Wird Wikipedia von der „Transatlantifa“ gesteuert?

Sind Sie Nato-Kritiker oder Russlandfreund? Dann können Sie schnell ins Visier der unermüdlichen Editoren bei Wikipedia geraten. Auch der Eintrag über Sputnik ist wenig schmeichelhaft. Im Youtube-Blog „Wikipedia – Geschichten aus Wikihausen“ gehen Markus Fiedler und Dirk Pohlmann dem „Edit War“ im größten Online-Lexikon der Welt auf den Grund.

Die Deutschen vertrauen ihren Medien immer weniger – das ist an sich nichts Neues. Doch aus welchen Quellen kann der wissbegierige Nutzer heute noch sachlich formulierte und gewissenhaft recherchierte Information erhalten? Genosse Google verweist bei Suchanfragen häufig zuerst auf das Online-Nachschlagewerk Wikipedia.

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Warum auch nicht? Schließlich handelt es sich um eine „freie Enzyklopädie“, wo jeder mitschreiben und Wissen beitragen kann. Vom Lebenswandel des Ziesels über die Regeln beim Curling bis hin zur Ahnenfolge des englischen Königshauses – es gibt fast nichts, was es bei Wikipedia nicht gibt. Auch für Journalisten ist das Online-Lexikon oft erste Anlaufstelle, um sich beispielsweise einen ersten Eindruck über einen potentiellen Interviewpartner zu verschaffen.

„Wenn es ein Interview mit der Person gibt, gucken sie dort nach, wer das ist. Wenn da drinsteht ‚antisemitischer Verschwörungstheoretiker‘, wie das regelmäßig eingetragen wird bei Leuten, die denen nicht gefallen, dann ist die Neigung gering, sich so jemanden rauszusuchen. Das heißt, die Vorfärbung, ob eine Person glaubwürdig ist oder nicht, wird von den Wikipedia-Einträgen stark geprägt. Insofern ist es ein sehr wirksames Instrument“, erklärt der Journalist und Filmemacher Dirk Pohlmann.

Doch wer sind „Die“? Und was sind das für Personen oder Themen, die „denen“ nicht passen? Diesen Fragen geht Dirk Pohlmann gemeinsam mit dem Filmemacher Markus Fiedler im Youtube-Blog „Wikipedia – Geschichten aus Wikihausen“ nach. Sie zeigen: Es tobt ein „Edit War“, also ein Bearbeitungskrieg auf Wikipedia. Demnach werden Einträge immer wieder durch Abänderung, bewusste Auslassung oder wertende Formulierung so editiert, dass sie in ein bestimmtes Narrativ passen.

Was sind „unliebsame“ Einträge? 

Von der Editionswut betroffen seien meist Artikel, die mit Geopolitik und Weltanschauung zu tun hätten, erklärt Fiedler. Bei solchen Einträgen werde massiv manipuliert.

„Sie müssen sich kritisch zu Themen der Nato äußern. Vielleicht zu Geheimdienstoperationen, die im weitesten Sinne etwas mit der Nato zu tun haben. Sie äußern sich zu Medien in Deutschland, zum Beispiel wenn es heißt, dass in Syrien ein Bürgerkrieg tobt, wie wir das zum Beispiel im ‚Spiegel‘, im ‚Stern‘ und in der ‚Zeit‘ lesen. Und Sie sagen: das ist kein Bürgerkrieg, sondern ein Stellvertreterkrieg, der von außen von den USA, Saudi-Arabien und Israel nach Syrien hineingetragen wird. Dann haben Sie eine gute Chance, bei Wikipedia mit einer Rufmordkampagne überzogen zu werden – obwohl diese Informationen richtig sind.“

Als Beispiele für den deutschsprachigen Raum kann man den Schweizer Historiker Daniele Ganser nennen sowie die ehemalige ARD-Russland-Korrespondentin und Buchautorin Gabriele Krone-Schmalz. Aber auch in der englischen Version von Wikipedia werden unliebsame Positionen offenbar wegeditiert. Dirk Pohlmann verweist dabei auf den ehemaligen britischen Botschafter in Usbekistan Craig Murray. Ein Editor unter dem Pseudonym Philip Cross bearbeite sofort alles, was Murray äußere. Dabei sei Murray im Zusammenhang mit dem Fall Skripal eine der wichtigsten Quellen für eine kritische Sichtweise.

Die Editoren

Wer steckt in der deutschsprachigen Wikipedia hinter den Korrekturen, die an den Einträgen vorgenommen werden? Bei ihren Recherchen haben Fiedler und Pohlmann eine Gruppe von besonders fleißigen Editoren identifiziert. Insgesamt seien es etwa 200 Personen, die Wikipedia in die gewünschte Form bringen, so Markus Fiedler.

„Wir haben bereits beschrieben, dass es einen inneren Kreis von Manipulatoren gibt. Wir haben sie ‚Mitglieder der Transatlantifa‘ genannt, um klarzumachen: Es ist nicht die Antifa, sondern Leute, die Thesen der amerikanischen Neocons, also Rechtsradikaler, beschreiben. Zu dieser Truppe würde ich beispielsweise zählen: JosFritz, Karl V, Kopilot, Phi, Schwarze Feder, Feliks usw. Wenn man jemanden von diesen Leuten in der Versionshistorie sieht, dann kann man den Artikel von vornherein auf Ablage P schieben.“

Manche dieser Editoren seien wahre Vielschreiber, die offenbar nichts anderes tun würden als Wikipedia-Artikel zu bearbeiten.

