Muss Deutschland vom „alten Einwanderungsland“ Frankreich lernen?

Frankreich führt ein neues Gesetz ein, das Zuwanderung „strenger kontrollieren“ soll. Während das Nachbarland vor allem Menschen aus West-Afrika aufnimmt, bleiben in Deutschland Geflüchtete aus Syrien die größte Migrationsgruppe. Auf einer Integrations-Konferenz in Berlin suchen Politiker und Experten Antworten auf die Folgen der Migration.

„Wir alle spüren, dass die offene und liberale Gesellschaft, vor allem in Europa, unter Druck steht“, sagte Michael Roth (SPD), der Staatsminister für Europa im Auswärtigen Amt, auf einer vom „American Jewish Comitee“ organisierten Konferenz am Dienstag in Berlin-Mitte unter dem Titel: „Deutsche und französische Perspektiven zu Immigration, Integration und Identität.“

„Wir spüren, dass wir alle kämpfen müssen, damit dieses liberale Europa überlebt“, erklärte Roth, der Beauftragte der Bundesregierung für deutsch-französische Zusammenarbeit, weiter. „Wir spüren unmittelbar die Folgen von Krieg in unserer Nachbarschaft.“ Das Ergebnis: Flüchtlingsströme nach Europa, nach Deutschland und Frankreich. Die Flüchtlingsfrage sei für die Entscheidungsträger in der Politik eine große Herausforderung.

„Viele von denen werden für längere Zeit, einige von ihnen dauerhaft bei uns bleiben“, so der SPD-Politiker.

Noch 1998 habe die Frage, ob Deutschland ein Einwanderungsland sei, den Bundestagswahlkampf bestimmt. Mittlerweile habe sich die Bundesrepublik zu einer „pluralen und multi-religiösen Gesellschaft“ entwickelt. Dem müsse auch die Politik Rechnung tragen, so der Staatsminister.

Grüße aus Paris: „Frankreich ist altes Einwanderungsland“

Ihm zufolge muss aber auch das Problem des Antisemitismus und Rassismus konsequent verfolgt werden. Nicht nur hierzulande, sondern europaweit. „Antisemitismus und der Hass auf Minderheiten, das ist kein Problem von Gestern. Es ist heute immer noch präsent. In deutschen Schulen, in der Musikindustrie.“ Islamismus-Experten warnten auf der Konferenz vor dem Import von Antisemitismus und Rassismus durch mehrheitlich muslimische Migranten aus dem arabischen Raum. „Hier gilt es, mit der vollen Härte des Gesetzes zu reagieren“, kommentierte Staatsminister Roth. „Sowohl im arabisch-muslimischen Milieu als auch bei alten und neuen Nazis.“

„Das Wiederaufkommen alter Dämonen, alter autoritärer Strukturen“ beklagte auch Diplomat Guillame Ollagnier, Gesandter der französischen Botschaft in Berlin, der ebenso auf der Veranstaltung sprach. „Wir müssen dagegen vorgehen, und ich freue mich über diese Initiative hier. Wie Sie alle wissen, ist Frankreich ein altes Einwanderungsland. Wir sind wie unsere deutschen Freunde davon überzeugt, dass es keine Integration und Eingliederung in den Arbeitsmarkt geben kann, wenn die Ausländer die Heimatsprache nicht sprechen.“

Frankreich stimmt für strenges Zuwanderungsgesetz

Mit Didier Leschi sprach ein weiterer Vertreter Frankreichs. Er leitet das „Office Français de l’Immigration et de l’Intégration“ (OFII), das französische Pendant zum deutschen Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Er konnte trotz des derzeitigen Streiks bei einer großen französischen Fluggesellschaft anreisen – wenn auch mit etwas Verspätung. „Wir Franzosen wissen, dass wir viel weniger für die Integration und Aufnahme von Migranten getan haben, als Deutschland oder Schweden“, sagte er. Dennoch sei auch in seiner Heimat folgender Trend zu beobachten: „Es gab noch nie so viele Einwanderer in Frankreich wie zur jetzigen Zeit.“

Das werde derzeit auch in der Nationalversammlung, im Pariser Parlament, diskutiert. Laut Medienberichten haben die Abgeordneten vor wenigen Tagen ein Gesetz verabschiedet, das „schärfere Asyl- und Einwanderungsregelungen“ billigt. Demnach sollen illegale Einwanderer künftig länger in Abschiebehaft bleiben dürfen. Illegale Grenzübertritte würden künftig mit bis zu einem Jahr Gefängnis bestraft. Zudem seien die Fristen bei Asyl-Verfahren verkürzt worden. Innenminister Gérard Collomb (PS) sagte, das Gesetzespaket ziele auf eine „kontrollierte Einwanderung“ ab. Gegen den Gesetzentwurf hatte es in Frankreich schon im Vorfeld massive Proteste gegeben.

