Machtentzugserscheinung der USA? Trump treibt EU in Arme des Ostens

Die wirtschaftlichen und politischen Differenzen zwischen den USA und der EU wachsen. Mit seiner America-First-Politik bringt Donald Trump die beiden Kontinente immer weiter auseinander. Was droht Europa, wenn Trump seine protektionistische Innenpolitik und spaltende Außenpolitik fortführt? „Frieden und Prosperität“ in Euraisen?

Von Paul Linke

US-Zölle auf Stahl und Aluminium, die Abkehr vom Iran-Abkommen, die Verlegung der US-Botschaft nach Jerusalem, die Einmischung in die europäische Energiepolitik, die Sanktionsankündigung der USA gegen europäische Unternehmen, die sich am deutsch-russischen Pipeline-Projekt Nord Stream 2 beteiligen. – Die US-Politik des Isolierens und Spaltens kommt auf dem alten Kontinent nicht gut an und würde ein Umdenken erzwingen, ist sich der renommierte Finanzexperte Folker Hellmeyer sicher.

Der Chefanalyst der Fondsboutique Solvecon sieht den US-Präsidenten Donald Trump als eine Art „Katalysator“, der über seine Politikansätze, „die keine Freunde, sondern bestenfalls Partner kennt“, deutlich mache, dass Europa endlich erwachsen werden solle. Nun müsse Europa schauen, wo die eigenen Interessen liegen, erklärt Hellmeyer gegenüber Sputnik: „Dann kommen Russland und China ins Spiel.“

„EU-Tonart gegenüber Russland ändert sich“

Immer wieder hört man nun vermehrt versöhnliche Worte aus der Europäischen Union. So hat sich EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker für das Ende des „Russland-Bashings“ ausgesprochen. Auch der konstruktive Moskau-Besuch des Außenministers Heiko Maas, die Dialogbereitschaft der SPD mit dem östlichen Partner und der Staatsbesuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel in Sotschi zeige, dass Gespräche mit Russland gesucht werden. So hält der Finanzexperte Hellmeyer die aktuellen Entwicklungen einer „eigenständige außenpolitische Agenda“ insbesondere in Richtung Russland für „sehr sinnstiftend“.

„America-First-Politik isoliert USA“

Durch die protektionistische „America-First-Politik“ von Donald Trump drohe Europa weitaus weniger, als man sich das vorstellt, erklärt Helmeyer:

„Ich bin der festen Überzeugung, dass diese America-First-Politik die USA am Ende isoliert. Die USA haben heute einen Anteil an der Weltwirtschaft von 15 Prozent – mit weiter fallender Tendenz. Insofern ist das schmerzlich, wenn die USA eine kontraproduktive Politik gegenüber anderen Wirtschaftsräumen machen. Mexiko spürt das, Kanada spürt das, China spürt das, Russland spürt das, der Iran spürt das.“

Die USA seien strukturell schwach, erklärt der Finanzexperte. „Wenn wir uns das Wachstum anschauen, dann bringen die USA 2,7 Prozent laut IWF auf.“ Mit einer staatlichen Verschuldung von 5,3 Prozent, einer historisch hohen Konsumverschuldung und der höchsten Unternehmensverschuldung der Geschichte seien die selbsttragenden Kräfte bei den Vereinigten Staaten gar nicht vorhanden, bemerkt Hellmeyer.

„Frieden und Prosperität“ mit Russland und China

„Je mehr die USA hier Streitereien mit Europa verschärfen, desto größer wird die Wahrscheinlichkeit, dass Europa sich zunehmend aus der Sanktionspolitik verabschiedet. Wenn das der Fall ist, dann muss Russland sich keine Sorgen mehr machen. Dann können die Amerikaner so viel machen, wie sie wollen, dann werden wir Wege finden, um die gemeinschaftlichen Interessen, die wir wirtschaftlich, kulturell und politisch haben, auch umzusetzen. Es ist höchste Zeit, dass das passiert“, so der Finanzanalyst.

Mit Blick auf die Beziehungen der EU-Staaten zu Russland nimmt Hellmeyer auch einen Gedanken von Wladimir Putin auf: „Die Lösung für Europa, Russland und die Menschen im Eurasischen Raum sei die Achse von Lissabon bis Wladiwostok. Russland hat die Rohstoffe und mittlerweile auch entwickelte Strukturen, die viel besser sind als vor zehn oder 15 Jahren.“

Wenn der europäische Technologievorsprung der „Hidden Champions“ mit den russischen Rohstoffen und der Erschließung des Humankapitals durch das chinesische Seidenstraßen-Projekt „One Belt, One Road“ zusammentreffe, würde auf dem eurasischen Kontinent „eine Phase von Frieden und Prosperität“ auf uns warten, glaubt Hellmeyer. „Das ist die Antwort. Und Trump forciert das Ganze.“

„Sanktionspolitik der USA wird fortgesetzt“

Weil Russland mit seinen Ressourcen eine „elementare Rolle“ für die aufstrebenden Länder der „One Belt, One Road“ spiele, stelle das Land für die USA „nur eine Facette“ dar, die bekämpft werden solle, erklärt Hellmeyer. Er glaubt nicht, dass die US-Sanktionspolitik gegenüber Russland eingestellt wird. Im Gegenteil: „Losgelöst von der Faktenbasis“ sei die Sanktionspolitik von Seiten der USA gegenüber Russland weiter verschärft worden. „Dabei geht es auch um Projekte wie Nord Stream 2. Für Russland bedeutet das, sich weiter zu emanzipieren, weiter Strukturen aufzubauen. Da ist Russland in meinen Augen sehr erfolgreich gewesen. Vom Weizen-Importeur zum weltweit größten Weizen-Exporteur“, bemerkt der Ökonom.

Doch auch trotz der Zölle und der Sanktionen würden die US-Amerikaner weiterhin bestimmte Dinge aus Russland importieren müssen. Und wohlhabende Amerikaner würden auch nicht wegen eines Preisanstiegs bei Automobilen, bei Stahl oder Aluminium auf einen Mercedes oder einen BMW verzichten, sagt Hellmeyer.

Es sei zudem wichtig, dass der Rest der Welt sich organisiere und sich von 15 Prozent der Weltwirtschaft nicht drangsalieren lasse, rät der Finanzanalyst: „Das wäre schon beinah so, als würde der Schwanz mit dem Hund wackeln. Der Hund sind 85 Prozent der Weltwirtschaft.“

Das Interview mit Folker Hellmeyer zum Nachhören:

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