Wenn die herrschende Klasse in Deutschland eine Kriegs- und Aufrüstungsoffensive vorbereitet, darf einer nicht fehlen: Joschka Fischer. Seit der damalige grüne Außenminister vor zwanzig Jahren im Kosovokrieg den ersten deutschen Kampfeinsatz seit dem Zweiten Weltkrieg organisierte, hat er jeden Auslandseinsatz der Bundeswehr enthusiastisch unterstützt. Nun stellt er sich an die Spitze der Kampagne für eine massive Erhöhung des Wehretats und eine aggressive imperialistische Außenpolitik.
Von Johannes Stern
In einem Interview in der aktuellen Ausgabe des Spiegel erklärt Fischer: „Es geht um uns: Seit Jahren investieren wir zu wenig in unsere Sicherheit. Was lese ich neulich innerhalb einer Woche? Bundeswehrpiloten verlieren ihre Lizenz, weil sie wegen Hubschraubermängeln nicht genug Flugstunden absolvieren können. U-Boote können nicht auslaufen, weil Ersatzteile fehlen. Wir haben nur vier kampffähige Eurofighter. Was für ein Armutszeugnis! Wenn Sie mich fragen, ob wir uns selbst verteidigen können, dann ist die klare Antwort: nein.“
Auf die Feststellung des Spiegel, die Deutschen wollten „mehrheitlich nicht mehr Geld für Rüstung ausgeben“, erwidert Fischer: „Das ist ein Problem, aber wir müssen es tun. Wir müssen ein Minimum an Verteidigungsfähigkeit haben, sonst leidet Europa. Meinen Sie, ich finde es für mich ansprechend zu sagen, wir müssten mehr in der Verteidigung tun? Wir sind zu groß und zu wichtig, als dass wir uns einen schlanken Fuß machen könnten.“
Das gesamte Interview erinnert inhaltlich und in der Wortwahl an die Reden deutscher Großmachtpolitiker vor den beiden Weltkriegen. „Ohne Deutschland geht es nicht“, erklärt Fischer an einer Stelle. „Wenn wir meinen, wir müssten uns weiter im Windschatten der Weltgeschichte aufhalten, werden die Europäer nicht handlungsfähig.“ Es sei „jetzt ein historischer Moment, indem Europa springen muss. Entweder handeln wir jetzt, oder wir tun nichts. Dann werden wir abgehängt und spielen keine Rolle mehr.“
Fischer erklärt unumwunden, dass es ihm um die Verteidigung wirtschaftlicher und geostrategischer Interessen des deutschen Imperialismus im Wettstreit mit den anderen Großmächten geht. „Wirtschaftspolitisch“ stelle US-Präsident Donald Trump „das Geschäftsmodell der Bundesrepublik infrage, das von Anbeginn auf Export ausgerichtet war“. Bei den gegenwärtigen „Kräfteverhältnissen“ könne man dagegen allerdings nicht viel tun, sondern es bleibe „nur ein Zähneknirschen“.
Offensichtlich will Fischer das „Kräfteverhältnis“ zugunsten der Europäer und Deutschlands verändern. Alles spreche für einen „Abstieg des Westens“, und deshalb müssten „die Europäer stärker werden, sehr viel stärker“. Auch, um gegenüber Russland die eigenen Interessen durchzusetzen. Mit Moskau solle man zwar „ein gutes Verhältnis anstreben“, aber „nicht auf den Knien“. Im „Kern des Konflikts um die Ukraine“ stehe die Frage: „Sind wir bereit zu akzeptieren, dass Russland seinen Großmachtstatus über Einflusszonen bekommt?“
Fischers Großmachtphantasien sind wahnsinnig und monströs. Sie werfen ein Schlaglicht auf die Rechtswende einer gesellschaftlichen Schicht, die sich in der 1968er Studentenbewegung als „links“ gab, aber die Arbeiterklasse ablehnte und sich gestützt auf die anti-marxistischen Theorien der Frankfurter Schule und der Postmoderne auf Fragen des persönlichen Lebensstils, der Identität und der Umwelt konzentrierte. Sozial aufgestiegen und reich geworden, unterstützt sie nun die imperialistische Kriegspolitik.
Das Internationale Komitee der Vierten Internationale hat die gesellschaftlichen und politischen Prozesse analysiert, die vormals radikale Kleinbürger wie den „Straßenkämpfer“ Fischer in aggressive Kriegstreiber verwandelt haben.
Schon 1999 schrieb der Chefredakteur der WSWS, David North im Artikel „Nach der Schlächterei: Politische Lehren aus dem Balkankrieg“: „Eine der bemerkenswertesten Begleiterscheinungen des Angriffs auf Jugoslawien war die führende Rolle von Personen, die sich einst gegen den Vietnamkrieg gestellt und an anti-imperialistischen Protestbewegungen beteiligt hatten.“
Dann erklärt North den gesellschaftlichen Hintergrund dieser Entwicklung: „Die Gesellschaftsstruktur und die Klassenbeziehungen sämtlicher wichtiger kapitalistischer Länder sind durch den Börsenboom, der zu Beginn der achtziger Jahre einsetzte, stark beeinflusst worden. Ständig steigende Aktienkurse, insbesondere der explosionsartige Anstieg der Marktbewertungen seit 1995, haben einer bedeutenden Schicht der Mittelklasse – insbesondere unter der akademisch gebildeten Elite – den Zugang zu einem Reichtum ermöglicht, wie sie sich ihn zu Beginn ihrer Karriere kaum hätte träumen lassen.“
Zwanzig Jahre später ist Joschka Fischer Multimillionär, wohnt in einer Villa im Berliner Nobelviertel Dahlem und bezieht Medienberichten zufolge Redeentgelte von bis zu 30.000 Euro. Unter Bedingungen des Zusammenbruchs der Nachkriegsordnung, scharfen Konflikten zwischen den Großmächten und einer extremen sozialen Polarisierung trommeln er und seinesgleichen ganz offen für Militarismus und Diktatur, um ihre Pfründe gegen die wachsende Opposition unter Arbeitern und Jugendlichen zu verteidigen.