Den Experten für Energiesicherheit, Matthias Dornfeldt, wundert es nicht, dass sich Angela Merkel jetzt für die Gaspipeline Nord Stream 2 einsetzt, obwohl das immer eine Frage der SPD-Politiker von Steinmeier bis Gabriel war. Die Bundeskanzlerin hatte in der Vergangenheit ihre Skepsis.
Von Nikolaj Jolkin
Jetzt stehe sie dazu und bezeichne die Pipeline als wirtschaftliches Projekt, weil sie von sechs Energiefirmen betrieben werde und Deutschland zugutekomme, sagte er im Interview mit dem Sputnik-Korrespondenten Nikolaj Jolkin.
„Günstiges russisches Gas wird über 1230 km bei Nord Stream 2 von Russland nach Mecklenburg-Vorpommern fließen, und dadurch wird es Deutschlands Rolle als Gasteilungshub in Nordwesteuropa unterstreichen. Wenn die Leitung nach 2019 implementiert ist, kommen 110 Milliarden Kubikmeter aus Russland nach Deutschland.“
Dieses Projekt sei nicht nur für die deutsche Volkswirtschaft bedeutend, sondern auch für die Nachbarländer — die Benelux-Staaten, Frankreich, die Tschechische Republik, Österreich und andere Abnehmer, betont der Experte, „die über die Nordroute mit Erdgas versorgt werden, die ungefähr dem Jahresverbrauch in Deutschland von 100 Milliarden Kubikmetern entspricht. Angela Merkel sieht die Dimension und hat auch verstanden, dass es für die Wirtschaft wichtig ist, um nicht nur Arbeitsplätze zu erhalten. Nord Stream 2 wird zusätzliche Arbeitsplätze schaffen.“
Als Beispiel nannte Dornfeldt den Fährhafen in Mukran auf der Insel Rügen, wo dadurch 400 Arbeitsplätze in einem recht strukturschwachen Gebiet geschaffen werden.
„Die Europäer – und dabei geht es um die Rolle Deutschlands gegenüber den USA — möchten schon ihre Projekte verteidigen, denn die Amerikaner haben durchaus eine Strategie, ihr Schwelgas langfristig auch auf dem europäischen Markt, darunter auch in Deutschland, dem größten und lukrativsten Markt, zu verkaufen.“
Angela Merkel habe deutlich gemacht, dass die deutsche und damit auch die europäische Energiepolitik in Europa gemacht werde, nicht aber durch die USA, so der Experte. Deshalb seien nach wie vor die Verhandlungen zwischen Berlin und Washington nötig, weil „die Sanktionen, die letztes Jahr am 2. August in Kraft traten, Auswirkungen auf Nord Stream haben, denn die Gaspipeline wird explizit benannt. Und diese Sanktionen sollten abgemildert bzw. gar nicht angewendet werden.“
Im Großen und Ganzen lasse sich die Rolle von Angela Merkel als Regierungschefin, die ein Projekt im Kontext des deutsch-russischen Zusammenwirkens im Energiebereich verteidige, das der Bundesrepublik zugutekomme, nicht leugnen, meint Dornfeldt. „Nehmen wir nur das Mannesmann-Gasröhrenprojekt, das von einem Beispiel der Annährung zeugt und letztlich auch die Länder verbindet. Dabei hat Russland Deutschland nie politisch unter Druck gesetzt oder den Gashahn zugedreht.“
Der Experte fährt fort: „Wir haben in Deutschland immer nur positive Erfahrungen mit Russland als Lieferanten, also mit den Firmen, die das Gas liefern, gehabt. Aber wir können auch mit den Preisen, die Russland für das Gas nimmt, zufrieden sein. So wird letztlich eine gegenseitig positive Abhängigkeit geschaffen, weil Russland von seinen Absatzmärkten abhängig ist. Sollte Russland den Gashahn zudrehen, kriegt es keine Einnahmen.“
Stärkste Waffe Russlands?
Das sei eine genaue Antwort auf die diesbezügliche Diskussion, ist sich Dornfeldt sicher. Für ihn sei es unrealistisch, „wenn Russland sich ins eigene Fleisch schneiden wird. Denn wir haben auch andere Lieferanten und können dies diversifizieren. Wir haben mittlerweile einen relativ gut funktionierenden europäischen Energiemarkt und genug Gasspeicher. Die ganze Diskussion über Moskaus Energiewaffe und seine politischen Hebel, die in Europa, aber auch in den USA geführt wird, finde ich vollkommen übertrieben.“
Russland verdiene durch seine Gas-Exporte auch Geld, das es für den Staatshaushalt brauche, so der Experte weiter. „Seine größten Exportgüter Öl und Gas sind für Russland wichtig, genauso wie Abnehmerstrukturen, um Einnahmen kalkulieren zu können.“
Ukraine und Nord Stream 2
Beim Gespräch mit Putin in Sotschi habe Merkel nochmal dargelegt, erinnert Dornfeldt, dass ein Teil des russischen Gases noch weiter über das Territorium der Ukraine fließen solle. „Es werden nach wie vor Gaslieferungen über das ukrainische Territorium gehen, auch in Richtung Südosteuropa, was eigentlich Sinn macht, wenn man sich das geografisch anguckt. Und letztlich wird man auch eine Lösung für die Modernisierung des ukrainischen Pipelinenetzes finden. Präsident Putin hat nochmal auf der Pressekonferenz bestätigt, dass man das ukrainische Interesse berücksichtigen und die Ukraine nicht abschneiden wird, dass ihre Rolle beim Gastransit von Ost nach West bleibt.“
Inzwischen haben die Bauarbeiten für die Pipeline Nord Stream 2 an der deutschen Ostseeküste begonnen. Fünf Baggerschiffe sind vor Lubmin im Einsatz. Sie heben einen rund 28 Kilometer langen Graben auf dem Meeresboden aus. Demnächst soll nochmal genauso viel russisches Gas fließen, wie bereits durch die bestehende Pipeline Nord Stream transportiert wird.
Das komplette Interview mit Matthias Dornfeldt zum Nachhören: