„Ihr Platz ist im Flur“: Warum EU ihr Geld nicht am Balkan vergeuden will

Auf dem bevorstehenden EU-Westbalkan-Gipfel in Sofia werden die „europäischen Aussichten“ Serbiens, Montenegros, Albaniens, Mazedoniens, Bosnien und Herzegowinas und des teils anerkannten Kosovo besprochen. Vor 20 Jahren gab es noch deutlich mehr Enthusiasmus, und die Aussichten waren weniger nebulös.

„Wahre Unzufriedenheit“

Das offizielle Thema des Gipfels am Donnerstag: die Bereitschaft der fünf Balkan-Staaten und des Kosovo zum EU-Beitritt. Hochrangige Gäste werden von Bulgarien empfangen, das aktuell den Vorsitz im EU-Rat hat und die Balkan-Tagesordnung in Europa fördert. Im Januar formulierte Sofia seine eigene Aufgabe sehr verschwommen, jedoch vielversprechend: „Bereitstellung einer greifbaren europäischen Perspektive für alle Länder des Westbalkans“.

Bulgarien selbst ging bereits alle Etappen dieses nicht einfachen Weges. Es trat 2007 der EU bei. Davor und danach gab es Korruptionsskandale. Die Periode des Kennenlernens der neuen „europäischen“ Realität war durch eine Flaute in der Wirtschaft sowie ein Wachstum der Arbeitslosigkeit und der Armut gekennzeichnet. 2013 fanden in Bulgarien Kundgebungen mit Tausenden Teilnehmern statt, die von mehreren öffentlichen Selbstverbrennungen verzweifelter Menschen begleitet wurden.

Der bulgarische Künstler Georgi Markow wohnt bei Blagojewgrad. Er nahm in jenem Jahr an Protesten teil, obwohl er sich nicht als Euroskeptiker bezeichnet. „Wir hatten einen ziemlich langen Weg. Es war schwer“, erzählte er. Bei Protesten im Februar 2013 sei er einer der Organisatoren geworden. „Uns wurde vorgeworfen, dass wir eine prorussische Bewegung sind. Das ist Blödsinn, es handelte sich nur um soziale Unzufriedenheit“, ergänzte Markow.

„Demütigung für Serbien“

Aus der Sicht Brüssels haben alle Länder ein verschiedenes Niveau der Bereitschaft für die Aufnahme in die EU. Die Vorzeigeschüler sind Serbien und Montenegro. Sie erfüllten bereits einzelne Forderungen der EU. Albanien und Mazedonien warten auf den Beginn der Verhandlungen. Der teilweise anerkannte Kosovo sowie Bosnien und Herzegowina sind nur potentielle Kandidaten.

Dabei sind eben in Serbien die Positionen der EU-Gegner stark, zeigen Umfrageergebnisse.

Laut Stevan Gajic, einem Experten des Belgrader Instituts für europäische Studien, hat der Balkan in der nächsten Zeit keine Chancen auf einen Beitritt in die EU.

„Mithilfe einer Möhre – Versprechen der EU-Mitgliedschaft – löst Brüssel eigene politische Aufgaben“, sagte er. „Solange die EU nicht konsolidiert ist, gibt es keine Erweiterung. Das betrifft auch den Balkan.“

In dem Format, das Brüssel Serbien vorschlägt, sieht Gajic eine Bedrohung für die serbische Staatlichkeit. „Der Gipfel in Sofia wird eine Demütigung für Serbien sein. Dort wird der Kosovo als vollberechtigter Teilnehmer der Verhandlungen anwesend sein. Obwohl die Europäer selbst bei solchen Sachen prinzipiell sind. So erkennt Spanien nicht den Kosovo als einen Staat an. Vertreter Spaniens wollen mit Vertretern des Kosovo nicht in einem Zimmer sein.“

„(Frankreichs Präsident – Anm. d. Red.) Macron sagte direkt, dass Europa den Einfluss Russlands und der Türkei auf dem Balkan abschwächen müsse. Das ist eben das Hauptziel“, so Gajic. „In Europa wird gesagt: Irgendwann in der Zukunft müsste sich der Balkan uns anschließen. Doch bislang gibt es keine juridischen Gründe, kein einziges Papier, in dem die EU irgendwelche Verpflichtungen übernimmt. Was real sein wird, ist die Erweiterung der Nato.“

Billiges Zuckerbrot und effektive Peitsche

Laut dem Präsidenten des Belgrader Zentrums für strategische Initiativen, Alexander Mitic, kann der Haushalt in der EU unter Berücksichtigung der europäischen Aussichten Serbiens und Montenegros neu verteilt werden.

„Doch der politische Sinn ist klar: In dieser Periode ist die EU-Mitgliedschaft kaum wahrscheinlich. Die EU plant, die Kandidaten länger im Flur zu halten. Das ist die vorteilhafteste Position – den Beitrittskandidaten wird weniger Geld bereitgestellt, doch sie sollen den Anforderungen Brüssels sogar mehr entsprechen als die EU-Länder selbst. Eine lange Vorlauf-Periode bedeutet, dass das Zuckerbrot billiger und die Peitsche effektiver sind.“

Er erinnert sich: „2000 besuchte ich den ersten EU-Westbalkan-Gipfel in Zagreb“, so Mitic. „Dort gab es viel Enthusiasmus und Gespräche über einen baldigen EU-Beitritt nach der Ära der Konflikte der 90er Jahre. Nach fast 20 Jahren sprechen wir immer noch von ‚europäischen Aussichten‘, und die Investitionen der EU in die Region und deren Infrastruktur sind deutlich niedriger, die Beitrittsbedingungen haben sich verschärft, die westeuropäischen Länder sind müde von der Erweiterung der EU.“

Neben dem zurückgegangenen Enthusiasmus gibt es noch einen Grund, aus dem der schnellst mögliche EU-Beitritt der Balkan-Länder infrage steht. Mitic zufolge ist die Erschwerung der Forderungen an EU-Kandidaten damit verbunden, dass Brüssel gar nicht problemlos die Integration der Ostbalkan-Länder überlebte. „Die Bedingungen wurden verschärft sowohl im juridischen Teil – wegen der Probleme nach dem Beitritt Bulgariens und Rumäniens – als auch im politischen Teil – wegen der Nicht-Zustimmung Ungarns und Polens bei dem Migrationsproblem und anderen Fragen“, so der Experte.

Der Vorsitzende der Partei „Prava Crna Gora“ (dt. Wahres Montenegro) Marko Milacic führte früher eine Bewegung mit der bildhaften Bezeichnung „Widerstand der Hoffnungslosigkeit“. „Den Behörden ist der Prozess des EU-Beitritts selbst vorteilhaft. Sie können den Wählern versprechen, dass sie Hilfe aus Brüssel bekommen. Das ist auch für Brüssel vorteilhaft – die örtlichen Behörden werden gehorsamer. Alle sind zufrieden außer den Wählern. Doch ihnen werden neue Versprechen gegeben“, sagte Milacic.

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