In einem Essay auf dem Nachrichtenportal Arutz Sheva plädiert US-Sicherheitsexperte Mark Langfan für einen «großen Deal» zwischen den USA und Russland, der unter anderem Syrien und die Ukraine umfassen soll. Beide Länder wären einem solchen nicht abgeneigt.
von Reinhard Werner
Der US-amerikanische Sicherheitsexperte Mark Langfan fordert westliche Staaten im israelischen Medium Arutz Sheva dazu auf, in großen Dimensionen zu denken, um die wieder aufgebrochene Konfrontationspolitik zwischen den USA und deren traditionellen Verbündeten auf der einen und Russland auf der anderen Seite zu überwinden.
Langfan sieht dabei bei Putin und der russischen Regierung durchaus Signale, die eine konstruktive und für alle Seiten gesichtswahrende Lösung ermöglichen könnten — und die es allen Beteiligten endlich ermöglichen würden, sich gemeinsam auf die wirklich wesentlichen Herausforderungen einzustellen.
Wenn Putin mit dem Zaunpfahl winkt, sollte der Westen hinsehen», mahnt Langfan und meint, in jüngsten Aussagen und Schritten der russischen Regierung mit Blick auf Syrien Offenheit für einen «positiven Plan» zu erkennen, dem sich die USA anschließen sollten.
Möglicher historischer Kompromiss hätte zwei Kernkomponenten
Der mögliche Lösungsansatz, den Langfan selbst seit längerer Zeit ins Spiel bringt und der auch vor dem Hintergrund jüngster Trump-Äußerungen über die Krim aufhorchen lässt, hat im Wesentlichen zwei Komponenten:
1. Die Erkenntnis, dass entgegen allen Absichtserklärungen Syrien nicht dauerhaft als einheitlicher Staat erhalten bleiben kann — und daraus folgend eine Teilung des Landes entlang des Euphrat. Präsident Baschar al-Assad und sein Verbündeter Russland würden den Westen des Landes mit den bedeutendsten Städten, der meisten Bevölkerung, dem Mittelmeerzugang und dem größten Rückhalt für die Führung in Damaskus behalten, den sie zudem bereits jetzt fast komplett unter Kontrolle haben.
Im Gegenzug würde es den jetzt dort präsenten USA in den von der Assad-Regierung weitgehend nicht mehr kontrollierten Gebieten im Osten des Landes obliegen, eine dauerhafte Ordnung und funktionstüchtige staatliche Strukturen wiederherzustellen — gemeinsam mit jenen kurdischen und sunnitischen Verbündeten, mit denen sie jeweils vor Ort zusammenarbeiten.
2. Die USA und ihre Verbündeten erkennen die Sezession der Krim und deren Beitritt zur Russischen Föderation an. Langfan spricht sogar von einem ähnlichen Vorgehen bezüglich der selbsternannten Volksrepubliken im Donbass — auf die Russland bis dato gar keinen Anspruch erhebt. Mit ins Paket zugunsten Russlands sollte zudem eine extraterritoriale Verbindung mit Transnistrien. Moskau sollte sich jedoch im Gegenzug auch formal dazu verpflichten, dass diese Lösung «das Dessert und kein Appetitanreger» sei.
Ein ehrgeiziges und unkonventionelles Konzept, das natürlich einige Faktoren ausklammert — von der türkischen Präsenz im Norden Syriens auch diesseits des Euphrats bis hin zur Frage, wie großzügig wer von den Beteiligten die Ukraine dafür entschädigen müsste, ihren Anspruch auf die abtrünnigen Teile des Staatsgebiets aufzugeben. Dass eine solche Idee in Russland allerdings kein Tabu mehr darstellen würde, dafür führt Langfan einige Argumente an.
Ist US-Präsenz östlich des Euphrat für Russland sogar hilfreich?
So äußerte der stellvertretende Außenminister der Russischen Föderation, Sergej Rjabkow, am 20. April 2018 in einem Interview mit der Deutschen Welle:
Wir [Russland] wissen nicht, wie sich die Situation bezüglich der Frage weiterentwickeln wird, ob es möglich sein wird, Syrien als einheitliches Land zu erhalten.»
Noch aufschlussreicher sei jedoch eine jüngst gefallene Aussage der Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, in der es hieß:
Im Lichte der jüngsten Ankündigung von Präsident Trump, ‘sehr bald’ aus Syrien abzuziehen, ist das Risiko sehr hoch, dass das ‘Kalifat’ in den Regionen jenseits des Euphrats wiederauftaucht, wie dies im Irak der Fall war, als ISIS 2011 exakt zu dem Zeitpunkt entstand, nachdem die US-Truppen aus dem Land abgezogen waren.»
Dieses Statement lege den Schluss nahe, dass Putin die US-amerikanische Präsenz östlich des Euphrats mitnichten als wirkliches Problem, sondern eher sogar als wichtige Komponente bei seinem Vorhaben sehe, den Syrienkonflikt erfolgreich beizulegen.
