EU-Kommissionschef Juncker wollte mit seinem Entwurf zur Asylpolitik wohl Kanzlerin Merkel helfen. Doch womöglich hat er ihr einen Bärendienst erwiesen: Nach heftigem Protest fällt die Erklärung wohl ins Wasser. Welche Chancen gibt es noch auf eine Einigung?
Das Asyltreffen mehrerer Staats- und Regierungschefs am Wochenende in Brüssel soll nach Protesten aus Italien ohne eine gemeinsame Erklärung enden. Regierungschef Giuseppe Conte erklärte am Donnerstag auf Facebook, Kanzlerin Angela Merkel (CDU) habe ihm zugesagt, dass der Entwurf der Erklärung «beiseite gelegt» werde. «Das Treffen wird nicht mit einem geschriebenen Text abschließen», so Conte. Der Gastgeber des Brüsseler Mini-Gipfels, EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker, hatte eigentlich eine vierseitige Erklärung der Teilnehmer angepeilt.
Italien will nicht just ein vorgefertigtes Papier unterschreiben
Conte schrieb auf Facebook, er habe am Donnerstag einen Anruf Merkels erhalten, die ihm von ihrer Sorge berichtet habe, er könnte an dem Treffen nicht teilnehmen.
Ich habe ihr bestätigt, dass es für mich inakzeptabel gewesen wäre, an diesem Gipfel teilzunehmen, wenn es schon einen vorgefertigten Text dafür gibt», erklärte der Italiener.
Sein Innenminister Matteo Salvini hatte schon am Mittwoch deutlich gemacht, dass seine Regierung keine Asylbewerber von Deutschland zurücknehmen will.
Die Bundesregierung war bemüht, den Wirbel um die Zusammenkunft zu dämpfen. In deutschen Regierungskreisen hieß es: «Das Treffen am Sonntag hat lediglich vorbereitenden Charakter.» Die Bundesregierung sei in konstruktiven Gesprächen mit Italien.
Innenminister Seehofer warnt Kanzlerin Merkel vor Absetzung
Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) warnte Merkel unterdessen scharf davor, ihn im Fall eines Alleingangs im Asylstreit zu entlassen.
Wenn man mit dieser Begründung einen Minister entließe, der sich um die Sicherheit und Ordnung seines Landes sorgt und kümmert, wäre das eine weltweite Uraufführung. Wo sind wir denn?», sagte er der Passauer Neuen Presse.
«Ich bin Vorsitzender der CSU, einer von drei Koalitionsparteien, und handele mit voller Rückendeckung meiner Partei. Wenn man im Kanzleramt mit der Arbeit des Bundesinnenministers unzufrieden wäre, dann sollte man die Koalition beenden», sagte Seehofer.
Die CSU von Innenminister Seehofer hatte der Kanzlerin zwei Wochen eingeräumt, um spätestens beim EU-Gipfel am 28. und 29. Juni bilaterale Vereinbarungen zu treffen, denen zufolge Flüchtlinge an der Grenze zurückgewiesen werden können, wenn diese bereits in einem anderen EU-Land registriert wurden. Merkel steht nun unter heftigem Druck. Die CSU erwartet konkrete Lösungen und Fortschritte bei der Zurückweisung, doch die Vorzeichen dafür sind schlecht.
Visegrád-Staaten bleiben dem Juncker-Gipfel von vornherein fern
Denn auch aus Osteuropa bläst Merkel weiter heftiger Gegenwind ins Gesicht. Die vier Visegrád-Staaten (Ungarn, Polen, Tschechien, Slowakei) werden den Asyl-Gipfel gar nicht erst besuchen. «Wir fahren nicht», sagte Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán nach einem Treffen der Staatengruppe mit Österreichs Kanzler Sebastian Kurz in Budapest. Das einzige EU-weite Forum, das zu Entscheidungen in der Migrationsfrage befugt sei, sei der Europäische Rat der Staats- und Regierungschefs. «Wir verstehen, dass es Länder gibt, die mit innenpolitischen Problemen ringen, aber das darf zu keinen gesamteuropäischen Panik-Handlungen führen», sagte Orbán wohl mit Blick auf Deutschland.
Zu dem Treffen am Wochenende werden derzeit neben Merkel die Staats- und Regierungschefs von Österreich, Italien, Frankreich, Griechenland, Bulgarien, Spanien, Malta, Belgien, Dänemark und der Niederlande erwartet.
«Flexibler gemeinsamer Rücknahme-Mechanismus» soll geplant sein
Juncker hatte mit der für Sonntag geplanten gemeinsamen Erklärung der Teilnehmer des Brüsseler Treffens eigentlich die Verständigung auf eine Reihe von Grundprinzipien im Asylstreit befördern wollen. In dem Entwurf des Papiers heißt es: «Wir werden einen flexiblen gemeinsamen Rücknahmemechanismus nahe an den Binnengrenzen einrichten.» Nach seinem Willen sollen Merkel und die anderen Teilnehmer auch eine Reihe von Maßnahmen auf den Weg bringen, um die Weiterreise von Asylsuchenden zwischen EU-Staaten zu unterbinden. «Es gibt kein Recht, den Mitgliedsstaat, in dem Asyl beantragt wird, frei zu wählen», heißt es in dem Entwurf.
Juncker kommt mit seinem Papier eigentlich der CSU entgegen. Diese will Schutzsuchende, die andernorts in der Europäischen Union bereits registriert wurden, an der deutschen Grenze abweisen. Doch die CSU ist skeptisch:
Wir haben die Sorge, dass Angela Merkel jetzt mit dem Scheckbuch durch Europa läuft. Sie braucht Griechenland und Italien für eine Lösung in der Flüchtlingsfrage», sagte CSU-Vorstandsmitglied Markus Ferber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.
Er spielte damit auf die Einigung zum Eurozonen-Budget an, die Merkel mit Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron getroffen hatte. «Für die CSU ist klar: Es darf keinen Deal zu Lasten der deutschen Steuerzahler geben. Es geht nicht, Dinge zu vermischen, die nicht zusammengehören.»