich dort aktiv.

Der Organisation gehören unter anderem die Shaam Relief Foundation USA und die Syrian American Foundationan, deren Symbole an die Fahne der „Freien Syrischen Armee“ angelehnt sind. Die UOSSM kooperiert vor Ort eng mit den umstrittenen und vor allem von Großbritannien und den USA finanzierten Weißhelmen, die gemeinsame Sache mit Terroristen machen und eine zwielichtige Rolle bei den behaupteten Giftgas-Angriffen in Syrien spielen. Zu den UOSSM-Partnern gehört auch die „Syrisch-Amerikanische Ärztegesellschaft“ (SAMS), die der extremistischen Muslimbruderschaft nahesteht und ebenfalls eine mediale Schlüsselrolle beim mutmaßlichen Giftgasangriff in Duma spielte.

Auch wenn UOSSM-Chef Tajara die Neutralität seiner Organisation betont, trommelt er schon seit Jahren für eine humanitär kaschierte militärische Intervention des Westens in Form der Verhängung einer Flugverbotszone. So sagte er im September 2015:

Wenn die Freie Syrische Armee für die Sicherheit am Boden sorgt und eine Flugverbotszone Assad davon abhält, Fassbomben in dieser Region abzuwerfen, (…) dann kann die UOSSM mindestens drei Mal so viele medizinische Hilfsgüter in dieses Gebiet bringen.

Der Forderung schloss sich seinerzeit auch der UOSSM-Berater und ehemalige britische Militärgeheimdienstler Hamish de Bretton-Gordon an, der eine überaus bemerkenswerte Rolle im Fall Skripal und den angeblichen Chemiewaffenangriffen in Syrien spielt. Er und Tajara wurden in britischen Medien in den vergangenen Monaten am häufigsten im Zusammenhang mit angeblich von der syrischen Armee in Ost-Ghuta begangenen Kriegsverbrechen zitiert.

Die UOSSM ist fest in das Netzwerk jener Kräfte eingebettet, die den syrischen Präsidenten mit Gewalt stürzen wollen. Das muss nicht heißen, dass Tajaras Aussage über die Einschüchterung der Ärzte in Duma nicht der Wahrheit entspricht. Doch eine solche vom Guardian und der dpa unterlassene Einordnung der UOSSM als Konfliktpartei wäre ein wichtiger Hinweis für die Leser zur Einschätzung seiner Objektivität gewesen.

Die Bild trommelt mit unglaubwürdigen Zeugen für Militärschläge

Während die Aussagen jener Zeugen öffentlich in Frage gestellt werden, die dem Narrativ eines von Assad befehligten Giftgasangriffs widersprechen, haben sich bereits Zeugen der in diesem Sinne erhobenen Anklage als unglaubwürdig erwiesen. So präsentierte der US-Sender NBC News in einem Beitrag vom 13. April die mit einem Syrer verheiratete US-Bürgerin Deana Lynn (aka Diana Jamal el-Deen) als Zeugin der Chemiewaffenattacke. Sie habe sich bei Verwandten in einem Keller aufgehalten, als das Giftgas dort „hineinwehte“.

Die Bild-Zeitung machte mit ihr einen Tag später als Zeugin auf, die auch gleich eine politische Botschaft zu vermitteln hatte: „Es muss viel mehr geschehen“, sagte Lynn nach den Angriffen der USA, Frankreichs und Großbritanniens auf Syrien. Doch in einem am 15. April ausgestrahlten Interview der US-Radiostation NPR sagte sie:

Es gab zwei Tage lang ununterbrochen Bombenangriffe. Die Frauen, Kinder und die Männer, sie alle blieben im Keller. Am zweiten Tag gab es einen chemischen Angriff, der sich nicht in meiner Nähe ereignete, aber ich hörte davon.