Mark Langfan mahnt deshalb zu entschlossenem Handeln:
Angesichts dieser russischen Öffnung für einen großen Deal sollte Präsident Trump schnell das Element Krim/Ostukraine unter Dach und Fach bringen und die Unterstützung der Entnuklearisierung Nordkoreas und der Stabilisierung Afghanistan vonseiten Russlands in diesen Deal aufnehmen.»
«Nach Zusammenbruch der Sowjetunion war Gegenreaktion zu erwarten»
Vom westlichen Narrativ eines angeblich expansionistischen und aggressiven Russland hält der Analyst wenig. Selbst wenn man das Agieren Moskaus in der Ukrainefrage und anderswo entlang seiner Grenzen missbillige, solle man doch bitte die Kirche im Dorf lassen:
Auch wenn Russland jüngst einige eher hässliche revanchistische Tendenzen und gefährliche Reminiszenzen der Vergangenheit als Reich offenbart haben mag, ist das Land im Vergleich zur früheren Sowjetunion sehr zurückhaltend. Es musste jedem von vornherein klar sein, dass es irgendeine Form der Gegenreaktion zum katalytischen Zusammenbruch des früheren Sowjetreiches geben würde. Wenn sich Putins Bestrebungen zur Wiedererlangung verlorener Territorien auf die Krim, einen Teil der russischsprachigen Ostukraine und eine Verbindung zu Transnistrien beschränkt, wäre der Rest der Welt recht billig davongekommen.
Die Einsicht, dass eine Konfrontation mit Russland auch für die westlichen Länder eine kontraproduktive Angelegenheit sei, greife auch in der US-Regierung um sich, wie die Äußerungen des US-Verteidigungsministers James Mattis gegenüber Reportern am 27. März 2018 zeigten. Mattis erklärte darin, dass Russland das Potenzial habe, ein Partner Europas zu werden. Sein Schicksal sei mit jenem Europas verbunden und man habe zu erkennen, dass Moskau sich dazu entschieden hat, eine andere Form der Beziehung zu den NATO-Staaten zu suchen.
Mark Langfan macht außerdem darauf aufmerksam, dass eine Normalisierung des Verhältnisses zwischen dem Westen und Russland auch angesichts der strategischen Ambitionen des Iran in beiderseitigem Interesse ist:
Verteidigungsminister Mattis ist kein Russland-Freund. Aber er hat zu 100 Prozent Recht: Russlands Schicksal ist mit Europa verbunden, und auch mit dem der Vereinigten Staaten. Russland ist der wahre Verbündete der westlichen Zivilisation, nicht der eines neo-safawidischen iranisch-persischen Imperiums, das sich vom Osten des Irans durch Syrien bis zum Libanon erstreckt. Mittel- bis langfristig wird sich der Iran zu seinem Todfeind entwickeln.
Langfan: Pragmatische Politik gegenüber Russland überfällig
Die Regierungsetagen in Moskau und Washington, so Langfan, beginnen diese Zusammenhänge bereits mit Blick auf Syrien zu begreifen. Russland merke, wie wichtig die US-amerikanische Präsenz östlich des Euphrats ist, um einerseits den IS taktisch zu vernichten und strategisch zu verhindern, dass Syrien zu einem iranischen Protektorat wird, in dem Assad als Potentat von Teherans Gnaden nur noch die Rolle des lokalen Statthalters eines Neo-Safawidischen Reiches innehätte. Aus diesem Grund habe Russland Israel auch grünes Licht gegeben, als es darum ging, flächendeckend iranische Stellungen auf syrischem Boden zu zerstören.
Eine friedliche russisch-amerikanische Teilungslösung in Syrien würde, so Langfan, auch im Irak einen stärkeren Widerstand der arabischen Sunniten gegen die iranische Dominanz zur Folge haben, und zwar bevor wie zu Beginn der 2010er Jahre Terroristen vom Schlage des IS diesen für sich vereinnahmen könnten. Auch dies wäre im strategischen Interesse Russlands wie der USA. Darüber hinaus brauche auch Trump die russische Unterstützung bei der Entnuklearisierung der Koreanischen Halbinsel — insbesondere um sicherzustellen, dass nicht der Iran in den Besitz nuklearer Komponenten aus Nordkorea komme.
Zum Abschluss seines Essays plädiert Langfan noch einmal für eine pragmatische Sicht auf Russland:
Russland ist nur im Fernsehen, in Spielfilmen und beim FBI unser Todfeind. Die Russen sind nicht diejenigen, die mit Lkws in Menschenmengen rasen und Dutzende Menschen töten, während sie nach islamischer Vorherrschaft schreien. Im realen Leben sind sie ein kantiger geostrategischer Wettbewerber, mit dem wir eine gemeinsame Basis finden und daran arbeiten müssen, nicht notwendige Bruchlinien zu eliminieren. Syrien aufzuteilen und die Krim/Ukraine-Problematik beizulegen wären kleine Schritte in eine bessere und friedlichere Zukunft für die Welt.»