Wie sieht die Zukunft der besonderen Beziehungen zwischen Deutschland und Russland aus? Das deutsche Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ schließt nicht aus, dass sie demnächst der Vergangenheit angehören werden, allerdings wäre es vernünftig, sie aufrechtzuerhalten und allmählich wiederherzustellen.
Die vom „Spiegel“ geäußerten Befürchtungen haben anscheinend eine Grundlage. Der neue Bundesaußenminister, Heiko Maas, schlägt im Unterschied zu seinen Vorgängern einen ziemlich harten Ton gegenüber Russland und dessen Politik an. Berlin rechnet damit, die goldene Mitte zu finden, dass man zumindest das bewahren kann, was von den besonderen Beziehungen zu Moskau übrig geblieben ist.
Es klingt zunächst zwar etwas seltsam, doch der Zweite Weltkrieg hatte die Deutschen und Russen näher gebracht, statt sie zu trennen. In keinem anderen Land des Westens wurde die Machtübernahme durch Michail Gorbatschow mit so viel Enthusiasmus aufgenommen, in keinem anderen Land des Westens ist so viel Enttäuschung wegen des tiefer werdenden Grabens zwischen den beiden Ländern in den vergangenen Jahren zu erkennen.
Vielleicht kann damit das Verhalten des neuen deutschen Außenministers, Heiko Maas, gegenüber Russland erklärt werden. In einem “Spiegel”-Interview hatte er Russland als “zunehmend feindselig” bezeichnet. Im Unterschied zu seinem Vorgänger Sigmar Gabriel lehnt Maas nicht nur eine mögliche Aufhebung, sondern auch eine Lockerung der Sanktionen gegen Moskau ab und betrachtet die Beziehungen zwischen den beiden Ländern als verdorben und irreparabel. Die Ereignisse in Syrien würden einen stärkeren Druck des Westens gegen Russland erfordern, so Maas.
Der neue Ton aus Berlin wird mit konkreten Taten untermauert. Erstmals nach dem Krieg wies Deutschland russische Diplomaten nicht wegen eines Spionageverdachts, sondern der „versuchten Vergiftung der Skripals in Großbritannien“ aus.
In den vergangenen Jahren verhängte Deutschland Sanktionen gegen Moskau, erhöhte seine Militärausgaben und stationierte als Nato-Mitglied seine Militärs in den baltischen Ländern. Das alles sind Berlin zufolge Bestandteile der Abschreckungspolitik gegen Russland, wobei jedoch ein Dialog mit Moskau nicht abgelehnt wird.
Obwohl die Beziehungen zwischen Moskau und Berlin laut dem neuen russischen Botschafter in Deutschland jetzt schlechter als während des Kalten Krieges sind, gibt es in Deutschland auch viele Befürworter ihrer Wiederherstellung. So gibt es auch unter den Christdemokraten, die die Politik Russlands kritisieren, viele, die die scharfen Äußerungen von Heiko Maas für unangebracht halten.
Das Verhalten zu Russland unterscheidet sich in Deutschland stark nach dem geografischen Merkmal – im Osten, wo sich vor einem Vierteljahrhundert die sozialistische DDR befand, sieht man die Russen positiver als im Westen. Laut einer Studie von Körber Foundation betrachten 30 Prozent der im Westen lebenden Deutschen Russland als „fremd“. Im Osten sind zwölf Prozent dieser Meinung.
Unterschiede sind auch bei den politischen Merkmalen zu erkennen. Für die politischen Parteien ist das Thema Umgang mit Moskau eine der wichtigsten Fragen. Zum Lager der scharfen Russland-Kritiker gehören Kanzlerin Angela Merkel, der größte Teil der CDU, die Grünen, Heiko Maas sowie der Vizekanzler und Bundesfinanzminister Olaf Scholz – die beiden sind übrigens Sozialdemokraten. Hinzu kommt FDP-Chef Christian Lindner.
Zum Lager der Anhänger einer schnellstmöglichen Normalisierung der einst besonderen Beziehungen mit Moskau gehören der größte Teil der Sozialdemokraten, beispielsweise Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Sigmar Gabriel. Zu einer Annäherung an Russland haben sich einige der wichtigsten Verbündeten Merkels in der Regierungskoalition bekannt – CSU-Mitglieder, darunter CSU-Chef Horst Seehofer. Sie treten für einen Dialog, Aufhebung der Sanktionen und die Rückkehr Russlands in die G7 ein.
Die Linke und die Vertreter der AfD unterstützen fast jede Handlung Moskaus und seine Politik in der internationalen Arena und im eigenen Land.
Die Anhänger des rechten Lagers fordern einen harten Dialog in den Beziehungen zu Moskau und sind sich sicher, dass die Russen nur die Sprache der Gewalt verstehen.