Deutschland: viele Syrer – Frankreich: vor allem Westafrikaner

In Frankreich ist laut der Behörde OFII der Anteil der afrikanischen Bevölkerung stark gewachsen. Es gebe dort viermal mehr Westafrikaner, die Asylanträge stellen, als Syrer. Darunter vor allem Menschen aus den frankophonen Afrika-Staaten. „Aktuell vertreiben die steigenden Immobilienpreise die arme Bevölkerung mit Migrationshintergrund aus der Innenstadt von Paris“, verriet der französische Amtsleiter.

Die jüngsten Asylzahlen für Deutschland veröffentlichte das BAMF im März. Demnach gibt es drei Gruppen, die derzeit die meisten Asylanträge hierzulande stellen. Das waren Menschen aus Syrien, aus dem Irak und aus Nigeria.

Experte: „Sorgen der Flüchtlinge nicht ernstgenommen“

Die Konferenz-Teilnehmer betonten, der Vergleich Deutschland-Frankreich zeige viele Gemeinsamkeiten. Beide europäischen Länder hätten ähnliche Herausforderungen zu meistern in ähnlich strukturierten Gesellschaftsformen. „Integration kann nur gelingen, wenn es im Einklang ist mit der Mehrheitsgesellschaft“, betonte Ali Ertan Toprak, Bundesvorsitzender der Kurdischen Gemeinde in Deutschland. Geflüchtete müssten die Landessprache erlernen und weitere länderspezifische Eigenheiten verinnerlichen, um wirklich integrationsfähig zu sein. Nur die Sprache zu können, nur einen Job in der neuen Heimat zu haben, das reiche bei weitem nicht. „Zur Integration gehört noch viel mehr. Auch Kontakt mit den Menschen, mit der Kultur.“

Weder Deutschland noch Frankreich, beides große Volkswirtschaften in der Weltwirtschaft, dürften sich auf dem Ruhekissen ökonomischer Stabilität ausruhen, warnte Kurden-Sprecher Toprak. „Auch das Argument, nur weil es Deutschland wirtschaftlich gut gehe, könne es locker weitere Flüchtlingsströme aufnehmen, greift zu kurz. Man vergisst dabei, dass unsere Gesellschaft auf Werten beruht, die erkämpft werden mussten und die keine Selbstverständlichkeit sind.“ An dieser Stelle sei nur das Vermächtnis der Französischen Revolution genannt – der Startpunkt für das heutige, moderne Staatswesen. Toprak fuhr fort: „Wir dachten, wenn wir den Flüchtlingen einfach sagen, wie das Leben bei uns funktioniert, das würde ausreichen. Aber wir haben es versäumt – von Anfang an – die Erwartungen der Geflüchteten ernstzunehmen.“ Das gelte für die Gesellschaften und politischen Entscheidungsträger beider Länder.

Doch es gebe Hoffnung, behauptete die Integrationsbeauftrage der Bundesregierung, Annette Widmann-Mauz (CDU), die zum Abschluss der Konferenz ihre Rede hielt. „Es gibt eine jüngst veröffentlichte Studie der Europäischen Kommission, die uns Hoffnung machen kann“, sagte sie. „Sie zeigt, dass ein Großteil der Europäer positiv gegenüber Migranten eingestellt ist. Die Studie zeigt auch, dass junge Menschen innerhalb der EU deutlich positiver gegenüber Menschen aus anderen Kulturkreisen eingestellt sind.“ Das sei ein Lichtblick.

Die Radio-Reportage zur Rede der Integrationsbeauftragten Annette Widmann-Mauz (CDU) auf der AJC-Konferenz „Immigration, Integration, Identität“:

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