NATO-Treffen in Brüssel: «Russische Desinformation» bedroht die transatlantische Wertegemeinschaft

Die NATO-Außenminister wollen an diesem Freitag über die «schwierigen Beziehungen» zu Russland beraten. Für diese sei ausschließlich Russland verantwortlich. Bereits im Februar erschien ein Strategiepapier zum Umgang mit «russischer Desinformation».


Nach Angaben von Generalsekretär Jens Stoltenberg soll bei dem NATO-Treffen in erster Linie diskutiert werden, was das transatlantische Militärbündnis zusätzlich tun könne, um auf die als aggressiv wahrgenommene Politik des Kremls zu reagieren. Konkret soll es unter anderem um sogenannte «hybride Bedrohungen» gehen. Darunter werden zum Beispiel Cyberattacken und die gezielte Verbreitung falscher oder irreführender Informationen — Desinformation — verstanden.

Strategiepapier des Atlantic Council beschwört «russische Desinformation»

Passend zum Vorhaben, das «aggressive» Medienverhalten Russlands gemeinsam zu bekämpfen, erschien bereits im Februar 2018 ein von der NATO finanziertes Strategiepapier des Atlantic Council mit dem reaktiven Titel «Democratic Defense Against Disinformation». In diesem spielt auch der neue deutsche Außenminister Heiko Maas samt seines «Netz-DG» eine prominente Rolle.

Ausgangsargument für die Notwendigkeit, dem nach transatlantischer Lesart von Russland ausgehenden Medienkrieg mit adäquaten Mitteln zu begegnen, ist die bis heute unbewiesene Einmischung Russlands in die US-Präsidentschaftswahlen 2016. Ausgehend von diesem Beweis auf tönernen Füßen wird in der Hochglanzbroschüre argumentiert, dass «Präsident Wladimir Putins Russland» danach strebe,

(…) westliche Demokratien und liberale Werte zu diskreditieren und eine postfaktische Welt zu kreieren (…).

Das Papier fokussiert sich dabei auf das Instrumentarium, mit dem «die Vereinigten Staaten und Europa» dem globalen und aggressiven Medientreiben Moskaus Einhalt gebieten können. Der zu erarbeitende, selbstverständlich rein defensive, Werkzeugkasten könne dann von EU und NATO genutzt werden. Im Zentrum des «wertebasierten» und «demokratischen» Strebens steht demnach die Schaffung einer entsprechenden Koalition der Willigen:

Wir empfehlen die Schaffung einer «Counter-Disinformation Coalition», einer informellen Gruppe von gleichgesinnten Regierungen und Nichtregierungsorganisationen.

Den Verteidigern journalistischer Ethik gehe es dabei vor allem um die Gefahr, die von russischen Medien wie «RT, Sputnik und weiteren mit dem Kreml verbundener Medienerzeugnisse» ausgehe. Doch der Kreml nutze bekanntlich auch «Bots, Trolle und die Kombination aus Mensch und Bot – den Cyborg –, um sein Demokratie und Freiheit zersetzendes Gift in die Welt zu tragen. Besonders perfide sei die russische Taktik, da diese sich nicht nachweisen lasse.

Wie die Anhörungen des Kongresses im Oktober 2017 ergaben, war der Umfang der russischen Infiltration breiter, anspruchsvoller und subversiver als von den meisten Experten erwartet. Viele Aktivitäten konnten nicht aufgedeckt werden, weil sie nicht Russland zugeschrieben werden konnten, z.B. die Internet Research Agency (IRA) — die russische Trollfarm (…)», heißt es in dem Strategiepapier.

Registrierung von RT als «ausländischer Agent» ein erster Schritt

Nun sei es also höchste Zeit, der immensen Gefahr und dem russischen Vorsprung in Sachen äußerst raffinierter Destabilisierung westlicher Demokratien mit der Entwicklung eigener Instrumente zu begegnen. Ein «erster Schritt», den die USA in diesem Sinne unternahmen, war die Brandmarkung von RT als «ausländischer Agent» im Namen des «Foreign Registration Act (FARA)» a, 13. November 2017.

Doch es sei noch schwierig, die dadurch gegen RT zur Verfügung stehenden Mittel auch vollumfänglich umzusetzen. Die entsprechenden legislativen Notwendigkeiten sollten daher nun geschaffen werden.

