Panzerlawine vs. Luftsturm: Armeevergleich zwischen SOZ und Nato

Acht Länder, die sich über drei Viertel Eurasiens erstrecken und drei Milliarden Menschen beheimaten – das ist die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit: Ein geopolitischer Riese. Und eine „kolossale Kraft“ in puncto Militärpotential, wie Wladimir Putin neulich gegenüber einer Agentur aus China sagte. Ein Vergleich mit der Nato bietet sich an.

Von Andrej Koz

Eines muss von Anfang an klar sein: Die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) ist definitiv kein Militärbündnis, wie es die transatlantische Allianz ist. Weder sind die Mitgliedsstaaten der SOZ verpflichtet, für einen gemeinsamen Rüstungstopf zusammenzuschmeißen, noch passen sie ihre Militärtechnik einheitlichen Standards an. Auch sind die SOZ-Mitglieder durch keine „Bündnisfall“-Klausel gebunden. Überhaupt dient die „kolossale Kraft“ nicht dazu, andere zu bekriegen, sondern soll die Voraussetzungen für eine „allseitige und vielschichtige Zusammenarbeit“ schaffen – nicht nur auf dem eurasischen Kontinent, sondern auf der ganzen Welt, sagte der russische Präsident im Interview mit der chinesischen Agentur.

Ein zahnloser Tiger ist die SOZ jedoch auch nicht. Russland, China, Indien, Pakistan, Kasachstan und die zentralasiatischen Republiken Usbekistan, Tadschikistan sowie Kirgistan fokussieren stark auf die Belange der gemeinsamen Sicherheit, auf den Kampf gegen Terror, Extremismus, Separatismus und Drogenhandel. Die SOZ-Mitglieder beteiligen sich häufig an bi- und multilateralen Manövern, teilen Erfahrungen aus Kampfeinsätzen und Friedensmissionen, tauschen nachrichtendienstliche Daten aus.

Strategischer Gleichstand

Das Internationale Institut für strategische Studien (IISS) veröffentlicht jährlich einen Bericht über den militärischen Kräftestand auf dem Globus: „The Military Balance“ enthält genaue Angaben über das Einsatzspektrum und die Ausrüstung der meisten Armeen der Welt. Die Autoren des Berichts messen in ihrer Übersicht die finanzielle Ausstattung der jeweiligen Streitkräfte, die Truppenstärke, die Verfügbarkeit von Atomwaffen und die Anzahl konventioneller Waffensysteme wie Panzer, Haubitzen, Flugzeuge, Kampfschiffe und U-Boote.

Dem diesjährigen IISS-Bericht zufolge beträgt das Wehretat aller SOZ-Mitglieder zusammen 300 bis 320 Milliarden Dollar. Die Volksrepublik China ist bei den Rüstungsausgaben führend: 175 Milliarden Dollar laut offiziellen Angaben der chinesischen Führung.

Rund 5,1 Millionen Männer und Frauen leisten in den Staaten der Shanghaier Organisation Dienst an der Waffe. Über die größte Truppenstärke verfügen China mit etwas über zwei Millionen Militärangehörigen, Indien mit 1,4 Millionen und Russland mit 900.000. Pakistan hat 654.000 Mann unter Waffen. Diese vier Staaten gehören dem sogenannten Atomklub an und verfügen insgesamt über 7320 nukleare Gefechtsköpfe sowohl im aktiven Einsatzdienst als auch in der Reserve. Russland trägt zu diesem Arsenal mit 6800 Gefechtsköpfen bei.

Die militärische Schlagkraft von Kasachstan, Usbekistan, Turkmenistan und Kirgistan ist im Vergleich dazu deutlich bescheidener: Rund 110.000 Soldaten stehen den Streitkräften dieser Staaten insgesamt zur Verfügung. Jedoch nehmen diese Länder Schlüsselpositionen in Zentralasien ein, weshalb der Kampf gegen internationalen Terrorismus und Drogenschmuggel ohne ihre Mitwirkung unmöglich wäre.