Was den Russland-Kurs Berlins betrifft, spielt neben der Kanzlerin der neue Außenamtschef die wichtigste Rolle. So hat Maas wie auch seine Vorgänger keine einfache Aufgabe – einerseits die Nachhaltigkeit des außenpolitischen Kurses gewährleisten und andererseits seinen eigenen Spuren in der Geschichte hinterlassen. Allerdings irrte sich wohl der neue Außenminister (SPD). Jene, die seine Kandidatur aktiv unterstützten, üben nun Kritik an seinem harten Russland-Kurs, so „Der Spiegel“. Auch in der Bundesregierung wächst die Skepsis gegenüber dem deutschen Chefdiplomaten. Das ging sogar so weit, dass sich Merkel und ihre Berater an die Führung der Sozialdemokraten mit der Bitte wandten, zu klären, welchen Kurs der neue Außenminister verfolgt. Wie sich herausstellte, hatte er ohne Rücksprache mit den Parteikollegen im Alleingang den Russland-Kurs geändert. In der letzten Sitzung des Exekutivkomitees der Partei wurde viel Kritik an Maas geübt. Dieses Thema soll in der nächsten Sitzung weiter besprochen werden.
Andererseits erhält Maas Unterstützung von SPD-Parteichefin Andrea Nahles und Vizekanzler Olaf Scholz. Es heißt, dass er seinen Russland-Kurs mit ihnen abgesprochen habe.
Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa sind 94 Prozent der Deutschen der Ansicht, dass es wichtig ist, gute Beziehungen zu Moskau zu haben. Zwei Drittel der Befragten (68 Prozent) lehnen einen härteren Kurs ab. Unter den Sozialdemokraten ist dieser Anteil noch höher – 82 Prozent.
In der CDU unterstützen die meisten Parteimitglieder den harten Kurs. Während die SPD in der Ostpolitik von Willy Brandt die Basis für den Russland-Kurs sieht, erachtet die CDU die Kooperation mit dem Westen für wichtiger, die vom ersten Nachkriegskanzler Konrad Adenauer in die Wege geleitet worden war.
Natürlich ist die Wirtschaft ein enorm wichtiges Element in den Beziehungen zwischen Berlin und Moskau. Es ist kein Geheimnis, dass russisches Gas Deutschlands Bedarf zu einem Drittel deckt.
Das deutsche Exportgeschäft mit Russland wuchs im vergangenen Jahr um 20 Prozent. Deutsche Unternehmen begannen erneut, in die russische Wirtschaft zu investieren. Deswegen sieht die deutsche Wirtschaft die Russland-Sanktionen äußerst negativ – sowohl die amerikanischen, als auch die europäischen. Von den US-Sanktionen gegen Russland sind rund 60 deutsche Firmen betroffen, vor allem im Energiesektor.
Natürlich gibt es in der Wirtschaft auch viele Anhänger der Verschärfung des Russland-Kurses. Die Pipeline Nord Stream 2 sorgte für eine Spaltung in zwei Lager. Die Pipeline-Befürworter sagen, dieses Projekt bringe Deutschland große wirtschaftliche Vorteile. Es ist nicht erstaunlich, dass dieses Projekt eine Art Symbol der Beziehungen zwischen Moskau und Berlin wurde.
Angela Merkel warb für die Pipeline nicht nur in Deutschland, sondern auch in Brüssel. Doch in diesem Frühjahr erklärte sie nach Verhandlungen mit dem ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko überraschend, dass das Projekt nur möglich sei, wenn weiterhin russisches Gas durch die Ukraine fließen werde. Der Gazprom-Chef Alexej Miller versprach das am nächsten Tag öffentlich via Twitter.
Jene, die meinen, dass Russland die Sowjetunion wiederaufbauen, die EU zerstören, Europa mit Flüchtlingen überfluten und den Westen mithilfe von Propaganda spalten will, sehen die weitere Entwicklung der Beziehungen zwischen Deutschland und Russland auf einem Konfrontationskurs. Allerdings vergessen sie dabei, dass jedes Mal, wenn Russland einen aggressiven Kurs einschlug, es sich immer nur selbst verteidigen musste, weil es vom Westen eingekesselt wurde. Die russische Führung mit Wladimir Putin an der Spitze ist der Ansicht, dass alle Mittel angebracht sind, eine solche Einkesselung zu durchbrechen. Putin wolle die Sowjetunion nicht wiederaufbauen, schreibt „Der Spiegel“. Er wolle, dass der Westen die Interessen Russlands respektiere und dass Russland erneut als Großmacht und Global Player anerkannt werde. Außerdem ist es für Putin äußerst wichtig, dass sich der Westen nicht in die inneren Angelegenheiten Russlands einmischt und sich die Nato nicht gen Osten erweitert.
Für Berlin wäre es vernünftiger, sich wenigstens einmal Gedanken über die Interessen Russlands zu machen. Das Schicksal der Ukraine zeigt die Aussichtslosigkeit dieses Drucks. Auf der Einhaltung der westlichen Werte und Regeln zu beharren, wenn es sich um seine Sicherheit handelt, hat keinen Sinn. Das bedeutet nicht einfach nur Gespräche um einen Dialog, sondern seine Umsetzung. Berlin sollte sich in den Beziehungen mit Moskau an Realpolitik halten, so „Der Spiegel“. Der erste Schritt dabei könnte die Wiederaufnahme der Konsultationen sein, wie Berlin es mit China macht. Das würde dabei helfen, den Mangel an Vertrauen zwischen Deutschland und Russland zu überwinden und die Beziehungen allmählich wieder in alte Bahnen zu bringen.
Von Sergej Manukow