Gestern wurde der Film «The Magnitsky Act — Behind the Scenes» auf einem Filmabend in München gezeigt. Veranstalter war das Portal Telepolis, welches auch einen Artikel über diesen ominösen Fall veröffentlichte.
https://youtu.be/l3cqufo8iiU
Telepolis Salon Filmabend:
The Magnitsky Act — Behind the ScenesDer Film The Magnitsky Act — Behind the Scenes entwickelte sich zu einem politischen Skandal. Im Europaparlament wurde eine von ARTE und ZDF mitorganisierte Vorführung abgesagt, eine weitere Ausstrahlung auf ARTE wurde 2016 unterbunden. Und das, obwohl öffentlich-rechtliche Sender und namhafte Kulturfonds den Film finanziert haben.
Was ist so brisant an dem Dokumentarfilm des putinkritischen Filmemachers Andrei Nekrasov?
Es geht um die Hintergründe des Todes von Sergei Magnitski, der im November 2009 in einem russischen Gefängnis nach Wochen großer Qual umkam. Magnitskis Auftraggeber, der US-Investor und Hedgefondsmanager Bill Browder, machte ihn als investigativen Anwalt zum Helden der Aufklärung eines 230 Millionen Dollar schweren Diebstahls von Beamten der russischen Polizei und des Innenministeriums, das dabei mit der Mafia zusammengearbeitet haben soll.
Magnitski habe dies aufgedeckt, und dafür musste er sterben, lautet Browders Geschichte, eine exemplarische Grundform westlicher Krimis über den Kreml.
Diese Geschichte geht an die Öffentlichkeit und um die Welt. Sie ist die Grundlage für das US-Gesetz „The Magnitsky Act“, jenes Gesetz, dessen Aufhebung ein wesentlicher Teil der Verhandlungen war, als Donald Trump Jr., Jared Kushner und Trumps Wahlkampfleiter Paul Manafort sich 2016 mit der russischen Anwältin Natalia Veselnitskaya trafen, um inkriminierende Informationen über Hillary Clinton zu kriegen.
Zurück zum Film: Nekrasov selbst war zu Anfang von der Version des amerikanischen Investors Bill Browder überzeugt, doch dann kommen bei den Dreharbeiten Ungereimtheiten auf und dazu Fragen, auf die es plötzlich nicht mehr die passende Antwort gibt. Der Film, der mit einer Rekonstruktion der heroischen Geschichte von Gut und Böse, wie sie Browder erzählt, beginnt, nimmt den Zuschauer mit auf eine investigative Reise, in der das politisch sehr erfolgreiche Narrativ des Westens nach und nach zerfällt.
Zug um Zug wird eine politische Geschichte aufdeckt, in die sowohl das große Geld als auch das europäische und US-amerikanische politische Establishment involviert ist.
Regisseur Andrei Nekrasov wird anwesend sein und sich Fragen der Telepolis-Redakteure und des Publikums stellen, heißt es auf Facebook.
Der Artikel auf Heise / Telepolis
Die Darstellungen des Investmentbankers über seinen Mitarbeiter Sergei Magnitski und dessen Tod im Jahr 2009 wurden unzählige Male unhinterfragt verbreitet
Whistleblower sind die Helden des Informationszeitalters. Ihre Leaks offenbaren die Dürftigkeit unserer gewohnten Quellen bei gleichzeitiger Informationsüberflutung. Die Sehnsucht ist groß nach einem Journalismus, der Informationen überprüft, falsche Darstellungen aufdeckt, Narrative in Frage stellt; nachhakt.
Bill Browders Darstellungen über seinen Mitarbeiter Sergei Magnitsky und dessen Tod im Jahr 2009 wurden unzählige Male unhinterfragt verbreitet. In der Folge konnte Browder 2012 den sogenannten «Magnitsky Act» initiieren, ein Gesetz, das jene sanktioniert, die für Magnitskis Verhaftung verantwortlich sein oder finanziellen Nutzen daraus gezogen haben sollen. Laut Browder habe sein Anwalt Sergei Magnitsky einen 230 millionenschweren Steuerbetrug aufgedeckt und sei in einem russischen Gefängnis getötet worden, weil er nicht von seinen Anschuldigungen abrückte.
