Polen will US-Militärbasis: Der neue Musterschüler der Nato

Polen bittet die USA um einen permanenten US-Militärstützpunkt gegen die Bedrohung aus Russland und ist bereit, dafür 1,5 bis 2 Milliarden Dollar auszugeben. Schon jetzt rüstet Polen auf und schickt sich an, zum Musterschüler der Nato in Europa zu werden.

Das Schreiben des polnischen Verteidigungsministeriums an die USA liest sich wie ein Bewerbungsschreiben. Über mehrere Seiten werden Gemeinsamkeiten beider Länder aufgezählt. In Warschau präsentiert man sich dabei als Musterschüler, der bedingungslos an der Seite der USA steht. Betont wird, dass Polen als nur einer von fünf Nato-Staaten bereits jetzt die von den USA geforderten zwei Prozent des Bruttoinlandproduktes für den Verteidigungshaushalt aufwendet. Bis 2030 ist gar geplant, diesen Anteil auf 2,5 Prozent auszubauen – noch mehr, als von den USA gefordert. Deutschland gibt bislang nur gut ein Prozent des Haushaltes für Verteidigung aus und tut sich schwer mit Zusagen, bis wann die zwei Prozent erfüllt werden.

„Verbündeter Washingtons und Frontstaat gegen Russland“

In dem Schreiben erinnert das polnische Verteidigungsministerium an die „historische“ Rede von Donald Trump bei seinem Besuch in Polen im vergangenen Jahr. Der US-Präsident wird zitiert: „… unsere Sicherheit und unser Lebensstil werden akut bedroht … wir werden uns dem entgegenstellen … und gewinnen.“

Die polnische Regierung vermittelt, den amerikanischen Präsidenten verstanden zu haben und verweist gleich im nächsten Satz des Schreibens darauf, dass eine US-Militärbasis in Polen notwendig sei, um „… eine eindeutige Herausforderung und Abschreckung gegenüber Russlands zunehmend selbstbewusster und gefährlicher Haltung, die Europa bedroht, zu schaffen.“

Alexander Neu, Obmann der Linkspartei im Verteidigungsausschuss, meint im Sputnik-Interview: „Die Polen möchten sich profilieren als ein besonderer Verbündeter Washingtons und Frontstaat gegen Russland.“

Bruch der Nato-Russland-Grundakte

Nun möchte Polen also einen permanenten US-Stützpunkt haben und ist sogar bereit, dessen Aufbau selbst zu finanzieren. Bis zu zwei Milliarden Dollar würde Polen für die Infrastruktur zur permanenten Stationierung einer US-Panzerdivision bereitstellen. Als Orte werden Bydgoszcz und Torun vorgeschlagen.

Allerdings würde eine „permanente“ Stationierung „substanzieller“ US-Truppen auf dem Gebiet des ehemaligen Warschauer Paktes gegen die Nato-Russland-Grundakte verstoßen. Alexander Neu sieht bereits in den gerade wieder rotierenden US-Truppen der Operation „Atlantic Resolve“, die alle neun Monate ausgetauscht werden, einen Verstoß, da „es eine permanente militärische Fähigkeit vor Ort gibt, egal ob das jetzt Brigade A oder B ist. Mit der permanenten Stationierung von US-Soldaten in der Größenordnung, wie Polen das gern hätte, wäre das ein weiterer klarer Bruch der Nato-Russland-Grundakte“, so Neu.

„Musterschüler der Amerikaner in der Nato“

Warschau buhlt seit den 1990er Jahren um die USA als Schutzmacht. Polen gehörte zur ersten Runde von Staaten des ehemaligen Warschauer Paktes, die 1999 der Nato beitraten. Auch beim Irak-Krieg war das Land das erste in Europa, das sich an die Seite der USA stellte. Wirtschaftlich genesen und mit EU-Geldern saniert, lässt sich Deutschlands großer östlicher Nachbar die Freundschaft zu den USA nun auch Einiges kosten. Militärisch kauft man bevorzugt bei den USA ein – zuletzt Patriot-Raketenabwehrsysteme für fast fünf Milliarden Dollar. Regelmäßig finden in Polen Nato-Manöver statt. Allein im vergangenen Jahr waren dort 16.000 US-Militärangehörige für diverse Militärübungen.

Alexander Neu meint dazu: „Polen macht sich in Europa zum Musterschüler der Amerikaner in der Nato.“

Deutschland würde in diesem Szenario zwar Kernstück der Nato-Planung in Europa bleiben. Polen könnte jedoch die „neue“ Front gegenüber Russland werden, wie der Linkspolitiker vermutet:

„Deutschland möchte laut der neuen Konzeption der Bundeswehr Drehscheibe der Nato in Europa werden. Mit dem Vorpreschen der Polen könnte Deutschland damit zum Hinterland der Nato werden und Polen zum Frontstaat.“

Militärbasis gegen Iran-Deal?

Tobias Pflüger, verteidigungspolitischer Sprecher der Linken-Bundestagsfraktion, vermutet im Sputnik-Interview einen Deal hinter dem polnischen Buhlen um eine US-Militärbasis, da Polen sich zeitgleich als Vermittler zwischen der EU und den USA im Streit um das Atomabkommen mit dem Iran anbietet.