Lynn ist also lediglich eine „Zeugin“ vom Hörensagen. In dem genannten Bild-Artikel wird ein zweiter Zeuge angeführt, der „Journalist und Fotograf Firas Abdullah“. Auch er kritisiert, dass der Militärschlag der drei Länder nicht härter ausgefallen war:

Das war kein Militärschlag mit dem Ziel, den kriminellen Assad zu stoppen. Der Schlag war eher für die Medien gedacht, es war nicht wirklich schmerzhaft für ihn. Sie haben ihn nicht getötet und nicht gestoppt. Deswegen denke ich, dass die Reaktion viel stärker hätte sein müssen.

Der Artikelverfasser Julian Röpcke hatte bereits Anfang Februar ein „Exklusivinterview“ mit Firas Abdullah geführt. Schlagzeile des Artikels: „Ich fand die Giftgas-Rakete mit deutschen Bauteilen.“ Abdullah „fand am 1. Februar 2018, direkt nach dem Angriff auf seine Wohngegend, eine der mit Chlorgas gefüllten Raketen iranischer Produktion – und entdeckte die deutschen Bauteile“, heißt es darin. Bemerkenswerterweise hat der Fotograf offenbar kein Bild dieses brisanten Fundes gemacht, zumindest enthält der Artikel keine Aufnahme.

Das Foto, mit dem Abdullah seinem Twitter-Account verziert, ist ebenso bemerkenswert: Er posiert vor einer Fahne der „Freien Syrischen Armee“. In dem Artikel des Springer-Blattes vom 14. April wird dieses Foto sogar verwendet, jedoch mit dem falschen Hinweis, es handele sich um eine Fahne des syrischen Staates. Dasselbe Bild veröffentlichte Abdullah auch auf seinem Instagram-Account mit dem Hinweis, er sei ein „syrischer Revolutionär“.

Giftgas in Syrien: Zeugenaussagen und die Schlacht um die mediale Deutungshoheit
Screenshot des Artikels der Bild-Zeitung

Abdullahs Sympathiebekundungen für die Aufständischen lassen an seiner Objektivität zweifeln. Nicht umsonst bezeichnete der Deutschlandfunk ihn in einem Artikel vom Ende Februar nicht als Journalisten und Fotografen, sondern als „regimekritischen Aktivisten“, als jemand, der „für die Weißhelme spricht“. Auch beim Deutschlandfunkkonnte Abdullah seine politische Botschaft unterbringen: „Die deutsche Politik müsse endlich handeln und etwas gegen Assad tun.“

In einem Beitrag für den Middle East Monitor von Ende 2016 behauptete Abdullah gar, die Armee würde in Ost-Ghuta Napalm gegen die Einwohner einsetzen. Zu jeder „Revolution“ gehört nun mal Propaganda. Und wie die funktioniert, dass scheint der Aktivist nur zu gut zu wissen. So postete Abdullah auf Instragram auch das verstörende Foto zweier toter Kinder, jeweils „verpackt“ in einem Sack des UN-Flüchtlingshilfswerks.

Ausgerechnet Bild-Journalist Röpcke hält das Foto für ein arrangiertes Propagandamachwerk, um „mehr Emotionen“ zu erzeugen. Das geht aus seiner Antwort auf einen Tweet des BBC-Journalisten Riam Dalati hervor, der auf ein gestelltes Foto im Zusammenhang mit der angeblichen Giftgasttacke in Duma aufmerksam machte. (Auf weitere Unstimmigkeiten in den vorgeblichen Beweisvideos, die tote Zivilisten in einem Kellerraum zeigen, macht der Kanadier Stephen McIntyre aufmerksam.)

Halten wir fest: Die von Röpcke präsentierte Zeugin erweist sich als Nicht-Zeugin, der von ihm angeführte „Journalist“ ist tatsächlich ein Regime Change-Aktivist, der nach Röpckes eigener Einschätzung gestellte Propagandabilder verbreitet.

