Diplomatischer Schachzug: Netanjahu wirbt beim Volksmarsch in Moskau um Billigung seiner Iranpolitik

Harmonie am Rande der Visite des israelischen Regierungschefs in Moskau am 9. Mai: Benjamin Netanjahu wusste mit den Russen eine gemeinsame Gedenkkultur zu pflegen. Allerdings machte er auch sein Interesse an einem Rückbau russisch-iranischer Kooperation deutlich.


Wladimir Putin und Benjamin Netanjahu haben am 9. Mai sehr viel Zeit miteinander verbracht. Der israelische Premier leistete dem russischen Präsidenten nicht nur bei der feierlichen Militärparade und der Kranzniederlegung am Grab des Unbekannten Soldaten an der Kreml-Mauer Gesellschaft. Er führte auch zusammen mit Wladimir Putin den Marsch «Unsterbliches Regiment» an — als Teilnehmer an vorderster Front des Marsches mit einer Million Teilnehmern allein in Moskau.

Die aus Warschau stammende Familie Benjamin Netanjahus war bereits 1920 in das Britische Mandatsgebiet Palästina gezogen. Da er entsprechend selbst keinen Angehörigen hatte, der an der Seite der Roten Armee gegen die Hitler-Truppen kämpfte, trug Netanjahu das Bild Wolf Wilenskis, eines Sowjetsoldaten jüdischer Abstammung, in der Hand, der für seine Verdienste im Krieg den Titel des Helden der Sowjetunion bekam. Später bei seiner Unterredung mit Putin machte Netanjahu deutlich, dass das gemeinsame Gedenken auch für die heutige Zeit politische Implikationen habe. Wie Reuters meldete, habe er Putin daran erinnert, dass 73 Jahre nach dem Holocaust aus der Führung des Iran regelmäßig offene Aufrufe zur Vernichtung des Staats Israel kämen.

Auch höchste Militärkreise beider Länder trafen am Rande der Visite zusammen

In ihrem Vorgespräch zum öffentlichen Teil des Treffens tauschten Putin und Netanjahu eher allgemeine Feststellungen aus:

Die Lage ist leider angespannt. Ich will die Hoffnung dahingehend äußern, dass wir nicht nur reden, sondern auch nach Lösungen suchen können, die zur Milderung der Lage führen sowie es uns ermöglichen werden, Wege zur Beilegung verschärfter Konflikte zu finden», sagte Putin.

Der israelische Ministerpräsident merkte an, auch er rechne mit einer solchen Möglichkeit, eine Lösung zu finden.

Ich schätze die Gelegenheit sehr, über die Sie gesprochen haben – mit Ihnen die Lage zu besprechen und gemeinsam zu überlegen, wie wir in der Region richtig handeln können und wie wir die Bedrohungen, die in der Region bestehen, verantwortungsvoll und vernünftig beseitigen können», so Netanjahu.

Die Teilnahme des russischen Verteidigungsministers Sergej Schoigu und des Chefs des israelischen Rates für nationale Sicherheit, Meir Ben-Shabatt, bei den Verhandlungen deutete erneut darauf hin, dass der Draht zwischen Moskau und der Regierung in Jerusalem im militärtechnischen Bereich wieder schwer am Funken ist: Wenige Stunden nach dem Treffen meldete Israel einen verheerenden Beschuss der iranischen Militärinfrastruktur in Syrien. Dieser geschah als Reaktion auf einen mutmaßlichen Raketenangriff der iranischen Al-Quds-Einheiten auf israelische Stellungen auf den Golanhöhen.

Moskau übte sich nach dem israelischen Angriff in Zurückhaltung und verurteilte diesen nicht. Das israelische Portal Arutz Sheva schrieb, Russland sei wenig erbaut darüber, dass der Iran weder den Kreml noch den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad über einen geplanten Angriff auf die Golanhöhen von syrischem Territorium aus in Kenntnis gesetzt habe. Die Situation bezüglich israelischer Raketenangriffe in Syrien sei jedoch, so hieß es aus Moskau, besorgniserregend und die Seiten mögen sich vor weiterer Eskalation Abstand nehmen, meldete Interfax.

Nicht einsatzfähiger Panzir-Abwehrkomplex getroffen

Diese Zurückhaltung ist umso brisanter, denn die Israelis haben mit ihren Raketen des Typs Spike NLOS auch einen nicht einsatzbereiten russischen Luftabwehrkomplex des Typs Panzir, der sich in der Verfügungsgewalt der syrischen Armee befand, direkt getroffen. Dies sei ein «Schlag in den Rücken», meinte der russische Militärexperte Michail Chodarjonok auf dem russischen Onlineportal gazeta.ru. Noch einige Stunden zuvor hatte Netanjahu zusammen mit höchsten israelischen Sicherheitsbeamten der russischen Waffenschau auf dem Roten Platz beigewohnt.