Von besonderer Dringlichkeit sei demnach ebenso, der «Informationsaustausch zwischen Social-Media-Plattformen und der Gemeinschaft der Nachrichtendienste, um aufkommende Bedrohungen zu identifizieren».

Die US-Regierung sollte ein Büro einrichten, das als Anlaufstelle für privatwirtschaftliche Unternehmen in Bezug auf diese Informationen dient. Diese Koordinierungsstelle soll die Verbindung und den Austausch von Informationen gewährleisten, zwischen dem Büro des Direktors des nationalen Geheimdienstes (ODNI), dem Department of Homeland Security (DHS), dem GEC und den zuständigen Aufsichtsgremien des Kongresses», rät das Strategiepapier.

Um das Sammelsurium an anti-russischen Maßnahmen gebührend «zu gestalten, zu koordinieren und zu planen», bedarf es jedoch auch der Hilfe des FBI, der CIA des Verteidigungsministeriums, des bereits genannten DHS und «anderer relevanter Institutionen».

Selbstredend stehen auch allerlei finanzielle Sanktionen gegen «russische Bot-Fabriken und Troll-Farmen», aber auch «Personen und Gesellschaften, die diese finanzieren» im Raum der vermeintlich defensiven transatlantischen Maßnahmen.

Auch Europa solle seinen Teil dazu beitragen, der russischen Medien-Aggression Herr zu werden. Dabei gelte es jedoch, die Gefahr der «Zensur» nicht aus den Augen zu verlieren.

«EU und NATO können in Abstimmung mit den nationalen Regierungen eine direkte Rolle bei der Bekämpfung der russischen Propagandaorgane spielen», sind sich die Strategen der US-Denkfabrik sicher.

Heiko Maas als europäischer Vorzeigepolitiker

Besonderes transatlantisches Lob erhält dabei als einziger verantwortlicher EU-Politiker Heiko Maas. Das von Maas ins Werk gesetzte «NetzDG» sei dabei ein durchaus nützliches Instrument:

(…) Das NetzDG, als welches die Maßnahme weithin bekannt ist, beinhaltet eine weitreichende Vorschrift, um zweifelhafte Inhalte jenseits offensichtlicher Hassreden zu regulieren», heißt es zuversichtlich.

Staaten wie Frankreich würden demnach bei der Implementierung ähnlicher Regelwerke noch hinterherhinken, auch aufgrund der Kritik, dass dadurch möglicherweise die freie Meinungsäußerung gefährdet sei. Letztendlich jedoch bedürfe der «Sieg im neuen Informationskrieg einen gesamtgesellschaftlichen Ansatz».

Die Speerspitze des Atlantic Council im Kampf gegen die vermeintliche «russische Desinformation» ist Ben Nimmo, seines Zeichens Leiter des Digital Forensic Research Labs der insbesondere in Washington und London gut vernetzten US-Denkfabrik. Diese betreibt auch eine Onlineplattform mit dem ebenso eingängigen wie orwellschen Namen «#TrollTracker». Hauptaufgabe der Initiative: das digitale Aufspüren angeblicher «russischer Trolle», die im Internet ihr Unwesen trieben.

Wer sich etwa kritisch zu den sogenannten «Weißhelmen» in Syrien oder den Mainstreammedien äußert, wird prompt als russischer Troll gebrandmarkt. Dabei erwischt es bislang offensichtlich vor allem unbescholtene britische Bürger.

Vor diesem Hintergrund ist bereits jetzt offensichtlich, aus welcher Richtung der Wind bei dem heute beginnenden NATO-Treffen in Brüssel wehen wird.

Auch Afghanistan und das Verteidigungsbudget als Themen des NATO-Treffens

Weitere Themen des Treffens werden die Lage in Afghanistan und die Fortschritte der Beitrittskandidatenländer Georgien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina sein. Zudem wird es um die Planungen für den neuen Ausbildungseinsatz im Irak gehen. Dieser soll beim NATO-Gipfel in Juli offiziell gestartet werden.

Am Rande der Zusammenkunft dürfte es auch wieder einmal um das Thema Verteidigungsausgaben gehen. Die USA fordern vor allem von Deutschland, mehr Geld auszugeben. Die bisherigen Budgeterhöhungen reichen US-Präsident Donald Trump nicht aus.

Für die Bundesregierung wird Außenminister Heiko Maas zu dem NATO-Treffen reisen.

Quelle: RT