Zweifel an Browders Erzählung
Nicht alle glauben Browders Darstellungen. Etwa Lucy Komisar, Robert Parry oder Alex Krainer. Und am Anfang dieser Kette steht ein Dokumentarfilm des Filmemachers Andrei Nekrasov.
In seinem Film «The Magnitsky Act — Behind the Scenes» (der Film ist noch nicht im Vertrieb) trägt er Unstimmigkeiten in Bill Browders Darstellungen zusammen. Beteiligte werden interviewt, Dokumente überprüft und Archivmaterial ausgewertet. Zum Beispiel, die Videoaufnahmen der eidesstattlichen Vernehmung Bill Browders durch den Anwalt Mark Cymrot am 15. April 2015 in New York. In der siebenstündigen Befragung, die in voller Länge im Internet zugänglich ist, muss Browder eingestehen, dass einige seiner öffentlichen Aussagen bezüglich Magnitski falsch sind.
Magnitski war kein Anwalt
Bill Browder bezeichnet Magnitski gerne als Anwalt. Tatsache ist allerdings, dass er kein Anwalt war, sondern ein Buchhalter. Er hat nie eine juristische Fakultät besucht.
Magnitski ist nicht posthum verurteilt worden
2013 behauptete Browder, Magnitski sei posthum verklagt worden, und dies sei «einer der schändlichsten Momente in Russlands Geschichte seit Joseph Stalin».
In der Befragung legt ihm der Anwalt Mark Cymrot den russischen Richterspruch aus demselben Jahr vor, der besagt, dass das Verfahren wegen Steuerbetrugs gegen Magnitsky eingestellt worden ist. Bill Browder dagegen wurde rechtskräftig verurteilt.
Browders lückenhafte Erinnerungen
Gegen Ende der Befragung stellt Mark Cymrot folgende Frage an Browder: «Haben Sie jemals Magnitski über einen Mittelsmann vorgeschlagen, dass er die Verantwortung für die Steuerrückerstattungen der Firmen Saturn und Dalnaya Step übernimmt?» Gemeint sind hier die von Browders Firmen fälschlicherweise zurückgeforderten Steuern aus den Jahren 2001 bis 2004 in Millionenhöhe.
Die Tragweite dieser Frage ist enorm. Magnitski wäre dann der Prügelknabe gewesen, hinter dem sich alle anderen hätten verschanzen können. Ein «Ja» Browders käme einem Schuldeingeständnis gleich, ein «Nein» wäre gemäß Browders öffentlichen Erzählungen die logische Antwort. Doch wie an vielen anderen Stellen der Befragung zeigt sich Browders lückenhafte Erinnerung: «I don’t remember.»
Diese Ausschnitte, die auch in Nekrasovs Film «The Magnitsky Act — Behind the Scenes» vorkommen, zeigen einen Browder, den niemand sehen soll. Die geplante Aufführung des Films im EU-Parlament und die Ausstrahlung auf Arte, am Tag der Pressefreiheit, dem 3. Mai 2016, wurden kurzerhand gestoppt. Browder intervenierte. Er drohte unter anderem ZDF, Koproduzent des Films, mit Klagen zu überhäufen.
In einer 2017 geleakten Email informiert Browder den Politico-Redakteur Matthew Kaminski einige Tage vor der geplanten Aufführung im EU-Parlament, er wolle einen richtigen Skandal aus der Veranstaltung machen, die von Arte und ZDF mitorganisiert war, und offenbart seine Haltung, was den Journalismus betrifft: Tanzt nach meiner Pfeife (whistle).
Hier der erste Teil der News Front-Reihe in russischer Sprache und mit englischen Untertiteln
https://youtu.be/Y2ePiBdrjAM