„Wir haben zum Beispiel diesen ‚Kopilot‘ bei Wikipedia. Wir wissen auch, wer er ist: Ein Gerhard Sattler aus der Nähe von Osnabrück. Dieser Gerhard Sattler schreibt in fünf Jahren insgesamt circa 50.000 Einträge bei Wikipedia. Das sind im Schnitt 39 Einträge am Tag. Er schreibt Weihnachten, er schreibt Ostern. Der Junge schreibt auch die ganze Nacht durch, während Sie auch mal schlafen müssen.“

So würden Einträge von Außenstehenden innerhalb weniger Minuten gelöscht. Wer zu renitent sei, laufe Gefahr, als „Vandale“ gemeldet und anschließend gesperrt zu werden. Allein im Januar 2017 seien auf diesem Wege circa 500 Personen aus Wikipedia rausgeflogen, resümiert Fiedler.

„Die Struktur, die diese Manipulation ermöglicht, ist eine, bei der ständig Böcke zu Gärtnern gemacht werden. Das heißt, die Leute, die darüber urteilen, ob ein Eintrag bleibt, sind diejenigen, die diese Manipulationen vornehmen. Die Schiedsrichter und die Spieler sind Eins“, fügt Pohlmann hinzu.

Sputnik mitten im „Edit War“

„Sie müssen bei Wikipedia Belege anfügen und sollten Quellen nutzen, die auch verlässlich sind. Aber welche Quellen verlässlich sind und welche nicht, entscheiden die 200 Personen, von denen ich gerade gesprochen habe, nach Gutdünken. Zum Beispiel ist Sputnik nicht verlässlich, auch ‚heise.de‘ und ‚nachdenkseiten.de‘. Hingegen verlässlich sind Quellen wie ‚Spiegel‘, ‚Stern‘, ‚Zeit‘ uund so weiter. Wenn man darüber nachdenkt, wird einem auffallen, dass alle Nato-konformen Quellen immer als verlässlich dargestellt werden, und alle Quellen, die kritisch zur Nato sind, eben nicht verlässlich sind“, so Markus Fiedler.

Der wenig schmeichelhafte Wikipedia-Eintrag zu Sputnik Deutschland lässt keinen Zweifel, welche Weltanschauung dem Text zugrunde liegt. Nach einer kurzen Einführung mit ein paar Angaben zu Gründung und Verortung der Nachrichtenagentur geht es im restlichen Artikel darum, wer Sputnik wofür kritisiert. Von „Informationskrieg“ und „Propaganda“ ist da die Rede, von „ausländerfeindlicher und rechtsradikaler Ausrichtung“ und, wie könnte es anders sein, vom „Fall Lisa“.

Ein Blick in die Versionsgeschichte verrät: Der ursprünglich am 31. Dezember 2014 vom Nutzer Kolja21 eingestellte Artikel, dessen Text aus fünf Zeilen mit allgemeinen Informationen zu Sputnik bestand, wurde seither 500 Mal bearbeitet.

„Ihr Artikel wird zum Beispiel von Phi und von Feliks editiert. Wenn ich diese beiden Leute sehe, dann weiß ich: Ihr Artikel ist nicht sachlich. Feliks hat zum Beispiel am 17. Januar 2018 um 10:45 Uhr eingetragen: ‚In einer im August 2016 veröffentlichten Studie der unabhängigen US-amerikanischen Denkfabrik Center for European Policy and Analysis über den Einfluss des Sputnik in Ost- und Zentraleuropa wird dessen Vorgehensweise als einseitige Feindseligkeit gegenüber dem Mainstream beschrieben‘. Das Wort, das Feliks eingetragen hat, war ‚unabhängig‘. Feliks meint also, dass dieses Center for European Policy and Analysis unabhängig ist.“

Bei näherer Betrachtung des Eintrags zum besagten Center for European Policy and Analysis stelle sich jedoch raus, dass in dessen Beirat solche Persönlichkeiten wie die ehemalige US-Außenministerin Madeleine Albright und der inzwischen verstorbene US-amerikanische Präsidentenberater und Mitbegründer der Trilateralen Kommission Zbigniew Brzezinski gelistet sind. Unter den Financiers fänden sich Rüstungsfirmen wie Bell Helicopters, Boeing, die Chevron Corporation und die Lockheed Martin Corporation, so Fiedler.

„Interessant auch: Da steht ein Absatz drin über Kritik durch russische Medien. ‚CEPA wird durch staatliche russische Medien, unter anderem durch RT und Sputnik, als eine antirussische, von der Waffenindustrie finanzierte Lobbyorganisation beschrieben‘. Na, dann würde ich mich doch Sputnik glatt anschließen!“

Markus Fiedler und Dirk Pohlmann sind entschlossen, mit ihrer Arbeit weiterzumachen. Das Gute sei, dass man die Beweise dafür bei Wikipedia selbst finden und deshalb mit Fakten statt Meinungen aufwarten könne.

„Wir können auch nachweisen, dass die Leute sich intern absprechen. Wir werden das auch weiterhin haarklein an Beispielen demonstrieren, um nicht diesen Ruf des Verschwörungstheoretikers zu bekommen, der sofort angeheftet wird“, so Dirk Pohlmann.