Turkish Stream erst der Auftakt: Europäer rüsten sich für Ringen um russisches Erdgas

Ende der vorigen Woche wurde ein offizielles Protokoll zwischen dem russischen Konzern Gazprom und der türkischen Regierung unterzeichnet, das den Bau des Festlandabschnitts der Transitpipeline Turkish Stream vorsieht, durch die russisches Erdgas nach Europa gepumpt werden soll.

Dabei ist ein Moment wichtig: Im Grunde hatte man die Unterzeichnung dieses Dokuments schon seit langem erwartet, aber sie wurde durch einen Streit zwischen Gazprom und der türkischen Firma Botas über die Bedingungen der Gaslieferungen an türkische Abnehmer behindert. Jetzt sind die Kontroversen vom Tisch geräumt, und es können praktische Schritte zum Pipelinebau auf dem Festland unternommen werden. Dabei wurde bereits angekündigt, dass dafür das russisch-türkische Joint Venture TurAkimGaz Tasims A.S. zuständig sein wird, an dem sich die Seiten jeweils zur Hälfte beteiligen werden.

De facto haben Gazprom und Botas die noch im Frühjahr 2015 getroffene Vereinbarung zu einem Rabatt für die türkische Seite auf dem Papier festgeschrieben. Die Gründe, warum das nicht früher passiert ist, sind allgemein bekannt. Aber jetzt, da der politische Konflikt zwischen Moskau und Ankara im Allgemeinen geregelt ist, wird der russische Konzern der türkischen Seite einen Überschuss in Höhe von etwa einer Milliarde Dollar zurückzahlen.

Da ist alles in allem transparent und fair: Wenn die türkische Seite trotz diverser Umstände ihre Verpflichtungen im Kontext des „Gaskorridors“ erfüllt, verhält sich auch Moskau entsprechend. Gazprom war schon seit 2015 zur Streitregelung bereit – und hat jetzt der außergerichtlichen Regelung der Situation um die Gaslieferungen zugestimmt.

Jetzt geht es aber um etwas anderes: Bekanntlich wurde der Bau des ersten Turkish-Stream-Strangs noch im April abgeschlossen. Nun soll der zweite Strang fertiggestellt werden, durch den Gas durch türkisches Territorium nach Südeuropa transportiert werden soll.

Der türkische Energieminister Berat Albayrak kündigte an, der Bau des Festlandabschnitts der Pipeline bis zur EU-Grenze würde bis Ende 2019 vollbracht sein. Und es ist kein Zufall, dass der türkische Minister ausgerechnet diesen Zeitpunkt nannte. Denn das betrifft nicht nur Russland und die Türkei.

Ende des kommenden Jahres sollen die Gaslieferungen durch die Leitung Nord Stream 2 nach Europa beginnen. Dann würde Gazprom de facto eine Ausschreibung zum Bau von neuen Strängen sowohl der nördlichen als auch der südlichen Pipeline ausloben. Und dann würde sich die Situation auf dem europäischen Energiemarkt grundlegend verändern – es würde nämlich eine Konkurrenz der Transitländer beginnen, die ihren Kunden möglichst beste Bedingungen anbieten müssten.

Da muss man nicht einmal etwas prognostizieren: Die Gaslieferungen nach Deutschland schon durch den ersten Nord-Stream-Strang sind wesentlich billiger als durch die Ukraine, Weißrussland und Polen. Und deshalb ist die „überraschende“ Einigung Gazproms und der EU-Kommission nach ihrem langen Streit in Wahrheit gar nicht überraschend. Denn gerade in der vorigen Woche wurde verkündet, dass beide Seiten mit der Beendigung einer Anti-Monopol-Ermittlung der EU-Kommission gegen den russischen Gasriesen zufrieden seien.

Russland passt diese Entscheidung voll und ganz.

„Wir haben immer unsere Absicht zu einem fairen Zusammenwirken zwecks Suche nach einer konstruktiven und beiderseitig akzeptablen Lösung im Rahmen des festgelegten Verfahrens bekräftigt“, sagte Gazproms Vizevorstandschef Alexander Medwedew.

Und jetzt konkurrieren die beiden Pipelines (sprich Deutschland und die Türkei) um das Recht auf den Bau ihrer Hubs von „dritten und vierten Strängen“. Denn das russische Gas könnte nach Italien beispielsweise sowohl durch Nord als auch durch South Stream geliefert werden. Oder auch durch Österreich, oder durch das Ionische oder Adriatische Meer. Für Gazprom spielt das keine wichtige Rolle.

Dadurch verändert sich die gesamte „energetische“ Europakarte grundsätzlich: Und das wird nicht nur für Gazprom, sondern auch für die Gasverbraucher nützlich sein, denn das wäre durchaus mit der von der UdSSR und der damaligen BRD durchgesetzten „Gasrevolution“ vergleichbar, die als „Röhren-Erdgas-Geschäfte“ bekannt wurde. Wodurch sie übrigens ein gewisses Land hinter dem Großen Teich sehr verärgerten.

Es ist übrigens erwähnenswert, dass der damalige Gaskorridor durch die Ukraine gebaut wurde, die künftig unabhängig werden sollte. Und die inzwischen kein Gastransitmonopolist ist und jetzt entweder eine Nebenrolle auf der neuen „Energiekarte Europas” akzeptieren müsste oder überhaupt alles verlieren würde.

Dmitri Lekuch