Iranische Behörden verurteilten erwartungsgemäß die israelischen Angriffe und dementierten jedwede iranische Verwicklung in jenen Beschuss, den Israel zur Begründung seines Gegenschlages in der Nacht zum 10. Mai anführte. Bislang konnte keine unabhängige Stelle die Tatsache eines iranischen Angriffes bestätigen. Nach bisherigem Erkenntnisstand haben die Raketen auch offenbar keine Ziele getroffen. Nicht nur das macht einige Beobachter stutzig. Viele Beobachter vor Ort wie ein Welt-Korrespondent in Tel Aviv-Jaffa schätzen, dass ein solch koordinierter und durchgeplanter Angriff auf iranische Stellungen nur vor langer Hand geplant worden sein konnte. Allerdings hatte Israel auch bereits Wochen vor der jüngsten Eskalation wiederholt davon gesprochen, Erkenntnisse über geplante iranische Angriffe erlangt und verdächtige Bewegungen registriert zu haben, sodass eine Herstellung umgehender massiver Gegenschlagsfähigkeit nicht überraschen konnte.

Andere wiederum sehen eine Parallele zwischen Benjamin Netanjahus Moskau-Besuch und dem Verhalten Donald Trumps, als dieser am 11. April 2017 beim gemeinsamen Verspeisen von Schokoladenkuchen mit dem chinesischen Staatsgast Xi Jinping den Befehl zum Beschuss eines syrischen Luftwaffenstützpunktes gab und Xi direkt im Anschluss darüber unterrichtete.

Russland lässt sich von Israel nicht unter Druck setzen — betrachtet aber auch den Iran nicht blauäugig

Es ist jedoch schwer vorstellbar, dass Netanjahu Moskau auf irgendeine Weise derart unter Druck setzen könnte, dass Putin auf Grund dessen den Wünschen der Israelis nachkommen und die eigene militärpolitische Zusammenarbeit mit Iran in Syrien zurückfahren wird. Allerdings ist es durchaus in Moskaus Interesse, im Konflikt zwischen Israel und Iran unparteiisch zu bleiben, denn auch der wachsende Einfluss der Iraner und vom Iran organisierter schiitischer Milizen deckt sich nicht unbedingt mit eigenen Zielen in der Region. Vor allem in der israelischen Presse findet sich oft die These wieder, dass der Iran im Grunde Moskau und den Syrienkonflikt nur instrumentalisiere, um im Land die Kontrolle zu erlangen und sich selbst einen geschlossenen Korridor zum Mittelmeer schaffen zu können. Auch in Moskau scheint man davon auszugehen, dass das Engagement Teherans in Syrien nicht ausschließlich von altruistischen Motiven geleitet sein könnte.

Die beiden Konfliktparteien sind jedoch auch ohne Moskaus Beschwichtigungsbemühungen gut beraten, den Konflikt nicht in einen großen Krieg münden zu lassen. Zwar zeigten sich Iraner im Zuge der jüngsten Angriffswelle gegenüber der israelischen Streitkräften sehr verwundbar, jedoch haben auch die Israelis kein großes Potenzial für eine weitere Eskalation: Das Erstarken der vom Iran unterstützten schiitischen Partei Hisbollah nach den jüngsten Wahlen in Libanon ist sowohl für Israel als auch für den zweiten Widersacher Irans in der Region, Saudi-Arabien, eine schlechte Nachricht, schreibt der russische Nahost-Analsyt Dmitri Minin. Das Trauma des israelisch-libanesischen Krieges 2006, als die Kräfte des Hisbollah israelischen Panzer-Einheiten schmerzhafte Verluste zufügen konnten, sitze dafür zu tief.

Aus Moskauer Sicht ist die israelische Besorgnis um den Ausbau der iranischen Militärinfrastruktur in Syrien durchaus verständlich. Dass, wie die Jerusalem Post  berichtet, die Russische Föderation bis auf weiteres von der geplanten Lieferung ihres S-300-Raketenabwehrsystems an die syrische Regierung Abstand nehmen will, ist ein Zeichen dafür, dass man in Moskau die Bedenken aus Jerusalem ernst nimmt.

Erkennt Israel Assad politisch an, könnte dies den iranischen Einfluss auf ihn mindern

Mit der Stabilisierung der zentralen syrischen Regierung werden allerdings auch die Israelis gezwungen sein, verstärkt über eine spätere politische Anerkennung von Baschar-al-Assad nachzudenken. Dies trotz der Tatsache, dass Israel sich — anders als mit Ägypten und Jordanien — seit 1967 immer noch offiziell mit Syrien im Kriegszustand befindet. Die Stabilisierung des vom Iran unterstützten Assad — manche argwöhnen, dieser könne gar zu einem Präsidenten von Teherans Gnaden werden -, zusammen mit dem Erfolg von Hisbollah im Libanon, könnten Anzeichen dafür sein, dass die Syrien- und Libanonpolitik der letzten Jahre Israel keinen Erfolg brachte, sondern nur weitere Anfeindungen vonseiten seiner Anrainer-Staaten. Das macht Israel — trotz seines jüngsten martialischen Auftretens — für die Argumente der Russen im komplizierten Nahost-Spiel offener.

Quelle: RT