Die Arktis: Eine rohstoffreiche Gegend, die in absehbarer Zukunft den schnellsten und sichersten Handelsweg von China nach Europa bieten wird. Überrascht es da jemanden, dass Peking die Zusammenarbeit mit dem größten Arktis-Anrainer – Russland – sucht? Ja, die Amerikaner. Die sind von der Entwicklung in der Region offenbar überrollt worden.
Auch in der Arktis treffen sich Russlands und Chinas Interessen auf sehr einträgliche Weise. Aus wirtschaftlicher Sicht ist das Gebiet um den Nordpol für Moskau wie für Peking eine Zukunftsregion. Die Möglichkeit, arktisches Öl und Gas zu fördern, erscheint im Zuge des Klimawandels zunehmend als real. Mit den heute vorhandenen Technologien lässt sich arktisches Erdgas ohnehin schon aus 300 Metern Tiefe pumpen, verflüssigen und verladen. Und die noch unerschlossenen, im Meeresgrund des Nordpolarmeeres lagernden Ressourcen sind gewaltig. US-Geologen taxieren die Ölvorräte der Arktis auf rund ein Fünftel, die Gasvorräte gar auf ein Viertel der Weltreserven. An Gold, Silber und seltenen Erden ist die Region auch überaus reich.
Angesichts der Erschöpfung weltweiter Rohstoffvorräte wächst für die Anrainerstaaten der Arktis die Frage nach der Kontrollstellung in der Region über bloße Geopolitik hinaus. Die außenpolitische Agenda wird zunehmend auch von der (zumindest theoretischen) Zulässigkeit der Gewaltmittel im Kampf um die arktische Vorratskammer bestimmt.
Eine Organisation, in der ein Interessenausgleich zwischen den Anrainerstaaten erzielt werden soll – das sind derzeit Russland, Norwegen, Finnland, Schweden, Island, Kanada und die USA – ist der Arktisrat. Chinas geografische Lage lässt dessen Teilnahme an dieser Organisation als ständiges Mitglied nicht zu. Seit 2013 zählt Peking jedoch als Beobachter ohne Stimmrecht zum Zirkel der Auserwählten. Deshalb versucht die chinesische Führung, die Interessen ihres Landes in der Region mittels Verbündeter innerhalb des Arktisrats durchzusetzen. Und der zentrale Partner ist hierbei natürlich Russland.
China ist bereits in die größten russischen Arktis-Projekte eingestiegen – das namhafteste: Die Flüssiggasproduktion Yamal SPG an der russischen Nordküste. Die Chinesen halten rund ein Drittel der Anteile am 27-Milliarden-Dollar-Projekt des russischen Gasriesen Nowatek: 9,9 Prozent gehören dem Silk Road Fund, weitere 20 Prozent hat der chinesische Ölkonzern China National Petroleum erworben. Zudem beabsichtigt Peking, sich am Bau eines Tiefwasserhafens in der Nähe der russischen Küstenstadt Archangelsk zu beteiligen.
Sein Grundsatzprogramm für die Nordpolarregion hat China dieses Jahr in einem Weißbuch dargelegt. Darin heißt es, die Volksrepublik werde sich mit aller Kraft an der Entwicklung der Schifffahrtsrouten in der Arktisbeteiligen – gemeint sind die Nordwestpassage und der Nördliche Seeweg. Diese beiden Seewege würden in allernächster Zukunft als kürzeste und sicherste Verbindungen zwischen China und Europa betrachtet.
Bis zu 90 Prozent des Welthandels macht der Warenaustausch zwischen China, Nordamerika und Europa aus. Die Warenlieferung von China nach Europa über die Straße von Malakka und den Suezkanal nimmt derzeit 35 Tage in Anspruch. Der Nördliche Seeweg – auch Nordostpassage genannt – verkürzt diese Route um 6.500 Kilometer respektive ganze zwei Wochen. Die Schifffahrtsrouten über das Nordpolarmeer können an die Neue Seidenstraße – One Belt, One Road – angeschlossen werden, als strategische Ergänzung.
Washington will Erklärungen
Dass die Arktis für Russland eine immense strategische Bedeutung hat, steht jedenfalls außer Frage. In den an das Nordpolarmeer anliegenden Gebieten befinden sich Anlagen des russischen Raketenfrühwarnsystems. Und an der Küste der Barentssee ist der Großteil der russischen Atom-U-Boot-Flotte stationiert: sieben von zehn der strategischen Riesen zählen zum Bestand der Nordmeerflotte. Dort, unter dem Eis der Antarktis, patrouillieren sie auch rund um die Uhr, jederzeit zum Abschuss ihrer ballistischen Flugkörper bereit. Auch bei den russischen Fernfliegerkräften mit ihren strategischen Bombern steht die Region im Mittelpunkt des Interesses: Die russische Luftwaffe erschließe derzeit neue Flugplätze im Norden und arbeite sich in neue Waffentypen ein, die Russlands Sicherheit auch in der Nordrichtung gewährleisten sollen, sagte jüngst der Oberbefehlshaber der russischen Bomberflotte, Sergej Kobylasch.
Bei amerikanischen Spitzenpolitikern und der Pentagon-Führung lösen diese regen Aktivitäten Ängste aus. Schließlich haben sie jahrelang nahezu nichts dafür getan, ihren Einfluss in der arktischen Region zu verstärken. Zu Beginn dieses Jahres hat die ehemalige Vize-Außenministerin der Vereinigten Staaten, Paula Dobriansky, den Westen aufgefordert, seine Positionen in der Arktis zu stärken, um Russland entgegenzuwirken.
Nicht nur der Rohstoffe wegen, sonden auch aus Sicht der nationalen Sicherheit sei die Region für die USA bedeutsam – zumal bei der anhaltenden Tendenz zum Klimawandel der Nördliche Seeweg eisfrei und damit ganzjährig befahrbar sein werde, sagte sie. Diese Veränderung würde nicht nur die Karte der Handelswege neugestalten, sondern Russland ein wirtschaftliches Druckmittel gegen seine Konkurrenten in die Hand geben. Es gelte, diese Situation zu „korrigieren“, sagte die Ex-Vize-Außenministerin.
Deshalb müsse, so die US-Politikerin, die militärische Infrastruktur im hohen Norden ausgebaut und ein Stabsquartier auf US-Territorium gegründet werden, um zu zeigen, wer der wirkliche „Anführer der Nato und der ganzen Welt“ in der Arktis sei. Damit gibt die Republikanerin klar zu verstehen, dass die USA zur Durchsetzung ihrer wirtschaftlichen und politischen Übermacht vor nichts haltmachen. Wobei etliche Experten betonen, dass die Vereinigten Staaten heute weder die technischen Möglichkeiten zur Förderung von Öl und Gas in der Arktis noch eine leistungsfähige Eisbrecherflotte oder die Fachleute haben, die bereit wären, in der arktischen Region zu arbeiten. Was die USA stattdessen im Überfluss haben, sind unermessliche Ansprüche und der Wille, der ganzen Welt ihre wirtschaftlichen und politischen Bedingungen zu diktieren.