Die Rüstungsausgaben aller 29 Nato-Mitgliedsländer belaufen sich auf insgesamt 946 Milliarden Dollar und könnten in den nächsten Jahren bereits die Eine-Billion-Dollar-Marke knacken. Die USA geben weit über die Hälfte dieses Rüstungsbetrags aus, nämlich 610 Milliarden Dollar.

Die Truppenstärke der Allianz beträgt 3,3 Millionen Soldaten und Soldatinnen. Die drei Nato-Länder mit den zahlenstärksten Armeen sind die USA mit 1,3 Millionen Armeeangehörigen, die Türkei mit 500.000 und Frankreich mit 203.000. Die nordatlantische Allianz kann also mit einem dreimal so großen Rüstungsetat aufwarten, bleibt aber bei der Truppenstärke deutlich hinter der SOZ zurück.

Über Atomwaffen verfügen drei Mitglieder der Nato: die USA mit 6600 Gefechtsköpfen, Frankreich mit 300 und Großbritannien mit 215 Sprengköpfen – alles in allem 7115 Stück. Es ist also festzuhalten, dass zwischen der Nato und der SOZ ein annähernder atomarer Gleichstand herrscht.

Panzerlawine vs. Luftsturm

Bei allen Armeen der Welt ist der Panzer die stärkste Waffe für den Vorstoß. Wenn die SOZ-Mitglieder militärisch etwas vorzuweisen haben, dann ist es ihre Panzerarmada. 26.000 gepanzerte Kolosse können ihre Mitgliedsländer ins Feld führen (die Reserven Russlands und Chinas mitgerechnet). Die Nato bringt es einschließlich Reserven auf 15.000 Kampfpanzer. Dabei haben 8 der 29 Nato-Mitglieder überhaupt keine eigenen Panzertruppen.

Deutlich überlegen ist die SOZ auch bei der Artillerie: 33.000 Haubitzen, Kanonen, Granat- und Raketenwerfer stehen den acht Mitgliedsländern zur Verfügung. Zählt man die Reserven hinzu, wird die Übermacht noch deutlicher: Allein Russland hat insgesamt 22.500 Geschütze im Arsenal. Die Nato kann allerdings mit ihren 25.000 Kanonen und Raketenwerfern auch ordentlich zuschlagen. Selbst das winzige Luxemburg hat seine eigenen sechs Granatwerfer im Dienst.

Was der Westen dem Osten definitiv voraushat, ist die Schlagkraft zu Wasser und in der Luft – hauptsächlich wegen der mächtigen Schiffs- und Flugzeugflotte der USA. Im Dienst der Nato-Streitkräfte stehen 2291 Schiffe und U-Boote, einschließlich der Versorgungsschiffe und der Patrouillenboote der Küstenwache.

Bei Raketenkreuzern und Flugzeugträgern ist die Überlegenheit der nordatlantischen Allianz absolut. Die SOZ-Länder verfügen über eine Flotte von insgesamt 1558 Schiffen und U-Booten. Gerade bei letzteren zeigt sich hinwiederum ein Ungleichgewicht zugunsten der Shanghaier Organisation: Russlands und Chinas Marine patrouillieren mit je 62 U-Booten die Weltmeere, die USA sind mit 68 U-Booten präsent.

Die Nato kann auch auf die größte Luftwaffe zurückgreifen: 20.500 Flugzeuge, Hubschrauber und Wandelflugzeuge (Transport-, Aufklärungs- und Trainingsflugzeuge eingerechnet) bringen die Luftstreitkräfte der einzelnen Nato-Länder zusammen auf. Allein die USA verfügen über 14.000 Luftfahrzeuge aller Art. Die SOZ kann bei Bedarf rund 11.000 Flugzeuge und Hubschrauber alarmieren, etwas mehr als die Hälfte davon fliegen unter russischer und chinesischer Flagge.

Es zeigt sich also, dass die Streitkräfte der SOZ-Mitglieder in der multipolaren Weltordnung der Zukunft ein Gegengewicht zu den Nato-Armeen darstellen könnten. Die militärischen Fähigkeiten dieser beiden Allianzen sind im Großen und Ganzen vergleichbar.

Quelle