„Schande für Journalismus“: Mobilmachung gegen Abweichler

Das ist deshalb so bemerkenswert, weil die Bild unter den hiesigen Presseorganen am lautesten für Militärschläge gegen Syrien trommelt, am liebsten mit deutscher Beteiligung. Und keiner ihrer Mitarbeiter rührt die Trommel so laut wie Röpcke. Das bekommen insbesondere jene Journalisten zu spüren, die es wagen, in ihrer Berichterstattung von seiner Meinung abzuweichen – sie können fest mit einem Propaganda-Vorwurf aus dem Munde des Bild-Journalisten rechnen.

So bezeichnete Röpcke den Beitrag des ZDF-Korrespondenten Uli Gack als die „wohl größte Schande deutscher Medien im Zusammenhang mit sieben Jahren Berichterstattung zum Krieg in Syrien“. An anderer Stelle bezeichnete er Gack als einen „Assad unterstützenden Korrespondenten“. Überhaupt verbreiteten ARD und ZDF seit dem angeblichen Giftgas-Angriff auf Duma „Lügen und Propaganda zum Wohle Assads und Putins“, echauffiert sich Röpcke.

Gack hatte berichtet, dass alle Menschen aus Duma, mit denen er gesprochen habe, davon überzeugt seien, dass es sich bei dem Giftgasvorfall um eine Inszenierung der Aufständischen handelte:

Schelte für Gack und das ZDF gab es auch vom Bild-Chefredakteur Julian Reichelt:

Nachdem Röpcke, Reichelt und weitere Medienvertreter eine regelrechte Kampagne gegen Gack losgetreten hatten, distanzierte sich das ZDF von seinem Korrespondenten.

Als der renommierte und preisgekrönte britische Journalist Robert Fisk seine Zweifel an dem westlichen Narrativ äußerte, nachdem er mit Mitarbeitern der örtlichen Klinik in Duma geredet hatte, die ebenfalls von einer Inszenierung sprachen, holte Röpcke zum Verbalschlag aus: „Was für eine verdammte Schande [„fucking disgrace“] für den Journalismus.“ Verschwörungstheoretisch unterstellte er, Russland habe „sein Sprachrohr Fisk“ nach Duma gebracht, damit dieser den Giftgasangriff im Sinne Moskaus „untersucht“.

Neben Journalisten werden auch Experten zur Zielscheibe Röpckescher Gehässigkeiten, wenn sie nicht auf seiner Linie sind. So kürte er den Nahostexperten Günter Meyer vom Zentrum Orientforschung der Uni Mainz zum „dreckigsten Lügner Deutschlands“, weil dieser im öffentlich-rechtlichen Fernsehen von einem inszenierten Giftgasvorfall sprach. „Der Lügner sollte nie wieder in eine Talkshow eingeladen werden“, fordert der um die Meinungsfreiheit in Syrien besorgte Journalist.

Als ihn ein Twitter-User darauf aufmerksam gemacht hatte, dass in seinem Artikel vom 14. April die US-Bürgerin Deana Lynn in der Überschrift fälschlicherweise zu einer Syrerin erklärt wurde, bezeichnete Röpcke seinen Kritiker als „Abschaum“. Selbstredend verbreitete er auch die Mär, wonach Russland den OPCW-Inspekteuren den Zugang zu Duma verweigert habe. Und natürlich lebten alle Menschen in der Stadt nun in Todesangst, weshalb sie nichts sagten, was „Assads und Putins Version widerspricht“.

Zuvor hatte Röpcke in einem anderen Tweet seine Sorge darüber geäußert, dass das US-Außenministerium die Anzahl der Toten des mutmaßlichen Giftgaseinsatzes in Duma doppelt so hoch veranschlagte wie die Weißhelme. „Wir sollten uns nicht widersprechen“, empfahl er. Selten war die Verwendung der 1. Person Plural so verräterisch.

Quelle: RT

 

 

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