Proteste gegen sexuellen Missbrauch und sexistische Erziehung in den Bildungseinrichtungen. Landesweite Aktionswochen sollen auf das Thema aufmerksam machen. In Chile werden derzeit 15 Universitäten bestreikt. Die Studentinnen nennen es «tomas feministas», feministische Besetzungen.
Vergangene Woche protestierten rund 150.000 Menschen in der Haupstadt Santiago gegen sexuellen Missbrauch und sexistische Erziehung in den Bildungseinrichtungen. Auch in anderen Städten wie Valparaíso, Talca, Valdivia, Temuco und Antofagasta demonstrierten Tausende. «Für eine Bildung ohne Sexismus» stand auf vielen Plakaten oder «Die Revolution wird feministisch sein, oder es wird sie nicht geben». Viele Frauen protestierten oberkörperfrei, was eine Diskussion in den sozialen Netzwerken auslöste. Für den 1. Juni hat die nationale Studentenkonföderation (Confech) einen erneuten Protestmarsch ausgerufen.
Die Universität, die am längsten besetzt ist, ist die Universidad Austral in Valdivia im Süden Chiles. Bereits seit über einem Monat streiken dort die Studentinnen. Valentina Gatica, die Präsidentin der Studentenvereinigung dieser Universität fordert «die Berücksichtigung der Geschlechterperspektive in allen Studiengängen, eine Begleitung bei der Aufklärung von Fällen sexueller Belästigung, Gewalt und Diskriminierung, sowie härtere Sanktionen für die Dozenten.» Der Kampf gegen sexualisierte Gewalt solle eine Priorität der Universität sein.
In Santiago ist es die rechtswissenschaftliche Fakultät der renommierten Universidad de Chile, die als erste besetzt wurde. Der Auslöser dafür war der Fall einer Studentin, die vor mehr als acht Monaten den Professor und ehemaligen Verfassungsrichter Carlos Carmona wegen sexuellen Missbrauchs angezeigt hatte. Die Universität ergriff keinerlei Maßnahmen. Mittlerweile ist Carmona suspendiert. Die Studentinnen wollen mit der Besetzung aber nicht nur auf diesen Fall aufmerksam machen. In einer öffentlichen Erklärung betonten sie: «Die Gewalt ist ein strukturelles Phänomen. Wir müssen nicht nur den Markt aus unserer Bildung verbannen, sondern auch die patriarchalen Strukturen. Wir wollen alle Studentinnen und Professorinnen dazu auffordern, sich unserer Bewegung anzuschließen und gemeinsam für eine Lösung zu arbeiten.»
Daraufhin schlossen sich immer mehr Fakultäten an. Der Universitätsbetrieb ist weitestgehend lahmgelegt, stattdessen organisieren die Studentinnen Versammlungen, um ihre Forderungen und Maßnahmen zu besprechen. Der Schwerpunkt ihrer Forderungen liegt auf der Ausarbeitung klarer Bestimmungen, um Fälle von sexuellem Missbrauch und Diskriminierung sichtbar zu machen, anzuzeigen und zu sanktionieren. Außerdem soll die Universität Maßnahmen zur Vorbeugung ergreifen.
Die Besetzungen haben sich in den vergangenen Wochen wie ein Lauffeuer ausgebreitet. «Das liegt daran, dass der Großteil der Universitäten keine Antworten gibt bezüglich der Bestimmungen zum Umgang mit Missbrauch und Unterstützung der Opfer“, sagt Araceli Farías, Sprecherin für Gender-Themen von Confech.
Nach und nach reagieren die Rektoren der Universitäten. Ennio Vivaldi von der Universidad de Chile betont, die Universität habe bereits Maßnahmen ergriffen, um Missbrauch zu verhindern und Opfern zu helfen. Mit den Besetzungen ist er nicht einverstanden: «Es gibt viel angestaute Wut und Frustration, die zu unverständlichen Maßnahmen führen», sagte er am Mittwoch. Carlos Saavedra, Rektor der Universidad de Concepción, hat bereits eine Reform angekündigt.
Aber bisher geht das den Studentinnen nicht weit genug. Die Universitäten bleiben vorerst besetzt, viele haben Aktionswochen und Informationsveranstaltungen angekündigt. In der Hafenstadt Valparaíso zum Beispiel wird ab dem 28. Mai eine eine «feministische Woche» stattfinden, um über die Fälle sexuellen Missbrauchs zu informieren und Opfern Unterstützung zu bieten. Die aktuelle feministische Bewegung in Chile gilt als die größte der vergangenen 40 Jahre.