„Die polnische Regierung bietet den USA an, falls sie dem Wunsch nach einer dauerhafter Militärbasis der USA in Polen nachkommen, könnte man die Bedenken in Bezug auf die Aufkündigung des Iran-Deals im Kongress beschwichtigen. Da scheint ein Deal im Hintergrund zu laufen“, so Pflüger.

Verwirrend ist in diesem Zusammenhang auch die Parallelität von US-Truppen, Nato-Truppen und EU-Militärplänen, wie Pflüger bemerkt:

„Wir haben im Moment einerseits innerhalb der Nato eine Aufrüstung. Andererseits hat die Europäische Kommission ein ‚Military Mobility Programm’ aufgelegt, das den Aufmarsch Richtung Osten erleichtern soll. Und gleichzeitig scheint es auch noch bilaterale Vereinbarungen zu geben. Das macht das Ganze politisch unüberschaubar und wenig kontrollierbar.“

Ein Puzzle im US-Raketenabwehrprogramm

Auch die USA suchen ihrerseits nach dem Wegfall Großbritanniens nach einem neuen verlässlichen Partner in Europa, der bedingungslos ihre Interessen vertritt. Die Amerikaner bauen seit Längerem ihre Präsenz in Polen aus, da das östliche EU-Land geografisch gut gelegen ist für den von USA geplanten weltumspannenden Raketenschirm. Im Rahmen des europäischen Nato-Raketenabwehrprogramms, das von Ramstein aus gesteuert werden soll, wird im polnischen Redzikowo gerade ein Stützpunkt für das US-System vollendet, der noch in diesem Jahr eröffnet werden soll. Russland protestiert energisch und verweist darauf, dass die Anlagen relativ schnell und simpel für den Abschuss von Interkontinentalraketen umgebaut werden können, die eine direkte Bedrohung für Russland und ein Verstoß gegen den INF-Vertrag wären.

Militärische und ökonomische Interessen

Auch im Energiebereich entwickelt sich Polen zum wichtigsten amerikanischen Partner in Europa. Das erklärte Ziel der USA ist es, die marktbeherrschende Stellung Russlands im europäischen Energiesektor zu schmälern und die Lücke mit eigenem Fracking-Gas zu füllen. Die polnische Regierung ist dabei der willigste Gehilfe der Staaten. Über ein von der EU finanziertes Flüssiggas-Terminal im polnischen Swinoujscie wird bereits jetzt amerikanisches Fracking-Gas ins europäische Netz eingespeist. Warschau erklärte es zum nationalen Ziel, bis 2022 überhaupt kein russisches Erdgas mehr zu importieren und nur noch Flüssiggas vor allem aus den USA einzukaufen. So ist Polen auch innerhalb der EU der vehementeste Gegner der geplanten neuen Erdgas-Leitung Nord Stream 2, die ab 2019 aus Russland durch die Ostsee nach Europa verlaufen soll. Die USA bekämpfen die Pipeline verbissen und haben Sanktionen gegen das russisch-europäische Energieprojekt angekündigt.

So deutet Polen in dem eigentlich militärischen Anschreiben an die USA auch die ökonomischen Vorteile für die USA an:

„Russland möchte seine politischen und wirtschaftlichen Beziehungen mit europäischen Schlüsselländern stärken auf Kosten US-amerikanischer Interessen. Eine verstärkte permanente US-Präsenz in Polen würde Amerika die strategische Flexibilität geben, die es braucht, um diesen Bedrohungen zu widerstehen und sie zu stoppen“, heißt es in dem Schreiben des polnischen Verteidigungsministeriums.

Auch die Aussicht, dass Polen selbst den Bau der Militärbasis zahlt, dürfte für die USA attraktiv sein, meint Alexander Neu:

„Ich denke schon, dass das im Interesse der US-Regierung wäre. Wenn das dann auch noch kostenneutral ist, also vom polnischen Steuerzahler gezahlt wird, dann wäre das auch für den ökonomisch denkenden Präsidenten Trump bestimmt ein sinnvoller Deal.“

Der Osten zieht in die Nato

Angesichts des Interesses der USA an Polen ist eine mögliche Lesart des Schreibens, dass eigentlich die USA diesen Stützpunkt wollen, aber offiziell Polen die USA zwecks Schutz vor Russland darum ersuchen muss. Dieselbe Argumentation wurde bisher erfolgreich bei der Nato-Osterweiterung genutzt: es ist nicht die Nato, die expandiert, sondern es sind die Ost-Länder, die zum Schutz vor Russland in die Nato wollen.

Es ist sicher kein Zufall, dass die Anfrage Polens nach einem permanenten US-Stützpunkt unmittelbar vor dem nächsten großen Nato-Gipfel im Juli auftaucht – unmittelbar, aber doch früh genug, um das Thema noch auf die Tagesordnung zu nehmen.

Das Interview mit Alexander Neu zum Nachhören:

Das Interview mit Tobias Pflüger zum Nachhören: