Bislang ist die Idee verbreitet, dass der Staat immer träge und unbeweglich ist und die „vierte Macht“ – die Medien – sich schnell an Veränderungen anpasst.
Von Irina Alksnis
Die Ereignisse der letzten Zeit beweisen jedoch anschaulich, dass diese Vorstellung nicht mehr als ein Mythos ist. In der heutigen Zeit haben sich westliche Medien unerwartet in einen äußerst langsam reagierenden Mechanismus verwandelt, der sich nur mühsam an neue Realien anpasst.
Die Beziehungen zwischen dem Westen und Russland sind in diesem Zusammenhang am anschaulichsten, und das gerade zu Ende gegangene St. Petersburger Internationale Wirtschaftsforum (SPIEF) ist ein weiteres Beispiel dafür.
Mit jedem Jahr wird diese Veranstaltung großangelegter und einflussreicher. Nach 2014, als die Repräsentanz des Forums aus verständlichen Gründen zurückging, gewinnt das Forum mit jedem Jahr an Kraft.
In diesem Jahr setzt sich dieser Trend fort. Es wurden Abkommen im Wert von 2,365 Billionen Rubel abgeschlossen, was ein historischer Rekord für SPIEF war. Die größte Delegation beim Forum war die aus den USA mit 500 Teilnehmern, gefolgt von den Japanern und Franzosen. Der französische Präsident Emmanuel Macron war der bekannteste SPIEF-Gast, doch auch neben ihm war die Teilnehmerliste sehr beeindruckend, darunter der japanische Premier Shinzo Abe, IWF-Chefin Christine Lagarde und mehrere wichtige Unternehmer.
Trotz des Erfolges der zu Ende gegangenen Veranstaltung war der allgemeine Ton beim Forum dennoch ziemlich geschäftlich, weil alle Teilnehmer unabhängig von ihrem Status zur Besprechung und Lösung konkreter Fragen nach St. Petersburg anreisten.
Am auffallendsten war die trübe Reaktion westlicher Medien auf das Wirtschaftstreffen in der Newa-Metropole. Die Zeitungen titelten: „Anführer Frankreichs und Japans beschimpfen Trump als Gast bei Putin“ („New York Times“), „Erst Merkel, dann Macron. Das sind die drei Gründe dafür, dass Europa die Tür für Putin öffnet“ („Berlingske“, Dänemark), „Frankreich und Russland brauchen einander“ („Le Figaro“), u.a.
Vor und nach dem Forum gab es gleich mehrere Besuche auf höchster Ebene, darunter von Bundeskanzlerin Angela Merkel in Sotschi und der Moskau-Besuch des japanischen Premiers Shinzo Abe. Im Ergebnis war die Dichte der bedeutenden hochrangigen internationalen Ereignisse in Russland so hoch, dass man das Geschehene kaum als Ausnahme bezeichnen kann.
Somit entstand eine Situation, die einen bedeutenden Unterschied bei der Wahrnehmung des Status quo unter den Vertretern der Behörden einerseits und in den Medien andererseits (sowie mehrerer ideologisch geprägter gesellschaftspolitischer Kräfte) widerspiegelt.
Vor einigen Jahren setzte der Westen alles daran, Russland wirtschaftlich und politisch zu strangulieren. Zum Erreichen dieses Ziels wurden alle Hebel in Bewegung gesetzt, darunter die ideologische Begleitung seitens der westlichen Mainstreammedien. Anstrengungen zum Erreichen dieses Ziels wurden auch dann noch unternommen, als bereits klar war, dass dies nicht funktionieren wird.
Allerdings begannen die Organisatoren und Teilnehmer des Prozesses vor einiger Zeit zu begreifen, dass die Staaten und die Regierenden sich in der Avantgarde dieses Prozesses erwiesen. Schon seit einiger Zeit haben die Vorwürfe gegen Russland durch westliche Staaten eher einen formellen Charakter und verhindern nicht die wiederaufgenommene Kooperation.
Deswegen ist der SPIEF-Erfolg nichts Außergewöhnliches. Er entspricht den existierenden Tendenzen, die in den letzten ein bzw. anderthalb Jahren einen nachhaltigen Charakter haben.
Desto erstaunlicher ist die Reaktion der westlichen Medien. Es geht nicht darum, dass sie gegen Russland eingestellt sind, sondern dass sie immer die Alarmglocken schlagen, wenn sie über die Kooperation ihrer Regierungen mit Moskau berichten.
Doch das kommt zuletzt immer seltener vor, enttäuscht müssen die westlichen Medien die Realität anerkennen. Wie die bekannte Theorie von den fünf Phasen der Akzeptanz des Unvermeidlichen – Negation, Wut, Verhandeln, Depression, Akzeptanz. Anscheinend sind die westlichen Staats- und Regierungschefs in die letzte Phase eingetreten und kehren allmählich zum Zusammenwirken mit Russland zurück.
Bemerkenswert ist, dass die westlichen Medien denselben Weg viel langsamer gehen, weil man in den Phasen Negation und Wut feststeckt. Doch die meisten von ihnen sind anscheinend zur Phase Depression übergegangen – bis zur Annahme der Realität dauert es wohl noch ein Weilchen.