Isolationspolitik gescheitert. Warum plötzlich alle mit Russland kooperieren wollen

Beim Wirtschaftsforum in St. Petersburg wurde offiziell zugegeben, was Beobachter bereits seit langem sagen: Europa will den Konfrontationskurs mit Moskau beenden und konstruktive Beziehungen aufbauen. Was steckt hinter Macrons freundschaftlichem Verhalten und warum ist die „Isolierung Russlands“ wohl gescheitert?

Der eindeutige Star des Forums in St. Petersburg – Emmanuel Macron – sprach überraschend von der notwendigen Wiederherstellung der Kooperation mit Russland.

„Man sollte die Architektur unserer Beziehungen, unsere gemeinsamen Interessen revidieren“, sagte der französische Präsident. „Wir sollten uns an den Verhandlungstisch setzen und zusammenarbeiten. Ich bin dazu bereit. Wir haben jetzt Möglichkeiten, um uns vorwärts zu bewegen. Wenn wir diesen Moment verpassen, riskieren wir, ihn endgültig zu verlieren“, sagte Macron.

Zeit der Egoisten

Seit dem politischen Umsturz in Kiew 2014 und den anschließenden Ereignissen hat ein wichtiger europäischer Staats- und Regierungschef noch nie so offen und deutlich zur Beendigung der Konfrontation aufgerufen. Doch das Thema Ukraine spielt mittlerweile keine große Rolle mehr – Europa hat mit größeren Problemen zu tun. Dabei geht es vor allem um das Verhalten Washingtons.

Der französische Präsident schilderte, dass er versucht hat, Trump davon zu überzeugen, nicht aus dem Klimaabkommen und Iran-Deal auszusteigen und die US-Botschaft nicht nach Jerusalem zu verlegen. Er stieß auf kategorische Ablehnung in allen Punkten.

Die Entschlossenheit Trumps, jede internationalen Vereinbarungen nach dem Prinzip „America first“ zu revidieren, löste Gegenreaktionen aus. Die Partner Washingtons suchen nach Möglichkeiten zur Sicherung ihrer eigenen Interessen – selbst wenn dies bedeuten würde, auf die Politik der vergangenen Jahre zu verzichten.

Es war kein Zufall, dass sich Macron auf Fragen der Wirtschaftskooperation zwischen Frankreich und Russland konzentrierte. „In unseren Unternehmen arbeiten heute 170.000 russische Staatsbürger. Wir liegen auf Platz zwei nach Deutschland nach dem Umfang ausländischer Investitionen in Russland, und ich strebe den Übergang auf den ersten Platz an, besonders wenn sich die Zeiten verbessern“, sagte Macron.

Zudem wandte er sich an französische Unternehmer mit der Bitte, mehr in Russland zu investieren, in den Bereichen, in denen Frankreich das entsprechende Know-how hat, und zwar in Landwirtschaft, Raumfahrt und digitalen Technologien. Das sind nicht einfach Worte – nach dem Besuch des Präsidenten Frankreichs wurden Wirtschaftsabkommen im Wert von fast einer Milliarde Euro unterzeichnet.

Fenster der Möglichkeiten

Die Kehrtwende Frankreichs kam nur auf den ersten Blick überraschend. Macron sprach bereits während des Wahlkampfes von dem Wunsch, eine neue internationale Architektur zu errichten, in der Frankreich als außenpolitischer Akteur die Hauptrolle spielen würde.

Das wurde lange nicht ernst genommen. Zudem zeigte sich Macron als zuverlässiger Partner der USA und Deutschlands bei allen Aspekten, die den Druck auf Russland betrafen.

Doch die Situation hat sich stark gewandelt. Der Ausstieg der USA aus dem Atomdeal mit dem Iran hat der transatlantischen Freundschaft einen zerstörerischen Schlag versetzt. Großbritannien, das sich stets am aggressivsten gegen Russland positioniert, hat die EU verlassen. Deutschlands Führungsrolle hat an Bedeutung und Wirkung eingebüßt.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat darauf gesetzt, sich langfristig mit den USA gegen Russland zu verbünden. Dieser Schritt half ihr viele Jahre dabei, als einflussreichste Politikerin Europas zu gelten. Nun wendet sich das Blatt für Deutschland – die aktuelle Tagesordnung hat sich komplett gewandelt und die Kanzlerin setzt auf Themen, die längst nicht mehr aktuell sind.

So führte das Treffen zwischen Putin und Merkel in Sotschi nicht zu einem Durchbruch, mit dem viele rechneten, weil sich die Bundeskanzlerin auf das Thema Ukraine und bürgerliche Freiheiten in Russland konzentrierte. In vielen europäischen Ländern wächst der Wunsch, die Wirtschaftsbeziehungen mit Russland zu verbessern.

Es wird de facto ein prorussischer Block gebildet, dem die meisten Balkan-Staaten, Österreich und Italien mit der neuen Regierung angehören. Emmanuel Macron sah darin eine Chance auf die Umsetzung seiner Pläne und setzte sich erfolgreich an die Spitze dieses Trends.

Wollen wir spielen

Es geht nicht darum, dass der französische Präsident plötzlich seine Liebe zu Russland entdeckt hat. Er verstand einfach als erster europäischer Staatschef, dass unter Bedingungen eines neuen Kalten Krieges zwischen Russland und den USA ein Spiel mit Widersprüchen am vorteilhaftesten ist.

So unterzeichnete Total mit der Firma Novatek ein Abkommen über die Teilnahme am Projekt „Arctic LNG 2“. Am darauffolgenden Tag wandte sich der Total-Chef an Wladimir Putin mit der Bitte, eine Genehmigung für Gasverkauf an Europa zu erteilen, wobei das Monopol von Gazprom aufgehoben wird.

Vor zwei Wochen erklärte Total den Ausstieg aus Projekten im Iran, um die Beziehungen zu den USA nicht zu verschlechtern. Die Firma bemüht sich, gute Beziehungen sowohl zu Moskau als auch zu Washington beizubehalten und rechnet mit guten Kompensationen in der Zukunft.

Auch viele andere SPIEF-Gäste kamen trotz vieler politischer Kontroversen nach St. Petersburg. Neben der traditionell großen Delegation aus China und den bereits erwähnten Franzosen trafen auch Gäste aus den USA, Großbritannien und Schweden ein, geschweige denn andere, weniger feindselig gegenüber Russland gestimmte Länder. Also: Die Isolierung Russlands kann wohl als gescheitert betrachtet werden.

„Wir halten uns strikt an die EU-Sanktionen, doch wir haben auch einen zweiten Weg – die Entwicklung der Beziehungen mit Staatsbürgern und Unternehmen aus Russland“, sagte der stellvertretende Wirtschaftsminister Schwedens, Oscar Stenström. Nach ähnlichen Argumenten richteten sich auch andere Delegationen.

Russland versteht die Motive der Europäer und hat auch nichts dagegen, mit Widersprüchen und internationaler Konkurrenz zu spielen. Putin erinnerte Macron daran, dass allein das finnische Unternehmen Fortum in Russland sechs Milliarden Euro investierte, während es in Bezug auf ganz Frankreich 15 Milliarden Euro waren.

Auch bezüglich der Äußerung des französischen Staatschefs über den ersten Platz Deutschlands beim Handel mit Russland präzisierte Wladimir Putin sofort, dass in der Tat China der Spitzenreiter ist. „Mit China liegt der Handelsumsatz bei 550 Milliarden Dollar“, sagte der russische Staatschef. „In der EU waren es 450 Milliarden, doch im vergangenen Jahr sank er um 50 Prozent. Mit China ist er hingegen gestiegen.“